Todsünden können nützlich sein

In seinem aktuellen Buch räumt der Sozialpsychologe Simon M. Laham mit Vorurteilen gegenüber den sieben Todsünden auf, die seiner Ansicht nach auch gute Seiten haben: So fördert sexuelle Lust das analytische Denken – und Zorn führt zu besseren Leistungen.
Sündigen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen? Kein Problem, sagt der australische Sozialpsychologe Simon M. Laham und räumt damit grundlegend mit den in den Klöstern des Mittelalters entstandenen Leitlinien des Zusammenlebens auf. Moralische Leitlinien, die bis heute in den westlichen Kulturen wirksam sind; selbst bei denjenigen, die sich nicht als Teil des christlichen Glaubenssystems betrachten. Für fast alle gilt: Die sieben Todsünden – vermeintliche Grundlagen darauf aufbauender weiterer Charakterschwächen – sind Gemeingut der westlichen Zivilisation. Und genau dagegen schreibt Laham an. Überzeugend legt er dar, "sündigen" ist nicht nur ein komplexer psychologischer Prozess, sondern auch gut für Mensch und Gesellschaft.

Seine Argumente beruhen dabei auf einer Reihe umfangreicher sozialpsychologischer Experimente, in denen Wissenschaftler weltweit das Verhalten von Menschen getestet haben, deren Gefühle zuvor in einen "sündigen" Zustand versetzt worden sind. Wie verändert (sexuelle) Lust das Wertesystem? Sind Menschen, die gut essen, großzügiger anderen gegenüber als jene, die Diät halten? Wie fleißig ist das Gehirn, während man ein Nickerchen hält? Und warum führt Zorn zu einer Leistungssteigerung?

Jedes einzelne Laster wird vom Autor untersucht
Schritt für Schritt arbeitet Laham jedes einzelne Laster ab, beginnend bei den körperlichen Sünden wie Wollust und Völlerei bis hin zu Neid und Hochmut. Natürlich räumt er ein, dass jedes Gefühl auch seine Schattenseiten haben kann. Ihm aber geht es um die verkannten positiven Effekte, die solche unter Verdacht stehenden Emotionen hervorrufen. Beispiel Lust. Wer sexuell erregt ist, ist anders fokussiert als im "normalen" Zustand, um ans Ziel – Sex – zu gelangen. Das fördert das analytische Denken und macht, um bei potentiellen Partnern besser dazustehen, hilfsbereiter.

Auch Trägheit als Synonym für Untätigkeit hat zu Unrecht einen schlechten Ruf. Denn während der Körper ruht, arbeitet das Gehirn kreativ an Problemlösungen. Die berühmten Aha-Effekte hat der Mensch in der Regel nach einer Portion Schlaf. Auch beim Zorn räumt der Sozialpsychologe mit Vorurteilen auf. Diese Emotion ist in Wirklichkeit nur selten mit Gewaltausbrüchen verknüpft. Bei den meisten Menschen führt sie zu Leistungssteigerungen, mehr Beharrlichkeit und einer kritischeren Bewertung von Informationen.

Das schöne an Lahams Analyse ist, dass man sich selbst in vielen Beispielen wiederfindet. Auf diese Weise lässt sich das eigene Selbstbild gerade rücken und das schlechte Gewissen beruhigen. Das Buch leistet jedoch mehr als individuelle Seelsorge. Es schafft einen Perspektivwechsel darüber, dass die menschliche Natur anders funktioniert, als sich das (kirchliche) Autoritäten vorstellen.

Besprochen von Vera Linß

Simon M. Laham: Der Sinn der Sünde. Die sieben Todsünden und warum sie gut für uns sind
Aus dem Englischen von Claudia Jones
Primus Verlag, München 2013
240 Seiten, 24,90 Euro