Marianne Birthler über Werner Schulz

"Flammend und überzeugend"

11:22 Minuten
Der Politiker Werner Schulz (1950-2022) im Alter von 57 Jahren. Er stützt das Kinn auf eine Faust und blickt leicht zur Seite.
Der Bürgerrechtler und Grünen-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz im Jahr 2007 © picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Marianne Birthler im Gespräch mit Vladimir Balzer · 09.11.2022
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Werner Schulz war einer der prägendsten DDR-Oppositionellen. Nun ist er gestorben. Marianne Birthler erinnert sich an einen Weggefährten, der die Demokratie mit allen Mitteln verteidigen wollte und "über die große Gabe der Rede" verfügte.
Als das politische Berlin von seinem Tod erfuhr, unterbrach die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, die Sitzung und erinnerte an Werner Schulz. Sie sie sei "persönlich sehr traurig", sagte Göring-Eckardt. "Ein Ostdeutscher von Herkunft, ein Gesamtdeutscher von Herzen. Ein Europäer mit besonderem Blick auf Osteuropa, ein unermüdlicher Streiter für die Freihheit."
Werner Schulz war Mitbegründer des Neuen Forums, der wichtigsten Oppositionsbewegung in der DDR, später in der ersten frei gewählten Volkskammer, dann für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und im Europaparlament. 30 Jahre deutsche Einheit bilanzierte er als eine "Erfolgsgeschichte". Zwar könne man nicht von blühenden Landschaften, aber von Landschaften mit mehr Licht- als Schattenseiten sprechen.

"Notfalls mit der Waffe"

In der Frage um Waffenlieferungen an die Ukraine lag er zuletzt im Streit mit Teilen seiner Partei. Er vertrat die Position, dass Deutschland Waffen liefern soll. Man müsse sich an die Erfahrung der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern, die, "als sie die Greuel in Deutschland in den Konzentrationslagern entdeckten, erkannten: Das war zu spät und zu wenig, was wir getan haben. Wir hätten einiges verhindern müssen. Das ist im Moment die Situation. Wir haben das in unserem deutschen Wohlfühlzustand offensichtlich vergessen, dass man diese Demokratie wehrhaft verteidigen muss. Dass man seine Freiheit verteidigen muss. Notfalls mit der Waffe in der Hand."
"Er war einer, der sehr frühzeitig die Politik von Putin durchschaut hat und ohne Zögern an der Seite der Ukraine gestanden hat. Da war er klar und offensiv, das ist ihm anzurechnen", sagt Marianne Birthler.
Birthler war Wegbegleiterin und Freundin von Werner Schulz, früher selbst aktiv in der DDR-Opposition und Mitglied der Fraktion der Bürgerbewegung Bündnis 90 in der ersten frei gewählten Volkskammer 1990. Sie erinnert sich: "Er verfügte über die große Gabe der Rede. Es gab ja wenig Ostler, die das draufhatten, und er gehörte dazu. Flammend, überzeugend, detailgenau." Dafür habe sie ihn bewundert, sagt die spätere Stasi-Beauftragte Birthler.

Tradition der Bürgerbewegung lebendig halten

Warum Werner Schulz auch zu der kleinen Gruppe der DDR- Oppositionellen zählte, die der Politik treu geblieben ist, auch nach dem Ende der DDR, begründet Birthler so: "Er hat aus ganzem Herzen ja zur deutschen Einheit gesagt." Wichtige Triebfeder für ihn sei außerdem gewesen, die Tradition der Bürgerbewegung politisch lebendig zu bewahren.
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