Tod und Bestattung im Islam

Ausrichtung nach Mekka und Erde im Sarg

Führung türkischer Touristen auf einem muslimischen Friedhof, Mahmut II Türbesi, Cagaloglu, Istanbul, Türkei
Ein muslimischer Friedhof in Istanbul: Kein Grabsteine, sondern kleine Grabmoscheen. © dpa / picture alliance / imageBROKER / Karl F. Schöfmann
Peter Heine im Gespräch mit Thorsten Jabs · 04.11.2018
Das Grab zeigt gen Mekka und auf einen Sarg würden sie gern verzichten: Muslime bestatten ihre Toten anders als Christen. Es gibt aber auch viele Gemeinsamkeiten im Umgang mit Tod und Jenseits, erklärt der Islamwissenschaftler Peter Heine.
Thorsten Jabs: Auch wenn der Oktober zu weiten Teilen bisher ein goldener war, wir nähern uns mit großen Schritten dem Winter. Und hierzulande ist mit dem Absterben von Bäumen auch verbunden, dass gerade der Winter an die Vergänglichkeit erinnert. Statistisch gesehen sind die Monate Januar, Februar und März die Monate mit den höchsten Sterberaten. Zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime leben in Deutschland. Wie sie mit dem Tod umgehen, und wie muslimische Bestattungsrituale aussehen, darüber spreche ich jetzt mit dem Islamwissenschaftler Peter Heine, emeritierter Professor der Humboldt-Universität Berlin. Herr Heine, lassen Sie uns zunächst einmal über grundsätzliche Fragen sprechen. Welche Rolle spielt der Tod im islamischen Glauben?
Heine: Nun, der Tod spielt eine ganz vergleichbare Rolle wie im Christentum auch. Er ist sozusagen das Ende des Lebens, einerseits, aber er ist andererseits auch der Zugang zu einem neuen Leben, nämlich dem im Paradies. Daher ist noch stärker, als das bei uns in Deutschland zumindest der Fall ist, der ganze Zusammenhang mit Tod, Sterben, Bestattung einer, der sehr viel deutlicher noch auf das glücklichere Jenseits hin ausgerichtet ist.
Jabs: Ist das nicht im Christentum auch so, dass das Jenseits mit etwas Glücklichem verbunden wird?
Heine: Grundsätzlich ja, aber im Gegensatz im Christentum kennt der Islam sozusagen die Vorstellung eines Zwischenreichs wie dem Fegefeuer zum Beispiel nicht in dieser Form, sondern man stellt sich vor, dass der Tote im Grab liegt und auf den jüngsten Tag wartet. Und dann wird er von Gott gerufen, kommt vor seinen Richterthron und wird dann, je nachdem, wie er sein Leben gelebt hat, zugelassen ins Paradies oder in einen Ort, den wir wohl als Hölle bezeichnen würden, also etwas, wo es Flammen gibt, wo es Feuer gibt, wo alles ganz furchtbar ist. Aber für viele Muslime gibt es die Vorstellung, dass im Endeffekt doch alle Menschen ins Paradies kommen.
Jabs: Das hört sich erst mal gut an. Wenn ein Muslim stirbt, was sind die konkreten Schritte im Umgang mit dem Toten?

Geflüstertes Glaubensbekenntnis zu Geburt und Tod

Heine: Zunächst einmal, wenn sozusagen das Sterbemoment da ist, sollten die Umstehenden sich vorher von ihm verabschiedet haben, und zwar, indem sie sich entschuldigt haben für das alles, was sie ihm an Bösem oder Unfreundlichem getan haben. Und sie hoffen gleichzeitig auf sein Verzeihen dafür, was er ihnen möglicherweise getan haben mag. Das ist manchmal ganz merkwürdig, dass zum Beispiel auch hier in Krankenhäusern dann, kurz bevor der Tod eintritt oder einige Tage davor, wo das dann klar ist, Muslime in das Krankenzimmer und sich da hinstellen und dann irgendwann wieder gehen. Das ist für das Pflegepersonal eine etwas merkwürdige Situation zunächst einmal, aber wenn man das erkennt und erklärt, ist es ja auch nachvollziehbar. Und dann sollten die Verwandten oder sonst irgendjemand im letzten Moment sozusagen, wo das feststellbar ist, dem Toten noch mal die Schahada, das Glaubensbekenntnis des Islams, leise vorsagen oder ins Ohr flüstern. Genauso wie das Baby, wenn es zur Welt kommt, als Erstes – häufig durch die Hebamme oder so – das Glaubensbekenntnis vorgeflüstert bekommt, soll dann sozusagen am Ende des Lebens dieser zentrale Moment islamischen Bewusstseins eben auch noch einmal zum Ausdruck gebracht werden.
Im Vordergrund ein Grabstein mit arabischer Schrift, dahinter weitere Grabsteine (unscharf).
Muslimische Gräber auf dem Sennefriedhof in Bielefeld.© imago / ecomedia / Robert Fishman
Jabs: Und wenn der Mensch dann von uns gegangen ist, was passiert dann genau?
Heine: Ja, dann müssen die Verwandten oder die Freunde und so weiter, also seine Nächsten dafür sorgen, dass der Tote oder die Tote möglichst rasch beerdigt wird, das heißt möglichst schon am gleichen Tag oder höchstens 24 Stunden später. Bevor er aber nun wirklich zur Ruhe gebettet wird, muss der Tote oder die Tote noch einmal rituell gewaschen werden. Das sollten möglichst die Verwandten tun, es gibt aber in den traditionellen muslimischen Gesellschaften dann auch entsprechende Totenwäscher oder Totenwäscherinnen. Und dann wird er in ein Leichentuch gehüllt und möglichst rasch in einem Sarg oder auf einer Bahre zum Friedhof gebracht.
Jabs: Und kennen Muslime eigentlich auch Feuerbestattungen?
Heine: Nein. Also soweit ich weiß, wird die Feuerbestattung von den muslimischen Rechtsgelehrten immer noch strikt abgelehnt.

Der Leichnam muss auf der Erde liegen

Jabs: Und dann geht es zur Bestattungsstelle. Was sind das für Orte hier in Deutschland? Sind das rein muslimische Friedhöfe?
Heine: Also, wir sind da bei einem wirklichen Problem, das sich zum Teil heute schon etwas aufgelöst hat, denn ein Moslem oder eine Muslimin darf nicht mit Sarg bestattet werden. Das widerspricht fast allen Friedhofsordnungen, die wir in Deutschland haben. Das heißt, der Körper, der Leichnam wird im Leichentuch direkt auf die Erde gelegt, und der wird so positioniert, dass er nach Mekka blickt, also der heiligen Stadt des Islam. Dann ist es einfach so, dass viele – vor allen Dingen noch in den 70er-, 80er-, 90er-Jahren – Friedhofsverwaltungen sagten, das geht nicht, wir wollen da einen Sarg haben.
Dann hat man sozusagen einen Zwischenschritt entwickelt, dass man dann gesagt hat, gut, wir machen Folgendes: Wir akzeptieren, dass der Sarg mit Erde gefüllt wird und der Leichnam dann auf diese Erde positioniert wird. Dann ist sozusagen dieses Moment bis zu einem gewissen Grade akzeptiert. Und den Leichnam Richtung Mekka zu wenden, ist natürlich auch nicht so ganz einfach, weil es auch Vorschriften gibt, wie die Gräber entsprechend auf den Friedhöfen angeordnet werden sollen oder können. Daher sind die verschiedenen Friedhofsverwaltungen dazu übergegangen, dass man spezielle muslimische Gräberfelder einrichtet.
Lange Zeit ist es so gewesen, dass Muslime gesagt haben, nein, ich möchte aber nicht in einem "fremden Land" bestattet werden, und daher wurden die Leichen sehr rasch per Flugzeug dann in die Herkunftsländer zurückgebracht. Das hatte dann auch aus der Perspektive der Verwandten und so weiter den Vorteil, dass man die Gräber besuchen konnte. Mittlerweile ist es aber so, dass viele Muslime, die hier leben, auch kaum noch Verwandte in der Heimat haben, sodass gar nichts anders mehr übrig geblieben ist, als sie hier zu bestatten, und daher haben verschiedene muslimische Organisationen versucht, entsprechende Grundstücke zu kaufen und Gräberfelder zu kaufen. Das ist zum Teil auch gelungen, und da kann dann nun in der Form, das dem muslimischen Ritual entspricht, die Bestattung vollzogen werden.
Jabs: Ist das denn etwas, was der Koran vorgibt, dass Muslime eigentlich nicht in fremder Erde, sondern in der islamischen Welt bestattet werden sollen?
Heine: Der Koran äußert sich dazu nicht weiter. Man muss einfach sehen, in der Zeit, in der der Koran nach muslimischer Vorstellung offenbart worden ist, da war ja natürlich alles fremde Erde, außer einem kleinen Teil da in Medina und dann hinterher auf der Arabischen Halbinsel. Das ist nicht weiter debattiert worden, das ist, glaube ich, eine neuere Debatte, bei der sich die verschiedenen Rechtsgelehrten noch nicht so ganz einig sind.

