Todesopfer im Kalten Krieg

Von Kirsten Heckmann-Janz · 08.07.2007
Der Jurist Walter Linse war eines der zahlreichen Entführungsopfer im Kalten Krieg. Wie kaum ein anderer Fall löste dieser Menschenraub in der Bundesrepublik und West-Berlin einen Sturm der Empörung aus. Das Todesurteil für Linse konnte der öffentliche Druck nicht verhindern.
"Wieder Menschenraub in West-Berlin","

der RIAS, der Rundfunk im Amerikanischen Sektor, am 8. Juli 1952. Eine Augenzeugin berichtete dem Reporter:

""Vielleicht 200 Schritte vom Hause entfernt stand ein Lieferwagen und davor ein Taxi. Ein junger Mann davon ging an Herrn Dr. Linse heran, da bekam er auch schon einen Schlag ins Gesicht. Und der andere Mann zerrte ihn von hinten in den Wagen. Ich rief um Hilfe: Polizei!"

Mit überhöhter Geschwindigkeit raste der als West-Berliner Taxi getarnte Wagen über einen nahe gelegenen DDR-Grenzkontrollpunkt. Walter Linse, Mitarbeiter beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen, lag verletzt im Fond des Wagens.

Zwei Tage nach der Entführung versammelten sich in West-Berlin vor dem Rathaus Schöneberg mehr als 25.000 Menschen zu einer Protestkundgebung. Prominentester Redner war der Regierende Bürgermeister, Ernst Reuter.

"Hier ist ein Mensch aus unserer friedlichen Mitte geraubt worden, überfallen worden, niedergeschlagen worden, hinausgefahren in die Folterhöhlen dieser Verbrecher. Er muss uns zurückgegeben werden, das fordern wir."

Auch Proteste der Amerikaner bei der sowjetischen Besatzungsmacht waren nutzlos. Sie leugneten, etwas über den Verbleib Linses zu wissen. Im Berliner Abgeordnetenhaus und im Bundestag war das Schicksal des 49-jährigen Juristen Gegenstand erregter Debatten. Der damalige Bundestagsabgeordnete Willy Brandt erklärte:

"Menschenraub, meine Damen und Herren, Menschenraub ist schlimmste Misshandlung des Menschenrechts, Menschenraub ist Mord oder zumindest Mordversuch. Organisationen, die Menschenraub betreiben, sind verbrecherische Institutionen."

Walter Linse wurde derweil im Staatssicherheitsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen durch Schlafentzug und überlange Verhöre zermürbt.

Der in Chemnitz geborene Jurist war 1949 aus der DDR nach West-Berlin geflohen. Seit Anfang 1951 leitete er das Wirtschaftsreferat beim Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen. Die vom amerikanischen Geheimdienst unterstützte Organisation sammelte Informationen aus den DDR-Behörden und -Verwaltungen. Außerdem berieten die Juristen DDR-Bürger zum Beispiel in Fällen von entschädigungsloser Enteignung und über Fragen des Arbeitsrechts in staatlichen Betrieben.

Die vom sowjetischen Geheimdienst initiierte Entführung Linses sollte nicht nur eine Warnung für seine Kollegen sein, sondern auch für alle DDR-Bürger, die mit dem Untersuchungsausschuss zusammenarbeiteten.

"Nicht nur Dr. Linse, sondern auch seine Kollegen und viele andere in West-Berlin tätigen Gegner des kommunistischen Regimes wussten und wissen, dass ihre Tätigkeit gefahrvoll ist."

Horst Erdmann, alias Theo Friedenau, der Leiter des Untersuchungsausschusses.

"Wenn sie sich ihr mit ganzem Herzen verpflichtet fühlen und davon nicht ablassen, dann ist es gewiss nicht Leichtsinn. Die Bevölkerung der Sowjetzone hat ein Recht darauf, dass sie in ihrem Abwehrkampf nicht alleingelassen wird, dass diejenigen, die das sie bedrückende System kennen und daher in der Lage sind, manches Unrecht zu verhindern oder zumindest zu mindern, nicht nur an ihre eigene Sicherheit denken."

Nach monatelangen Verhören im Stasi-Untersuchungsgefängnis wurde Walter Linse im Dezember 1952 dem sowjetischen Geheimdienst überstellt. Zehn Monate später verurteilte ihn ein sowjetisches Militärgericht wegen Spionage und antisowjetischer Propaganda und Gruppenbildung zum Tode. Am 15. Dezember 1953 wurde er in einem Moskauer Gefängnis erschossen.

Knapp 43 Jahre später, im Mai 1996, rehabilitierte ihn ein Militärstaatsanwalt der Russischen Föderation posthum.
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