Töpfer sieht Fortschritte beim Klimaschutz gefährdet

Klaus Töpfer im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 17.11.2008
Der ehemalige Leiter des UN-Umweltprogramms, Klaus Töpfer, hat davor gewarnt, angesichts der Finanzkrise den Umweltschutz zu vernachlässigen. "Der Klimawandel macht nicht Halt, weil Banken Pleite gehen", sagte Töpfer.
Birgit Kolkmann: In den 70er-Jahren griffen Politiker in Kommunen und den Ländern gern in die große Geldschatulle. Die Zeche fürs Geld ausgeben müssen jetzt Kinder und Enkel bezahlen. War das verantwortungslose Politik? – Dass Politiker in Legislaturperioden denken und kaum darüber hinaus, ist nicht neu, obwohl sie ständig Entscheidungen treffen, die weit in die Zukunft reichen. Wie nachhaltig Politik wirken muss, damit sie gut wird, darum geht es heute bei der Jahreskonferenz des Rats für nachhaltige Entwicklung. Den hatte Altkanzler Gerhard Schröder 2002 ins Leben gerufen und auch die Regierung Merkel hat sich das Thema auf die Fahnen geschrieben. – Ich begrüße jetzt zum Gespräch den Vizevorsitzenden des Rats und ehemaligen Chef des UN-Umweltprogramms. Guten Morgen, Klaus Töpfer.

Klaus Töpfer: Einen schönen guten Morgen!

Kolkmann: Herr Töpfer, das Thema Nachhaltigkeit in der Politik ist ja weltweit seit einigen Jahren regelrecht in Mode. Was hat sich da getan?

Töpfer: Mode ist noch nicht Aktion. – Richtig ist, dass sich nun langsam herumgesprochen hat, dass wir massiv auf Kosten unserer Enkel leben, dass wir unsere Natur, unser Naturkapital übernutzen, drastisch übernutzen, und dass wir damit einen Wohlstand uns gönnen und leisten, der hinterher noch von unseren Enkeln bezahlt werden muss in der Bewältigung dieser na ja Zerstörung des Naturkapitals. Wir müssen also endlich dazu kommen, dass wir auch mit Blick auf die Natur mehr Netto als Brutto bekommen.

Kolkmann: Nun haben ja kluge Menschen dieses schon vor Jahrzehnten gesagt und auch eingefordert. Tatsächlich hat sich allerdings wenig getan. Erst in den letzten Jahren ist das Thema wie gesagt in Mode. Sie sagen, das ist noch keine Aktion. Was hat sich denn getan, seit 2002 in Deutschland der Rat für Nachhaltigkeit ins Leben gerufen wurde?

Töpfer: Wir haben natürlich ein ganz zentrales Thema auf der Tagesordnung: das ist der Klimawandel. Es ist ganz unstrittig, dass wir eine krisenhafte Situation haben, die die Menschen sehen. Wir kommen glücklicherweise in das Bewusstsein und haben die ganz große Sorge, dass jetzt diese dramatische Finanzkrise, die Krise der Weltwirtschaft dazu wieder mal beiträgt, dass Umwelt hinten angestellt wird. Dies können wir uns nicht erlauben. Der Klimawandel macht nicht Halt, weil Banken Pleite gehen oder weil Spekulanten dieses nicht mit einbeziehen.

Kolkmann: Nun könnte ja die Finanzkrise auch als ein heilsamer Schock wirken. Im Augenblick ist es aber so, dass sie ja alles niederwalzt, zum Beispiel Thema Staatsverschuldung. Das große Ziel der Bundesregierung, die Haushaltskonsolidierung, wieder hinten angestellt. Zeigt sich da, dass nachhaltiges Regieren oft nur ein frommer Wunsch bleibt?

Töpfer: Natürlich muss jetzt gehandelt werden, damit wenigstens eine gewisse Stabilisierung hineinkommt in das weltweite System der Märkte von Gütern und Dienstleistungen und letztlich auch der Finanzen. Aber eine Krise wäre wirklich eine Katastrophe, wenn aus dieser Krise nur das wieder herauskäme, was vorher als Struktur hineingegangen ist. Wir brauchen strukturelle Veränderungen massiver Art und wir brauchen massive Investitionen zu einer Umsteuerung unserer Industriestruktur. Es kann nicht sein, dass wir auf Dauer in die Produkte und in die Industriestrukturen hineinsubventionieren, die uns genau in diese Problematik hineingebracht haben.

