Tönnies und ein Jahr Fleischskandal

Das Ende der Ausbeutung?

31:28 Minuten
Logo der Lebensmittelfirma Tönnies bestehend aus einem Bullen, einer Kuh und einem Schwein am Hauptsitz in Rheda-Wiedenbrück vor dunklen Wolken.
Mit Corona sind die unwürdigen Arbeitsbedingungen beim Unternehmen Tönnies und grundsätzlich in der Fleischindustrie in das öffentliche Bewusstsein gelangt. © Imago / Future Image / C. Hardt
Von Manfred Götzke  · 27.06.2021
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Der Schlachtbetrieb Tönnies ist mit dem Fleischskandal vor einem Jahr zum Synonym für katastrophale Arbeitsbedingungen geworden. Mittlerweile müssen Konzerne ihre Schlachter und Zerleger direkt anstellen. Werden Rumänen und Bulgaren nun fair behandelt?
Schichtwechsel vor der Fleischfabrik Vion in Emsteck bei Bremen: Es ist kurz vor elf Uhr, nach und nach trudeln die Arbeiter in ihren Autos ein. Die meisten sind ältere VWs und Opel mit rumänischen oder polnischen Kennzeichen. Johanna Waldeck von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten und ihre Kolleginnen passen die rumänischen Arbeiter au dem Parkplatz ab - sie wollen sie davon überzeugen, zu streiken.
"Wir wollen, dass Sie sich mit uns solidarisieren und mitstreiken, damit wir höhere Löhne für Sie durchsetzen. Mindestens 12,50 pro Stunde und mehr Urlaub. Aber die Arbeitgeber weigern sich bisher – deshalb müssen wir Druck aufbauen – sie müssen sehen, dass die Produktion ohne Leute wie Sie nicht läuft. Haben Sie davon gehört?" / "Ja aber ich muss hier noch auf meine Frau warten – vielleicht komme ich später."

Die Angst vor dem Streik

Die Gewerkschafter kämpfen in dieser Woche Ende April für höhere Löhne in der Fleischindustrie. Mindestens 12,50 Euro pro Stunde, statt der 9,50 Euro Mindestlohn. Doch es ist nicht ganz einfach, die rumänischen Arbeiter zu überzeugen, für ihre Rechte einzutreten. Viele haben Angst, ihren Job zu verlieren, das erzählt auch einer der Arbeiter im Auto – der später zum Streik kommen will.


"Klar komme ich gleich, wenn wir alle hier die Sklavenarbeit machen – müssen wir aber auch gemeinsam kommen und streiken." / "Genau, sprechen Sie mit den Kollegen, dass sie auch gleich kommen." / "Habe ich schon! Aber die haben Angst. Ich habe den Kollegen gesagt – was soll schon passieren – wir kommen einfach nicht zur Arbeit. Wir sind Sklaven – machen hier die Sklavenarbeit. Wir sind nur hier, weil wir in Rumänien noch weniger haben – viele trauen sich noch nicht mal, das klar auszusprechen. Ich sag ihnen – wenn du hier arbeitest, musst du hier für deine Rechte kämpfen. Wir müssen alle zusammenstehen."

"Die Arbeit ist brutal"

Nach einer Viertelstunde haben die beiden Gewerkschafterinnen ein paar Rumänen überzeugen können, heute Mittag nicht ins Werk zu gehen. Einer von ihnen ist Ion Soarca – er arbeitet schon seit drei Jahren in der deutschen Fleischindustrie. Momentan verdient er den Mindestlohn – plus Zulage. Zu wenig für die harte Arbeit, meint er.

"Ich streike für einen vernünftigen Lohn! Ich verdiene jetzt 10,30 Euro die Stunde – und das nach drei Jahren hier in dem Werk. Die Arbeit ist brutal – wer noch nie in einer Fleischfabrik gearbeitet hat, kann sich das nicht vorstellen. Und von dem Lohn werden Steuern, Abgaben abgezogen, 400 Euro Miete fürs Zimmer – da bleibt nicht viel über. Das Leben ist auch hier sehr hart für uns. Wir fordern deshalb, was uns zusteht."
"Weg mit niedrigen Löhnen!" und "12,50 €" steht auf Plakaten, die ein Gewerkschaftsvertreter und eine Gewerkschaftsvertreterin in der Hand halten. Mit der Aktion wird vor dem Werk von Tönnies für höhere Löhne protestiert.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten protestiert im April vor dem Werk von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück für höhere Löhne.© picture alliance / dpa / Friso Gentsch
"Wie sind denn die Arbeitsbedingungen?"/ "Extrem hart – wir zerlegen Fleisch, tragen die Kisten von A nach B – in acht Stunden verarbeiten wir 70 , 80 Tonnen Fleisch – mit drei Mann. Deshalb fordern wir 12,50 Euro, denn es ist extrem harte Arbeit."

Vorarbeiter sollen Arbeiterrechte sabotiert haben

Der stämmige 46-jährige Mann streikt zum ersten Mal in seinem Arbeitsleben, wie fast alle Rumänen hier. Dass nur so wenige seiner Kollegen dabei sind, ärgert ihn. "Die Rumänen kennen das nicht, sie stehen nicht zusammen, eigentlich müssen jetzt alle aus dem Werk rauskommen. Es ist unser aller Recht – jetzt sind ein paar hier – und die meisten drinnen. Dabei geht hier ohne uns Rumänen nichts – 80 Prozent der Arbeiter hier sind Rumänen. Aber es gibt hier auch ein Problem – es gibt Vorarbeiter, die hier Druck machen. Die den Streik sabotieren. Sie sagen, geh da auf keinen Fall hin, und viele haben dann halt Angst rauszufliegen. Sie wissen nicht, dass es ihr Recht ist."


Ein paar Meter weiter vor dem Werkstor steht Matthias Brümmer: ein rotes Käppi mit dem Emblem der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten auf den Schlohweißen Haaren, und eine gelbe Warnweste über der dicken Winterjacke. Der 61-Jährige ist seit etlichen Jahren Gewerkschaftschef in der Region Osnabrück/Ostfriesland.

Neben ihm stehen noch ein paar Gewerkschafter und zehn polnische Arbeiter. Alle in gelben Westen. Viel mehr dürften es nicht werden, fürchtet er. "Wir haben das ja heute Morgen erlebt und erleben das mit den Rumänen immer noch, dass die totale Panik haben. Wir haben auch mitbekommen, dass die zum Teil nur Halbjahresverträge haben, obwohl sie eigentlich übernommen worden sind."
Arbeiter protestieren mit einem Banner, auf dem "Mehr Geld! Mehr Urlaub! Tarifvertrag jetzt!" seht, vor einem Werk.  
Protest vor dem Vion-Werk: "Die Arbeit ist brutal – wer noch nie in einer Fleischfabrik gearbeitet hat, kann sich das nicht vorstellen."© Deutschlandradio / Manfred Götzke

Security-Kräfte als Streikbrecher?

Schon in der Nacht um zwei, zu Beginn der ersten Schicht stand Brümmer hier vor dem Werk, erzählt er. 80 rumänische Arbeiter wollten in den Streik treten – haben sich dann aber doch nicht getraut. "Da ist ein ziemlicher Druck drauf und die alten Subunternehmer sind ja hier noch als Berater im Unternehmen teilweise tätig und waren schon heute Morgen mit dabei und haben versucht, mit allen Mitteln, die Kollegen wieder reinzutreiben.
Urplötzlich tauchten diese Securities auf und die ehemaligen Subunternehmer und haben in deren Sprache ganz kurz mit denen geredet in einer Tonart, die war unglaublich und die Leute haben vor lauter Panik die Sachen zurückgegeben und sind ins Unternehmen rein zum Arbeiten."
Als ich vor einem Jahr über die katastrophalen Arbeitsbedingungen in den großen Fleischkonzernen berichtet habe – wäre so ein Streik von rumänischen Arbeitern undenkbar gewesen. Damals gab es massenhafte Corona-Ausbrüche in den Fabriken von Westfleisch Tönnies und Co. Und die Behörden haben genauer hingeschaut – unter was für katastrophalen Bedingungen die Rumänen und Bulgaren hier arbeiten und leben. Fast alle waren damals noch Werkvertragsarbeiter – beschäftigt von ausbeuterischen Subunternehmern.

Werkverträge sind seit Januar verboten

Viele dieser Firmen haben die Arbeiter um den Mindestlohn geprellt – und ihnen Betten in herunter gekommen Häusern oder Wohncontainern vermietet – ein solches Bett kostete oft 300 Euro und mehr im Monat. Arbeitsminister Hubertus Heil sprach damals von einem System der organisierten Verantwortungslosigkeit – und ließ die Werkverträge – auch für mich überraschend - verbieten. Seit Anfang Januar müssen Fleischfirmen ihre Schlachter und Zerleger direkt anstellen. Subunternehmerketten sind zumindest in diesem Teil der Industrie verboten.
"Das Arbeitsschutzkontrollgesetz erfüllt an dieser Stelle genau die Funktion, dass die Kollegen endlich anfangen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und sich über die Betriebsräte auch einzumischen." / "Wie hat sich die Lohnsituation der Arbeiterinnen und Arbeiter verändert mit dem neuen Gesetz?" / "Leider in den meisten Fällen überhaupt nicht. Es gibt den Mindestlohn, danach wird bezahlt, obwohl der Tarifvertrag eine ganz andere Entlohnung vorsieht, selbst das wird nicht mal eingehalten."

"Tonnen machen, Tonnen machen"

Nach einer guten Stunde stehen etwa 50 Arbeiter vor dem Werkstor, viele haben Pappschilder in der Hand, "Luptam impre une" – "Dorim se facem grave" steht darauf. Heißt: "Wir kämpfen zusammen", "Wir streiken für 12,50 Euro". Die Pappschilder haben die Gewerkschafter für die rumänischen Arbeiter vorbereitet, jetzt halten sie meist polnische Kollegen hoch. Die sind schon länger in Deutschland und fast alle bereits Mitglieder der Gewerkschaft. Die wenigen streikenden Rumänen stehen am Rand, versteckt hinter ihren polnischen Kollegen. So richtig geheuer scheint ihnen das Ganze nicht zu sein.
Gewerkschaftschef Matthias Brümmer steht nun mitten auf der Straße vor dem Werkstor. In der Hand ein Mikrofon. Neben ihm übersetzt eine rumänische Gewerkschaftskollegin. Christian Spanu hat sein Käppi tief ins Gesicht gezogen. Als wolle er nicht erkannt werden. Auch für den drahtigen 44-Jährigen ist es der erste Streik in seinem Leben.

Wie alle hier hat auch er bis vor einem Jahr bei einem Subunternehmer gearbeitet. Für zehn Euro die Stunde – etwas mehr als den Mindestlohn. "Was hat sich denn für Sie geändert, seit es das neue Gesetz gibt?" / "Es hat sich gar nichts geändert durch das neue Gesetz. Wir sollen tonnenweise Schweine schlachten. Tonnen machen, Tonnen machen, sagen sie, Gas geben, Gas geben. Immerhin arbeiten wir jetzt meistens nicht mehr als acht Stunden am Tag – alles andere ist aber gleichgeblieben."
Arbeiter stehen mit Protestplakaten auf einer Wiese vor einem Werk.
"Wir kämpfen zusammen" und "Wir streiken für 12,50 Euro" steht auf den Pappschildern der protestierenden Arbeiter.© Deutschlandradio / Manfred Götzke

275 Euro für ein Bett

"Wie ist denn der Lohn?" / "Ich verdiene jetzt 9,50 Euro die Stunde – plus eine Prämie von 1,20 Euro. Die gibt es aber nur, wenn man keinen Tag fehlt. Wenn man krank ist – oder im Urlaub – dann gibt’s die Prämie nicht – dann bleibt es bei 9,50 Euro." / "Auch wenn man krank ist?" / "Ja." / "Und wie Ihre Wohnsituation – haben Sie eine eigene Wohnung?" / "Nein, ich wohne in einem Haus, das der Subunternehmer organisiert hat. Ich zahle 275 Euro für ein Bett. Bis vor Kurzem waren wir zu dritt in dem Zimmer. Aber es gab vor Kurzem Kontrollen wegen Corona – momentan sind wir nicht mehr als zwei in einem Zimmer. Bevor das Gesetz geändert wurde, wurde mir das Geld direkt vom Lohn abgezogen."
"Und wie ist es jetzt? Die Subunternehmer gibt’s ja so nicht mehr?" / "Ich habe mit dem Eigentümer geredet – ich soll ihm das Geld jetzt direkt bar geben – immer noch 275 Euro für ein Bett. Aber er hat mir ein Angebot gemacht – eine Monatsmiete muss ich nicht zahlen."

Der Firmensprecher weist die Vorwürfe zurück

Einige Meter entfernt direkt neben dem Werkstor stehen zwei grauhaarige Männer in Anzügen, blicken auf die Streikenden, einer von ihnen ist Thomas van Zütphen, Pressesprecher von Vion. Ich gehe auf sie zu, befrage sie zu den Vorwürfen der Gewerkschaft, die Vorarbeiter hätten den Streik sabotiert. "Ich kann dazu nur sagen, dass mir solche Vorfälle nicht bekannt sind. Ich wüsste auch von keinem Mitarbeiter, der sich hier hinstellt und sagt, ich werde vom Streiken abgehalten. Weil wir respektieren das Recht der Mitarbeiter auf Streik."
"Wie hat sich die Situation mit dem neuen Arbeitsschutzgesetz verändert für das Unternehmen?" / "Es war natürlich ein Klimmzug für das Unternehmen zum ersten Januar von den 1500 Mitarbeitern, die das Unternehmen beschäftigt, 1100 von jetzt auf gleich in die regulären Prozesse festangestellter Mitarbeiter zu überführen. Vion freut sich auf die neuen Kollegen, heißt sie willkommen, unterstützt sie auch, wenn es zum Beispiel darum geht, angemessenen Wohnraum zu gewährleisten.
Wir hatten bisher auch nicht die Möglichkeit, Unterkünfte von Arbeiter, die bei anderen Unternehmen beschäftigt waren, zu inspizieren. Das war dann anders, sodass wir die Möglichkeit hatten, sämtliche Unterkünfte zu überprüfen. Und wir haben zehn Prozent der Unterkünfte als nicht unseren Standards entsprechend eingestuft. Woraufhin Maßnahmen ergriffen wurden, die Unterkünfte entweder zu renovieren oder die Mitarbeiter woanders unterzubringen." / "Finden Sie 270 Euro für ein Bett als Miete angemessen?" / "Ich persönlich würde sagen, das ist ein bisschen viel. Ja."

Es inzwischen 14 Uhr – die Gewerkschafter beenden den Streik für heute. Der rumänische Arbeiter Ion Soarca ist nicht wirklich vom Erfolg der Aktion überzeugt – es hätten zu wenige gestreikt, da könne man nicht wirklich etwas erreichen. "Es waren viel zu wenige hier. Alle Rumänen aus dem Werk hätten heute hier sein müssen – nicht nur die paar. Es war vielleicht die erste und letzte Chance, 12,50 Euro zu erkämpfen. Die anderen wurden manipuliert, bedroht, ich weiß es nicht. Ich finde es unglaublich schade. Wir verdienen mehr! Wir sind Rumänen – ein Volk von Arbeitern. Aber wir stehen nicht zusammen. Es ist so schade."
Eingang eines Mehrfamilienhauses.
Am Briefkasten einer Arbeiterunterkunft ein Aufkleber, mit dem gegen Tönnies protestiert wird.© Deutschlandradio / Manfred Götzke

Sicherheitsdienst kontrolliert Maskenpflicht im Ort

Ich mache mich auf den Weg nach Sögel im Emsland. Der Gewerkschafter Matthias Brümmer hatte mir auf dem Streik den Tipp gegeben, in das Örtchen an der niederländischen Grenze zu fahren. Hier zeige sich, welchen Einfluss die Fleischkonzerne inzwischen in Deutschland haben, sagte er mir. Im gesamten Ort, nicht nur auf dem Werksgelände, sei der Sicherheitsdienst der Tönnies-Tochterfirma "Weidemark" unterwegs um die Einhaltung der Maskenpflicht und die Quarantäne der Rumänischen Mitarbeiter zu kontrollieren.
Ich steige aus, laufe vorbei an opulenten Klinkerhäusern, über den Marktplatz samt Granitsteinbrunnen – alles sehr sauber, alles sehr ordentlich. An der Straße weisen Schilder auf die Maskenpflicht hin – den Mitarbeitern der Sicherheitsfirma der Fleischfirma Weidemark begegne ich erst mal nicht. Ich versuche mein Glück in einem Supermarkt, spreche einen Mann Ende 30 an – der auf Rumänisch telefoniert. "Ja, ich habe das selbst erlebt – eine Security-Firma hat hier alle überprüft, ob sie ihre Quarantäne einhalten. Das sind immer mehrere Leute – und mindestens einer davon ist selbst Rumäne."

Die Polizei findet das in Ordnung

Dabei arbeitet der Mann gar nicht in dem Fleischwerk, er ist als Elektriker in einem Unternehmen im Nachbarort beschäftigt. Sein Pech: Er hatte sich mit seiner Tochter auf dem Bürgersteig auf Rumänisch unterhalten.

"Das war nach meiner Quarantäne, ich war auf der Straße vor dem Haus, wo ich wohne. Dann hat ein Auto angehalten, mit drei, vier Leuten, genau weiß ich es nicht mehr. Die Fragen: Was ich hier machen würde, warum ich hier auf dem Weg sei. Ich meinte: Leute. Ich bin nicht in Quarantäne – und vor allem: Ich arbeite gar nicht bei Euch. Lasst mich in Ruhe! Dann sind die irgendwann eingestiegen und einfach weitergefahren."
Ich rufe bei der Polizei im Landkreis an – der Pressesprecher Dennis Dickebohm bestätigt mir, dass die Sicherheitsmitarbeiter im Ort unterwegs sind, in Absprache mit der Gemeinde und der Polizei. Das sei auch völlig in Ordnung, da es sich ja nicht um Kontrollen im Sinne des deutschen Ordnungsrechts handele – schließlich könnten die Securities ja auch keine Strafen erteilen.
Tönnies – der Mutterkonzern von Weidemark schreibt auf Anfrage, die Gemeinde hätte das Unternehmen gebeten, sie bei den Kontrollen der Corona-Maßnahmen und der Einhaltung der Quarantäne der Mitarbeiter zu unterstützen. "Sie helfen dabei, das Infektionsgeschehen einzudämmen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die aktuell geltenden Regeln und Maßnahmen näher zu bringen."

2000 Euro für drei Monate Arbeit

Auf dem Weg zu meinem Auto komme ich an einem Kleinbus vorbei: Germania – Basov-Bucuresti steht in gelbem Schriftzug auf dem Van, Deutschland-Brasov-Bukarest. Einige Rumänen sind gerade dabei einzusteigen.
"Geht’s in den Urlaub nach Rumänien?" / "Nein, wir sind weg für immer. Warum sollte ich hier bei diesem Kriminellen bleiben?"
Die Rumänen quetschen sich mit ihren Reisetaschen in den Kleinbus – fünf Männer zwischen Mitte 20 und Mitte 30, einer hat seinen kleinen Sohn auf dem Schoß, neben ihm seine Frau. Drei Monate haben sie bei Weidemark als Schlachter gearbeitet, erzählen sie.
"Ich habe 2000 Euro bekommen – für drei Monate Arbeit." / "Wie viele Stunden haben sie denn gearbeitet – acht Stunden am Tag?" / "Mal neu, mal zehn, mal elf Stunden, oft zwölf Stunden im Schlachthof, eine Stunde Pause – und es ist kaum was übrig geblieben." / "Und jetzt sind sie enttäuscht?" / "Wir sind sauer!" / "Welcher Stundenlohn steht denn auf der Lohnabrechnung?" / "9,50 steht auf dem Lohnzettel, sie haben uns aber nur 7,50 gezahlt."

