Tönende Reise durch die Literaturwelt

Von Oliver Seppelfricke |
Das Mittel des Dichters ist die Sprache und wie die sich bei den diversen Literaten anhört, ist in der Ausstellung „Anna Blume trifft Zuckmayer“ erfahrbar: Dort werden die Stimmen von 60 Schriftstellern in verschiedenen Sprechsituationen anhand alter Rundfunkaufnahmen, aufgezeichneter Reden und privater Tonbandmitschnitte vorgestellt.
Karl Kraus: „Ein Schwarm von Raben umkreist krächzend die Beute...“

Ingo Starz: „Die Hörbücher erleben seit Jahren einen Boom und es werden immer mehr Originalaufnahmen von Schriftstellern veröffentlicht. Hierbei finden meist Lesungen Beachtung. Uns hat das ganze Spektrum der Dichterstimme interessiert. Der Dichter nicht nur lesend, sondern auch redend, im Gespräch usw. Wir haben uns an die Arbeit und in die Archive gemacht und etliches sehr interessantes Material aufgefunden.“

Sagt Ingo Starz, Kurator der Schau im Züricher Museum Strauhof. Zusammen mit Co-Kurator Stefan Bertschi ist er tief in die deutschsprachigen Schallarchive eingetaucht. Hat im Deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt nach Dichterstimmen gesucht, in den Archiven der ARD-Sender vom Norddeutschen Rundfunk bis hinunter zum Bayrischen Rundfunk, im Archiv des ORF und des Schweizer Rundfunks, sowie in der Österreichischen Mediathek und in den nationalen Literaturarchiven.

Eine Suche, die sich gelohnt hat. Wie man eingangs gehört hat in einem seltenen Tonfilmdokument, Karl Kraus las dort 1934, zwei Jahre vor seinem Tod, vor der Kamera aus seinem Werk „Die letzten Tage der Menschheit“.

Ingo Starz und Stefan Bertschi haben ihre gefundenen Schätze im Museum Strauhof sehr übersichtlich zu sieben Stationen angeordnet.

Ingo Starz: „Die sieben Situationen sind Sprechsituationen: Rede, Bericht, Gespräch, Performance, Lesung, Lied, und als Ausnahmesituation Archiv. Wir gehen vom Bestand des Wiener Phonogrammarchivs aus, wo über die Kriege hinweg zahlreiche Aufnahmen erhalten sind. Ethnografische Aufnahmen sowie solche von Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens, darunter Marie von Ebner-Eschenbach von 1901, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler 1907.“

Stefan Bertschi: „Das sind die ältesten überlieferten Aufnahmen. 1901. Es ist eine große Freude. Das Dokument ist nicht unproblematisch. Es rauscht sehr stark, wenig Stimme, aber was man hört, erfreut durchaus. Auch die Freude, dass das noch da ist.“

So Stefan Bertschi, der zweite Kurator. Die Züricher Ausstellung bemüht sich, die Dichter auch außerhalb ihres normalen literarischen Lebens zu zeigen. Als Menschen. Wie sie Mikrofone ausprobieren und fluchen (wie Hans Richter beispielsweise) oder wie sie ihr persönliches Bedauern und Entsetzen ausdrücken. Wie es der große Schweizer Autor Niklas Meienberg 1993 tat, in einem Radiointerview aus Anlass der Einnahme der Stadt Srebrenica.

Die Schau zeigt Persönlichkeiten in gewohnten und ungewohnten Situationen sowie große Momente der Medien- und Zeitgeschichte. Manche Dichterstimmen sind ganz in ihrem Element.

„Von den frühen Aufnahmen sehr interessant ist Egon Erwin Kisch, der eine Reportage vom Roten Platz in Moskau gemacht hat, 1931. Es wurde direkt nach Deutschland übertragen. Es fasziniert, weil die Parade unmittelbar erfahrbar ist und die Stimme bisweilen Mühe hat, den Lärm zu durchdringen, der durch das Singen der Internationale entsteht. Es gibt einen guten Eindruck vom rasenden Reporter und seiner Fähigkeit, sehr direkt und sehr spontan Ereignisse in Worte zu fassen.“

Die Schau macht verschiedene Sprechsituationen und Zeitmomente hörbar. Thomas Mann beklagt in einer Radioansprache den Angriff deutscher Flieger auf Coventry; Günter Grass bedauert in einem offenen Brief an Anna Seghers den Mauerbau; Christa Wolf trägt 1989 in einer Rede ihre Skepsis über die Wiedervereinigung vor; Friedrich Dürrenmatt hält eine Laudatio auf Vaclav Havel und Botho Strauß nimmt 1989 den Büchnerpreis entgegen.

Dichter lesen aus ihren Werken, halten Vorträge oder Reden, geben Interviews, singen (wie Kurt Schwitters seine „Ursonate"). Es ist eine Parade der großen Namen. Von Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal geht die tönende Reise bis hin zu neueren Autoren. 70 Dichterstimmen sind versammelt, das Spektrum ist enorm.

Service:
Die Ausstellung „Anna Blume trifft Zuckmayer – Dichterstimmen in Tondokumenten 1901-2004“ ist bis zum 26. Februar 2006 im Museum Strauhof zu sehen und zu hören.