Tod in der Traumwelt
Es ist alles so schön. Schnee fällt auf die Bühne, das Tanzensemble hüpft ausgelassen darin herum. Oben allerdings droht ein riesiger, spitzer Eiszapfen. Wenn er herunter fällt, wird er zur tödlichen Bedrohung. Bernd Schindowski, seit 32 Jahren Ballettchef am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, bringt die Tanzoper "Les enfants terribles" von Philip Glass auf die Bühne, eine Auseinandersetzung mit der berühmten Erzählung von Jean Cocteau.
Elisabeth und Paul, Bruder und Schwester, bauen sich in der Wohnung der zunächst kranken und bald toten Mutter eine Traumwelt auf. Das "Spiel" ist für sie viel wichtiger als das Leben, es bedeutet alles. Manchmal integrieren sie Menschen aus der realen Welt in ihr Spiel, quälen und demütigen sie, verströmen aber auch einen seltsamen erotischen Reiz, der abhängig macht. Bis sich die Geschwister gegen einander wenden und ein Spiel auf Leben und Tod beginnt.
Jean-Pierre Melville und – verlegt in die Zeit von 1968 – Bernardo Bertolucci haben aus diesem Stoff packende Kinofilme gemacht. Und auch die Tanzoper, die Philip Glass mit der Choreografin Susan Marshall 1996 zur Uraufführung brachte, erzählt vom gefährlichen Rausch der Fantasie, rasenden Hirnen, wilder Sehnsucht nach Wollust, die nie ganz in die Ekstase mündet. Der Traum ist gefährlicher als die Wirklichkeit, das macht ihn so faszinierend, es gibt nichts Ernsteres auf der Welt als dieses manische Spiel. Die sich stets wiederholenden Minimal-Music-Klangfiguren, gepaart mit ausdrucksstarken aber nie explodierenden, stets den Deckel auf dem kochenden Topf haltenden Gesangslinien passen perfekt zu dieser Geschichte. Der Theatermusiker Glass ist hier auf dem Gipfel seiner Kunst.
In Gelsenkirchen spielen drei Pianisten auf Keyboards, was vielleicht einfacher abzumischen ist, aber der Musik einiges an Obertönen und Reichtum raubt. Die Sänger singen mikrofonverstärkt aus dem Rang, mit der Szene haben sie nichts zu tun. Dafür baut Bernd Schindowski den Erzähler des Textes sehr sinnvoll ein. Sinnierend, nie zu sehr Emotionen behauptend, aber stets gedankenklar wandert Thomas Weber-Schallauer durch die Traumräume. Er scheint ein Alter Ego Pauls zu sein, vielleicht sogar Jean Cocteaus, der viele autobiografische Momente in seiner Erzählung verarbeitete.
Schindowski erzählt die Geschichte mit dem Bewegungsrepertoire des leicht modernisierten klassischen Balletts, sehr athletisch, mit Sprüngen, Drehungen, kraftvollen Schrittfolgen. Diese jungen Menschen leben in einer völlig ästhetisierten Welt, deshalb überzeugt die Grundidee, doch die Ausführung gerät sehr harmlos. Niemals brechen Gewalt und Lust aus, stets merkt man die perfekte Körperbeherrschung erfahrener Tänzer.
Evgeny Gorbachev hat als Paul darstellerisch intensive Momente. Besonders begeistert er, wenn er durch ein überdimensionales Bett stapft und dabei eine Welle durch seinen Körper geht. Reduktion führt zur Konzentration, sonst herrscht viel zu viel Aktionismus und Eitelkeit auf der Bühne. Minimal music trifft auf maximal dance, die Geschichte bleibt dabei auf der Strecke.
Service:
"Les enfants terribles"
11., 29. April, 14. Mai und 3. Juli 2010
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Telefon 0209 – 4097 200
Jean-Pierre Melville und – verlegt in die Zeit von 1968 – Bernardo Bertolucci haben aus diesem Stoff packende Kinofilme gemacht. Und auch die Tanzoper, die Philip Glass mit der Choreografin Susan Marshall 1996 zur Uraufführung brachte, erzählt vom gefährlichen Rausch der Fantasie, rasenden Hirnen, wilder Sehnsucht nach Wollust, die nie ganz in die Ekstase mündet. Der Traum ist gefährlicher als die Wirklichkeit, das macht ihn so faszinierend, es gibt nichts Ernsteres auf der Welt als dieses manische Spiel. Die sich stets wiederholenden Minimal-Music-Klangfiguren, gepaart mit ausdrucksstarken aber nie explodierenden, stets den Deckel auf dem kochenden Topf haltenden Gesangslinien passen perfekt zu dieser Geschichte. Der Theatermusiker Glass ist hier auf dem Gipfel seiner Kunst.
In Gelsenkirchen spielen drei Pianisten auf Keyboards, was vielleicht einfacher abzumischen ist, aber der Musik einiges an Obertönen und Reichtum raubt. Die Sänger singen mikrofonverstärkt aus dem Rang, mit der Szene haben sie nichts zu tun. Dafür baut Bernd Schindowski den Erzähler des Textes sehr sinnvoll ein. Sinnierend, nie zu sehr Emotionen behauptend, aber stets gedankenklar wandert Thomas Weber-Schallauer durch die Traumräume. Er scheint ein Alter Ego Pauls zu sein, vielleicht sogar Jean Cocteaus, der viele autobiografische Momente in seiner Erzählung verarbeitete.
Schindowski erzählt die Geschichte mit dem Bewegungsrepertoire des leicht modernisierten klassischen Balletts, sehr athletisch, mit Sprüngen, Drehungen, kraftvollen Schrittfolgen. Diese jungen Menschen leben in einer völlig ästhetisierten Welt, deshalb überzeugt die Grundidee, doch die Ausführung gerät sehr harmlos. Niemals brechen Gewalt und Lust aus, stets merkt man die perfekte Körperbeherrschung erfahrener Tänzer.
Evgeny Gorbachev hat als Paul darstellerisch intensive Momente. Besonders begeistert er, wenn er durch ein überdimensionales Bett stapft und dabei eine Welle durch seinen Körper geht. Reduktion führt zur Konzentration, sonst herrscht viel zu viel Aktionismus und Eitelkeit auf der Bühne. Minimal music trifft auf maximal dance, die Geschichte bleibt dabei auf der Strecke.
Service:
"Les enfants terribles"
11., 29. April, 14. Mai und 3. Juli 2010
Musiktheater im Revier Gelsenkirchen
Telefon 0209 – 4097 200