"Ich komme nie wieder"

"Was habt ihr denn für die Unterbringung gezahlt?" / "Wir haben 400 Euro gezahlt – für ein Mini-Zimmer! 200 Euro für ein Bett."
"Was war das denn für ein Zimmer?" / "sechs Quadratmeter, man konnte sich da kaum umdrehen drin – und dafür hab ich 400 Euro bezahlt." / "Wir haben im Netz ein Angebot gesehen in Rumänien – aber von den Versprechungen ist nichts eingetroffen hier. Die haben uns gesagt 80 Euro pro Bett, es waren 200." / "Im Vertrag stand, dass wir acht Stunden pro Tag arbeiten, wir haben meist elf gearbeitet, bei der 2 Uhr Schicht haben wir immer elf Stunden gearbeitet. Wo sind die Stunden, die wir gearbeitet haben?" / "Das ist doch Terror, was hier in Deutschland abgeht! Da wird man doch verrückt, ich komme nie wieder her."

Tönnies-Sprecher: "müssten Fälle prüfen"

Wir unterhalten uns noch ein paar Minuten – der Fahrer raucht seine Zigarette zu Ende, dann steigt er ein, lässt den Motor an – mindestens 20 Stunden Fahrt im engen Minivan stehen ihm und den Arbeitern bevor.
Ein paar Tage nach meinem Besuch in Sögel konfrontiere ich den Pressesprecher von Tönnies, Fabien Reinkemeier, mit den Vorwürfen der frustrieten rumänischen Arbeiter. Meine Fragen schicke ich per E-Mail. Zu den Arbeitszeiten und den Wohnunterkünften antwortet er:

"Die von Ihnen genannten Fälle müssten wir im Einzelnen prüfen. Die Daten der elektronischen Arbeitszeiterfassung fließen automatisch in die Personalabteilung, wo dann die Abrechnungen erstellt werden. Daher können wir Ihre Hinweise nicht nachvollziehen. Die Miete ist abhängig von der Größe, Lage und Ausstattung der Wohnung und liegt im ortsüblichen Bereich zwischen 190 bis 290 Euro."

Kämpfer im Epizentrum der Fleischindustrie

Ich bin auf dem Weg zum Pfarrbüro von Peter Kossen – vor einem Jahr nach den Skandalen bei Westfleisch und Tönnies gingen hier die Reporter ein und aus, immer wieder riefen ihn Journalisten an. Auch ich habe ihn vor einem Jahr zu den Zuständen in der Fleischindustrie interviewt. Denn als es im Mai 2020 zu den massiven Corona-Ausbrüchen bei Westfleisch kam, hat Kossen vor dem Werkstor demonstriert.

Seine Gemeinde liegt in Lengerich, ein Städtchen bei Osnabrück – quasi im Epizentrum der deutschen Fleischindustrie – allein in dem Ort mit seinen 20.000 Einwohnern leben etwa 1000 osteuropäische Arbeiter. Der 53-jährige katholischer Priester kennt viele von ihnen – seit Jahren kämpft er für ihre Rechte. Er nennt das, was sich in der Fleischindustrie abspielt, schon seit Jahren: Moderne Sklaverei – die Subunternehmer nennt er Mafia.
Pfarrer Peter Kossen (l) und sein Mitstreiter Dominik Blum protestieren im Mai 2020 vor einem Fleischwerk in Coesfeld.
Die Notlage der Menschen werde auf brutale Weise ausgenutzt, sagt Pfarrer Peter Kossen (l), der hier vor einem Fleischwerk protestiert. © picture alliance / dpa / augenklick / firo Sportphoto
"Wir sehen, dass weiterhin die Haltung der Stil, mit den Mitarbeiterinnen umzugehen, auch sie weiterhin abhängig zu halten. Das sehen wir in unserer Beratungsarbeit weiterhin an vielen Stellen. Es hat sich also im Grundlegenden für die Menschen nicht so viel verändert. Ihre Notlage, aus der heraus sie hierherkommen, für die sie ihre Heimat zurücklassen, wird hier auf brutale Weise ausgenutzt.