Kolkmann: Nun steht in der Einladung für die Jahreskonferenz heute unter der Rubrik "verschiedene Gesprächsforen" das Thema Bildung und in der Bildungspolitik stehe die Nachhaltigkeitsampel noch immer auf rot. Auch das ist ja ein Thema, das seit Jahrzehnten als zentral erkannt worden ist, aber es hat sich nichts getan. Müsste man die Politik mehr auf Nachhaltigkeit verpflichten, sozusagen wie wenn man einen Amtseid schwört?

Töpfer: Das wäre sicherlich eine dringliche Überlegung. Man darf aber auch sicherlich sagen, dass der Fortschrittsbericht der Bundesregierung zur Nachhaltigkeit, den sie jetzt vorgelegt hat, durchaus positiv bewertet werden kann. Er ist zumindest ganz ehrlich. Er redet nicht alles schön, sondern er sagt deutlich, wo noch Schwierigkeiten sind. Wir wissen, dass dieses im Energiebereich ganz massiv der Fall ist, und die Bildung gehört genau dazu. Das heißt jetzt nicht, dass wir ein neues Fach "Umweltbildung" einrichten, sondern dass diese Aufgaben sich quer durch alle Lehrpläne hindurchzieht, dass die Menschen und die Kinder ein Gefühl dafür finden, dass Natur nicht so etwas ist wie eine schöne Arabesque, der man sich hingibt, wenn wir sonst keine Probleme haben, sondern dass sie in das Zentrum unserer politischen Verantwortung hinein gehört. Ich sage noch einmal: Es wird einem Angst und Bange, wenn man diese Welt sieht, die in der Bevölkerung weiter anwächst, wo Menschen aus der Armut herauskommen müssen, wenn wir Stabilität, wenn wir Frieden haben wollen, und wie wenig wir daraus reagieren, wie wenig wir darauf hinarbeiten. Wir müssen schon deutlich sehen, dass wir mit weniger Ressourcen, mit weniger Energie auskommen können. Nur dann ist unser Wohlstand ehrlich, nur dann ist er verantwortbar.

Kolkmann: Heißt ja auch, dass man vielleicht Autos abschaffen muss?

Töpfer: Man muss nicht das Auto abschaffen; man muss nur fragen, wie muss Mobilität auf Dauer organisiert werden. Ganz sicherlich brauchen wir Autos, die ein Bruchteil von den fossilen Energieträgern verbrauchen, die sie jetzt verbrauchen. Also nicht abschaffen, ohne vorher über die Alternativen genau nachzudenken, aber auch nicht sagen, wir müssen sie behalten, weil es gerade gegenwärtig so viele Arbeitsplätze schafft. Wir müssen umsteuern. Wir müssen neue Strukturen haben. Das ist der Weg aus der Krise. Alles andere verlängert und bedingt die nächste Krise schon wieder.

Kolkmann: Haben Sie den Eindruck, dass in der Europäischen Union die Anstrengungen, die Abgase zu reduzieren und auch steuerlich andere Anreize zu schaffen, auf den richtigen Weg führen?

Töpfer: Es muss alles daran gesetzt werden, dass am 12. Dezember das EU-Energie- und Klimapaket wirklich auch beschlossen wird, so wie es vorgelegt worden ist. Um Gottes Willen jetzt nicht der Hinweis darauf, das können wir uns gegenwärtig nicht leisten, weil wir die Finanzkrise haben. Ich sage es noch mal: Der Klimawandel geht voran, auch wenn eine Bank Konkurs gegangen ist, auch wenn wir wirtschaftliche Krisen daraus haben, weil ein unverantwortliches Überdrehen der Finanzmärkte dazu führt, dass die Realwirtschaft massiv in Mitleidenschaft gezogen wird. Ganz im Gegenteil! Dieses Klimapaket ist das entscheidende Konjunkturpaket. Das schafft neue Arbeitsplätze, die dauerhaft tätig sind in erneuerbaren Energien, in einer Erhaltung der Vielfalt von Natur und Landschaft auch als CO2-Speicher. Dutzende solcher Ansätze gibt es, indem wir durch konjunkturelle Maßnahmen Umwelt sanieren und eine Perspektive für eine wirklich nachhaltige Entwicklung schaffen.

Kolkmann: Vielen Dank! – Das war Klaus Töpfer, der Vizevorsitzende des Rats für nachhaltige Entwicklung und ehemalige Chef des UN-Umweltprogramms. Heute beginnt die Jahreskonferenz des Rats für nachhaltige Entwicklung. "Zukunft verantworten" heißt der Titel. Vielen Dank, Herr Töpfer!

Töpfer: Ich danke Ihnen sehr herzlich.


Das Gespräch mit Klaus Töpfer können Sie bis zum 17. April 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio