Todesstrafe in den USA

Pharmafirmen wollen keine Giftspritzen liefern

Blick in die "Todeskammer" des Staatsgefängnisses von Huntsville, Man sieht die weiße Liege, auf der die Todeskandidaten festgeschnallt werden, in dem grün gestrichenen Raum.
"Todeskammer" des Staatsgefängnisses von Huntsville, USA. © dpa/afp/epa
Von Thomas Reintjes · 18.08.2016
Viele Pharmafirmen versuchen, den Einsatz ihrer Medikamente für Hinrichtungsspritzen zu verbieten. Auf der Suche nach neuen Alternativen beziehen die US-Behörden das Gift bisweilen aus dubiosen Quellen.
Im Herbst 2010 bekommt Maya Foa den einen Anruf, der ihre Arbeit für die nächsten Jahre bestimmen sollte. Es ist der Anwalt eines Häftlings in Arizona, der an diesem Abend hingerichtet werden soll, mit der Giftspritze.
Die Anwälte hatten vor Gericht angefragt, wo die Substanzen herkamen. Und schließlich gab der Staat zu, dass sie aus einer Apotheke in England kommen. Und dort, in England, arbeitet Maya Foa bei Reprieve, einer Organisation, die sich für Menschenrechte und gegen die Todesstrafe einsetzt.
Der Staat Arizona bezog das Schlafmittel Thiopental, das bei Hinrichtungen Teil des Giftcocktails war, aus England, weil der amerikanische Hersteller des Mittels Lieferengpässe hatte. Heute hat er die Produktion sogar ganz eingestellt.

Gift-Verkauf im Hinterzimmer einer Fahrschule

Maya Foa jedenfalls macht sich 2010, nach dem Anruf des Anwalts, auf die Suche nach der Apotheke - sie findet sie an einem unerwarteten Ort: dem Hinterzimmer einer Fahrschule.
In diesem Hinterzimmer saß eine Art Großhändler. Der hatte ein Regal voller Produkte, nicht nur für Hinrichtungen. Da waren auch Kräuterpräparate und andere Produkte, über die man vielleicht im Radio nicht reden sollte.
Dream Pharma, zu deutsch Traum-Pharma, nennt sich die Apotheke. Dass das Medikament aus dieser zwielichtigen Quelle stammt und zudem laut Maya Foa auch noch entsprechende Zulassungen fehlen, kann die US-Behörden nicht stoppen. Der Häftling in Arizona wird trotzdem hingerichtet.

Großbritannien verschärfte Ausfuhrbeschränkungen

Doch Foa bleibt dran, spricht mit Pharmaherstellern und Politikern. Innerhalb weniger Wochen verschärft Großbritannien die Ausfuhrbeschränkungen. Wenig später wird eine EU-Richtlinie entsprechend geändert. Die US-Bundesstaaten, die die Todesstrafe vollstrecken wollen, müssen sich wieder nach Alternativen umsehen. Sie werden unter anderem fündig in der Produktpalette des dänischen Pharmaherstellers Lundbeck. Bei dessen amerikanischer Niederlassung arbeitet Sally Young.
"Ich las in einem Zeitungsartikel, dass eine andere Firma Schwierigkeiten hatte, einen Bestandteil für eines ihrer Produkte in die USA zu importieren und dass sie deshalb das Produkt nicht herstellen konnten, das Teil des Giftcocktails bei Hinrichtungen ist. Und ganz am Ende hieß es: Das Produkt ist jetzt durch Lundbecks Pentobarbital ersetzt worden."

Missbrauch des Medikaments

Sally Young ist überrascht und schockiert. Den Einsatz bei Hinrichtungen sieht sie als Missbrauch des Medikaments und in krassem Gegensatz zu den Zielen des Unternehmens.
"Wir waren entschieden dagegen, dass eines unserer Medikamente für Hinrichtungen verwendet wird. Leben zu beenden widerspricht dem, was wir tun wollen, nämlich das Leben von Menschen zu verbessern."
Und in diesem Fall sei es sogar so, dass Pentobarbital Leben retten kann. Es kommt in Notfällen zum Einsatz, bei bestimmten epileptischen Anfällen, die ohne das Medikament tödlich enden können.
"Als Erstes haben wir bei diesen Staaten, die das Medikament für Giftspritzen verwendet haben, Einspruch eingelegt. Wir haben Briefe an die Gouverneure und die Gefängnisbehörden geschrieben, und sie dringend gebeten, die Nutzung von Pentobarbital für Hinrichtungen einzustellen. Aber das hat nichts gebracht."
Vor allem aus Europa kommt immer mehr Druck von Ärzten, Aktivisten und Politikern, etwas zu tun. Aber Forderungen, das Medikament vom Markt zu nehmen, lehnt die Firma Lundbeck ab. Schließlich sollen Patienten, die es brauchten, weiter damit versorgt werden. Bei Lundbeck suchen sie nach einem Weg aus der Zwickmühle.
"Es gab kein Drehbuch. Nie zuvor hatte ein Hersteller erfolgreich eine missbräuchliche Verwendung unterbinden und gleichzeitig die Versorgung von Patienten sicherstellen können."

Pharmaunternehmen fürchten um Image

Schließlich wendet sich Sally Young an Maya Foa bei Reprieve. Zusammen arbeiten sie an einer Lösung. Die sieht so aus, dass Lundbeck seinen Vertrieb für Pentobarbital komplett umstellt. Es gibt nur noch einen Zwischenhändler und der schickt das Medikament direkt an die Endverbraucher, also Krankenhäuser und Ärzte. Die müssen zuvor unterschreiben, dass sie Pentobarbital nur für den vorgesehenen Zweck einsetzen und nicht weitergeben. Das funktioniert, und zwar bis heute, obwohl Pentobarbital inzwischen von einem anderen Hersteller übernommen wurde.
Auf der Suche nach immer neuen Alternativen für den Giftcocktail legen sich die US-Behörden mit einer Pharmafirma nach der nächsten an. Die fürchten um ihr Image, das oft ja ohnehin nicht besonders gut ist, und suchen deshalb nach Wegen, die Verwendung ihrer Medikamente besser zu kontrollieren. 25 Unternehmen haben entsprechende Maßnahmen ergriffen und sich gegen Hinrichtungen ausgesprochen, zuletzt der Konzern Pfizer.

Hinrichtung per Erschießungskommando

Das deutsche Unternehmen Fresenius Kabi hat unter propofol-info.com sogar eine gesonderte Website ins Netz gestellt. Darauf droht es den USA mit EU-Sanktionen, die die Versorgung mit einem oft bei Operationen verwendeten Anästhetikum gefährden würden. Giftspritzen zu verabreichen ist jetzt kaum noch möglich. Hat Maya Foa sich mit ihrer Arbeit nicht mächtige Feinde in den USA gemacht?
"Ein paar Offizielle wollen vielleicht mit dem Finger auf mich zeigen. Aber das ist nur ein Vorwand, schließlich haben sie Medikamente missbräuchlich eingesetzt. Sie müssen jetzt wohl eine neue Methode finden."
Oder eine alte: Der Staat Utah jedenfalls hat Hinrichtungen per Erschießungskommando wieder eingeführt.
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