Nur Männer gehen zur Beerdigung

Jabs: Wenn wir dann am Grab eines Muslims stehen, was sehen wir da?
Heine: Wir sehen eine Grube, die ausgehoben worden ist, und dafür sind entweder die Verwandten zuständig oder dann auch entsprechende Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung. Dann wird der Leichnam in die Erde gelegt und entsprechend positioniert, dass er gen Mekka blicken kann, und dann wird die Fatiha, das zentrale Gebet des Islams gesprochen, das ist die erste Sure des Korans. Das wird dann von den Anwendenden rezitiert, und dann verlassen die Frauen den Bestattungsort, denn bei der Bestattung sollen eigentlich keine Frauen dabei sein. Auch wenn Frauen bestattet werden, sollen nur Männer dabei sein. Das wird damit begründet, dass man vermeiden will, dass Frauen dann besonders laut weinen, exaltiert sind, denn man sagt, das Ganze hat auch seine positiven Seiten.
Der Tote, von dem kann man doch hoffen, dass er ins Paradies kommt. Das ist eine ganz alte muslimische Vorstellung. Es gab in der Zeit, in der der Islam entstand, natürlich auch das, was wir auch aus dem Neuen Testament beispielsweise kennen, nämlich die Klageweiber, professionelle Trauerfrauen, die eingekauft wurden, die das dann am Grab machten. Und es wird dann erzählt von dem zweiten Kalifen Omar, dass der, als er das sah, dass das noch so gemacht wurde, eine Peitsche nahm und auf die Frauen einschlug mit der Bemerkung, jetzt habt ihr wirklich Grund zu weinen. Dass jemand gestorben ist, ist in dem Sinne kein Grund, dass man nun auch vor allen Dingen ganz intensiv seiner Trauer Ausdruck gibt.
Jabs: Ist das heute auch noch so?
Heine: Das ist heute auch noch so.
Jabs: Und gehen dann muslimische Männer auch davon aus, dass sie dann nicht weinen?
Heine: Natürlich weinen alle, es ist nicht verboten zu weinen. Es gibt eine Tradition, dass selbst der Prophet bei dem Tod von einem lieben Menschen eine Träne vergossen hat. Aber das entspricht auch so ein bisschen der Frage von Verhalten, von Würde auch dem Toten gegenüber, denn man stellt sich ja vor, er liegt im Grab und wartet auf den jüngsten Tag. Da ist so eine Vorstellung dabei, dass er eigentlich nicht völlig ohne Bewusstsein ist, und dann ist eigentlich auch gar kein richtiger Grund da zu weinen.

Genaue Vorgaben für die Grabstelle

Jabs: Und wenn das Grab jetzt geschlossen ist, wie sieht dann die Grabstelle aus? Unterscheidet sie sich besonders von christlichen Grabstellen?
Heine: Das ist wirklich ein großes Thema im Islam, wie das Grab sein soll. Die ganz konservativen Muslime, also zum Beispiel Wahhabiten in Saudi-Arabien, die sagen, der Grabhügel darf nur soundso viel Zentimeter über der Erde ausgeführt werden, aber es gibt, wenn Sie in viele andere Länder kommen, des Nahen Ostens zum Beispiel, Gräber, die ganz so ähnlich aussehen wie unsere. Häufig gibt es auch große Grabstrukturen bis hin zu Grabmoscheen.
Jabs: Und gibt es denn auch die Tradition, den Toten regelmäßig zu besuchen?
Heine: Ja, es gibt diese Tradition, vor allen Dingen gibt es erst eine Tradition, dass man nämlich 40 Tage nach der Beerdigung zu einem Totenmahl zusammenkommt. Und im Übrigen besucht man die Gräber seiner Lieben eigentlich immer, wann man will, und bei der Gelegenheit betet man wieder die Fatiha, die erste Sure, und kann dann auch wieder weggehen und ein neues Mal kommen. Man besucht die Gräber vor allen Dingen an den großen Feiertagen des Islams, nämlich am Opferfest und am Fest des Fastenbrechens. Und bei der Gelegenheit werden die Gräber in vielen Ländern – ich kenne das aus Syrien, aber auch aus der Türkei – dann mit Palmzweigen geschmückt.
Jabs: Wenn wir das noch mal zusammenfassen, dann hört sich das ja – Sie haben es am Anfang gesagt – ein bisschen ähnlich an wie im Christentum, nur der Gedanke, dass das Jenseits vielleicht ein bisschen freundlicher wirkt, ist der ein bisschen stärker im Islam, kann man das vielleicht abschließend sagen?
Heine: Ja, ich denke, das kann man sagen. Auch die Vorstellung vom Paradies ist eine, die sehr viel lebhafter beschrieben wird. Dort wird man essen und trinken, und vor allen Dingen wird die Tatsache, dass man sozusagen Gott von Angesicht zu Angesicht sieht, als etwas ganz besonders Beglückendes beschrieben. Die Paradiesvorstellungen im Christentum sind, glaube ich, da etwas strikter oder schlichter.
Jabs: Herr Heine, vielen Dank für das Gespräch!
Heine: Sehr gerne!
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