Tod in Venedig

Von Michael Marek |
"Eine Nacht in Venedig" von Johann Strauß sollte "das Operettenereignis" des Jahres werden. Doch trotz der grandiosen Kulisse in Venedig hat das Stück in der Inszenierung von René Kollo viel von seiner Schlagkraft verloren. Die Aufführung wirkt blutleer und fantasielos.
Venedig, San Giorgio Maggiore: Hier, auf der kleinen Insel mit Blick auf Markusplatz und Dogenpalast, befindet sich ein einzigartiges Freilichttheater: das Teatro Verde.

Umgeben von herrlichen Zypressen und dem berühmten Benediktinerkloster soll hier allabendlich Wiener Operette zelebriert werden. Sechs Monate, so ist es zumindest noch geplant: "Eine Nacht in Venedig" von Johann Strauß. Regie führt der ehemalige Operntenor und Impresario René Kollo:

"Es ist eine Verwechselungsgeschichte, die im Originaltext so ist, dass Sie am Ende gar nicht mehr wissen, wer mit wem und was wie, was einem eigentlich am Ende in Verwirrung zurücklässt und man kein wirkliches Stück vor sich hat, keine Menschen, die man Nachverfolgen kann ... Also, ich wollte es ein bisschen klarer machen."

Ein kunterbuntes Bäumchen-Wechsel-dich-Spiel hat Strauß in seinem dreistündigen Werk komponiert: mit Intrigen, Seitensprüngen und verschlungenen Wegen. "Alle maskiert, wo Spaß, wo Tollheit, wo Lust regiert" – heißt es im Libretto.

Nach einer schmissigen Ouvertüre, am Dirigentenpult: Eraldo Salmieri, treibt Kollo den Zuschauer direkt ins venezianische Marktgewusel: Fischweiber und Melonenverkäufer treten auf, Makkaroniköche, fresslustige Kunden, liebes- und besitzhungrige Herzöge - die Handlung exakt nachzuerzählen, das scheint ein Ding der Unmöglichkeit.

"Eine Nacht in Venedig" gehört zum Besten, was Strauß auf die Operettenbühne gebracht hat. Und sie hat bis heute nichts von ihrer musikalischen Schlagkraft verloren. Der Walzerkönig hat diesen romantisch verklärten Fantasieort in doppelter Weise heraufbeschworen: Venedig als Sehnsuchtsbild der Nordländer, wie es dem touristischen Klischee entspricht. Dann aber auch als Bild einer abgründigen, sinnlich verwirrenden Stadt:

Kollo: "Es kristallisiert sich ja in diesem Stück leider nicht alles um einen Punkt. Es ist keine wirkliche Geschichte, es sind Bruchstücke, die Sie da haben. Das macht es natürlich auch für einen Regisseur auch etwas schwierig. Wenn Sie ‚Fledermaus’ machen, dann verfolgen Sie eine Linie, das ist in diesem Stück hier nicht, weil es hier eine zerbröselte Geschichte ist, von kleinen Momenten."

Kollos Inszenierung, vollmundig als "das" Operettenereignis angekündigt, ist so fantasielos, so blutleer, dass man eher an die Aufführungspraxis der sechziger Jahre denkt, an handgemalte Pappmaschee-Bühnenbilder und steife Fernsehballette als an die überwältigungsästhetische Eventkultur unserer Zeit: kein Feuerwerk, kein gebauter Canale Grande, nichts davon findet im Teatro Verde statt. Eine Inszenierung so leblos und platt, dass man den Eindruck hat, man erlebe eine konzertante Aufführung mit, nicht aber eine Bühnenvorstellung. Kein noch so altbackenes Klischee wird
ausgelassen. Stöckelschuhlaufende, blonde Senatorentmiezen, Makkaroniköche mit großen Nudellöffeln und digitalknipsende japanische Touristen gehören da zu den besonders unbeholfenen Figuren.

Den munteren Gleichklang von Freiheit und Gleichheit, den Johann Strauß in seiner "Nacht von Venedig" heraufbeschwört – bei Kollo sucht man ihn vergeblich. Die unsinnliche Macht des Geldes und die Besessenheit der Mächtigen, bei Strauß wird sie konterkariert mit den tolldreisten Kapriolen des einfachen Volkes – all das wird im Teatro Verde effektlos heruntergespielt. Wer schützt eigentlich Kunstwerke vor ihren Inszenierungen?

Am Ende regiert Walzerglückseligkeit im Dreivierteltakt - gebadet in bonbonfarbenem rosa Scheinwerferlicht. Beim Premierenpublikum fiel René Kollos Inszenierung durch. Mit Pauken und Trompeten, wie man so sagt. Tod in Venedig.