Es ist auch so, dass in der Fleischindustrie nur die in Schlachtung und Zerlegung von dem neuen Gesetz profitieren. Viele Menschen, die in der Gebäudereinigung tätig sind in der Fleischindustrie, in der Verpackung oder in der Logistik, können weiterhin ganz legal in Deutschland ausgebeutet werden und werden es auch."

Berichte von Demütigung und Druck

"Was wird ihnen denn in der Beratung konkret berichtet?" / "Dass weiterhin anschreien, demütigen, unter Druck setzen im Alltag, gang und gäbe ist. Und an der Wohnsituation hat sich nach unserem Erkenntnisstand fast gar nichts verändert. Wir sehen auch, dass es viele Versuche gibt, das Gesetz zu umgehen, Lücken zu finden oder es schlichtweg zu ignorieren. Da wo es keine Kontrolle gibt, und Kontrolle wurde in den letzten Jahren stark zurückgefahren, da riskiert man offensichtlich auch, einfach mal so weiterzumachen."
"Jetzt ist das Ganze in der Fleischindustrie verändert worden – Werkverträge und Leiharbeit sind verboten, müsste das auch in anderen Branchen in der Art und Weise geschehen?"

"Das müsste unbedingt geschehen. In einem persönlichen Telefonat mit Bundesarbeitsminister Heil hat dieser mir gesagt, wir haben jetzt einen Anfang gemacht, aber wir müssten uns eigentlich als Nächstes auf die Logistik schauen. Und das ist sehr notwendig. Sowohl in der Fleischindustrie, die Bereiche, die noch nicht in den Genuss dieser neuen Regelung kommen, müsste man miteinbeziehen, wie auch die Logistik, die Gebäudereinigung, den Gemüseanbau. Andere Branchen, die sich in der Fleischindustrie ein schlechtes Beispiel genommen haben. Es betrifft viele Hunderttausend Menschen in Deutschland, Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten, die nach wie vor relativ ungeschützt sind."

Von der Pflicht des Erzählens

Ich sitze mit Inge Bultschnieder auf ihrer Terrasse in der Kleinstadt Rheda-Wiedenbrück. In den blühenden Kirschbäumen singen die Vögel – immer wieder kommt Bultschnieders Hund zu mir, um sich streicheln zu lassen. Die 48-Jährige mit den langen roten Haaren kennt fast jeder hier im Ort – nicht nur, weil sie ein kleines Café in der Innenstadt betreibt und mit ihrem Waffelstand auf dem Markt steht. Sie legt sich mit dem Tönnies-Konzern an, der hier seinen Hauptsitz hat. Seit sie vor neun Jahren im Krankenhaus lag, im Bett neben ihr lag Katja, eine Werkvertragsarbeiterin.
"Die Frau sah total abgemagert aus, ich habe gedacht, das ist bestimmt eine Werkvertragsarbeiterin. Und weil ich minimal Mazedonisch spreche, habe ich gedacht, versuche es auf Mazedonisch, habe die dann angesprochen und die war total glücklich, dass sie jemand angesprochen hat und hat sofort angefangen, zu weinen und zu erzählen. Und so kam das zustande, dass ich gesagt habe, ich helfe dir. Ich sah das auch als meine Pflicht an, das zu erzählen. Das hat stattgefunden, das muss an die Öffentlichkeit, damit es aufhört. Aber dann wurde mir gesagt, haben sie keine Angst, es gibt ja eine Fleischmafia? Ja sicher habe ich Angst, aber was soll ich machen?"

"Politik machen hier die Fleischbosse"

"Sie haben sich ja jahrelang drum gekümmert. Die Politik hat auch mal hingeschaut, aber es hat sich nichts geändert, was Gesetze angeht. Und auf einmal war das Interesse auch der Bundespolitik da – wie haben sie das empfunden?" / "Auf der einen Seite sagt man, Gott sei Dank bewegt sich jetzt was. Aber die andere Seite sagt einem, warum musste das solange dauern, warum mussten so viele Menschen erst krank werden. Das wurde aus meiner Sicht ganz lange aus Profitgier einfach hingenommen. Die Politik machen hier nicht die Politiker, die Politik machen hier die großen Fleischbosse."


Wir machen uns auf dem Weg zu einigen der Unterkünfte der Arbeiter. Als vor einem Jahr mehr als 1000 Tönnies-Werkvertragsarbeiter mit Corona infiziert waren und die Behörden die Unterkünfte kontrollieren wollten – konnte oder wollte der Konzernchef die Adressen der Arbeiter zunächst nicht rausgeben – angeblich aus Datenschutzgründen. "Hier sind wir jetzt in einer Gegend, wo sehr viele Ausländer wohnen.
Der Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies Holding, Clemens Tönnies (r), und sein Sohn und Tönnies-Mitgesellschafter Maximilian Tönnies (l) stehen vor einem Firmengebäude mit dem Geschäftslogo.
"Die Fleischbosse" Maximilian Tönnies (l) und Vater Clemens Tönnies.© picture alliance / dpa / Friso Gentsch
In diesen Häuern, gerade hier vorne habe ich meine ersten Erfahrungen mit Werkvertragsarbeitern gemacht. Das ist hier eine von den Wohnungen, wo ich damals drin war, wo ich weiß gar nicht mehr wie viele Doppelstockbetten übereinander standen. Wo die Leute mit sechs, sieben Leuten auf einem kleinen Zimmer gewohnt haben. Hier fielen die Fliesen im Badezimmer von den Wänden.

Tönnies hat mehr als 700 Wohnungen und Häuser gekauft

"Hallo hast du das Gefühl, hier wohnen weniger Leute als damals?" / "Auf jeden Fall, es wohnen weniger Leute da, die Wohnungen werden alle renoviert. Es hat sich wirklich was getan. Es geht los ja." / "Der Vermieter ist derselbe geblieben?" / "Ja, aber das kommt mehr von Tönnies aus, diese Aktion, weil er ja soviel Druck bekommen hat, dass er auch die Wohnsituation verändern will." "Das ist ja ne gute Nachricht." / "Ja mal was Positives!"

Nach Angaben von Tönnies haben bis vor einem Jahr 30 Prozent der Arbeiter in Wohnungen von Subunternehmern gelebt. Für diese Mitarbeiter habe Tönnies in den vergangenen Monaten mehr als 700 Wohnungen und Häuser gekauft oder gemietet.
Vor einem Mehrfamilienhaus stehen Mülltonnen und liegen Müllreste.
Mit bis zu sieben Menschen auf einem kleinen Zimmer: Unterkunft von Arbeitern in Rheda-Wiedenbrück.© Deutschlandradio / Manfred Götzke
"Wissen Sie, wie vielen Arbeitern sie haben helfen können?" "Ich glaube nicht, dass das wirklich so viele waren. Klar, wir haben einiges angeschoben. Man kann sich dann ganz vorne hinstellen und sagen allen. Das war das Wichtigste in dieser Stadt, dass Leute jetzt den Mut haben, Laut zu sagen, da sind Leute, die arbeiten bei Tönnies. Und da ist was nicht in Ordnung. Dass Leute heute bei mir zu Hause anrufen oder bei der Stadtverwaltung anrufen: Da wohnen Menschen, das habe ich beobachtet, das geht so nicht. Das hätte es vorher nicht gegeben. So gesehen haben wir schon sehr vielen geholfen."
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