Tod im Paradies

Von Dirk Fuhrig · 29.04.2013
Als am 30. April 1938 seine Werke bei der Bücherverbrennung in Salzburg in Flammen aufgingen, war der österreichische Autor Stefan Zweig bereits nach Brasilien geflüchtet. Dort wurde der Autor aber nicht glücklich und nahm sich 1942 zusammen mit seiner Frau das Leben. Heute erinnert ein Museum an sein Leben im Exil.
Die breite Schnellstraße führt in steilen Kurven die Berge hinauf. Eben noch am Strand von Rio de Janeiro, jetzt, 50 Kilometer weiter, sind wir schon mehr als 800 Meter über dem Meeresspiegel. Üppiger Tropenwald. Mittendrin die alte Kaiserstadt Petrópolis. Das Haus mit der großen Fensterfront liegt an einem Hang, am Eingang zum Stadtzentrum.

"Die saßen manchmal den ganzen Nachmittag auf den Stufen vor dem Haus, das Ehepaar, und sie warteten auf den Briefträger - der nie kam."

Kristina Michahelles hat nicht nur zahlreiche Werke Stefan Zweigs ins Portugiesische übersetzt. Sie ist auch eine der Gründerinnen des Vereins, der sich für das Erbe des Dichters in Brasilien einsetzt.

"Es ist ein ganz winziges Häuschen, aber mit großer gedeckter Terrasse und wunderbarem Blick,"

schrieb Zweig am 17. September 1941 direkt nach seiner Ankunft in Petrópolis.

"Jetzt im Winter reichlich kühl und der Ort so schön verlassen wie Ischl im October oder November. Aber endlich ein Ruhepunkt für Monate und die Koffer werden eben auf langes Nimmerwiedersehen verstaut."

Von der Welt verlassen
Bereits 1934 hatte der Autor von "Ungeduld des Herzens" und "Sternstunden der Menschheit" seine Heimat Österreich verlassen, weil auch seine Werke auf den Listen der Bücherverbrenner standen. Nachdem Großbritannien in den Krieg eingetreten war, hatte es Zweig von seinem ersten Exil London weiter nach Südamerika gezogen, wo sich der großbürgerliche Intellektuelle sehr bald von aller Welt verlassen fühlte.

Diese Trostlosigkeit kann Kristina Michahelles bis heute gut nachvollziehen:

"Und vorher verkehrten in seinem Haus in Salzburg von Toscanini bis Romain Rolland alle Größen dieser Welt. Es gibt jetzt die 'South American Letters', die letzten Briefe als Buch. Und da kommt das alles sehr zur Sprache: Vereinsamung, kein Kontakt, die Deutschen hatten keinen Kontakt zu ihm als Juden. Sie waren sehr isoliert."

Nur rund fünf Monate lebte Stefan Zweig mit seiner Frau Lotte in dem "winzigen Häuschen" in der Rua Gonçalves Dias Nummer 34 in Petrópolis.

"Dieses Haus ist sehr feucht. Wenn es in Petrópolis regnet, dann kann es sehr ungemütlich sein. Und die fünf Monate - sie waren ja nur fünf Monate hier - davon hat es drei geregnet. Und Lotte hatte Asthma."

Die Verzweiflung, die Stefan Zweig und seine Frau nur wenige Monate später in den Selbstmord trieb, steht in Kontrast zur eigentlich eher eleganten Atmosphäre des als Residenz des brasilianischen Kaisers im 19. Jahrhundert gegründeten Kurorts Petrópolis. Sie will auch gar nicht passen zur Brasilien-Begeisterung des Autors, die er nach seinem ersten Besuch des Landes, anlässlich des PEN-Kongresses 1936 in Rio, in der hymnischen Abhandlung "Brasilien. Land der Zukunft" zu Papier brachte:

"Es ist ein schönes Land. Außerdem ein Land, in dem die unterschiedlichen Ethnien zusammenleben","

so fasst der brasilianische Zweig-Biograf Alberto Dines dessen überschäumenden Enthusiasmus zusammen:

""Er formulierte es in der Einleitung zu seinem Brasilien-Buch: Er möchte in diesem Buch die positiven Kräfte hervorheben. Diese rassische, kulturelle, soziale Harmonie ... Er sprach nicht von Multikulturalismus - dieser Begriff existierte natürlich noch nicht. Aber ihm ging es um die Kombination der Kulturen, nicht nur der Rassen, sondern auch der Kulturen."

Hoffnung auf ein wohlwollendes Buch
Alberto Dines ist 81 Jahre alt und ein prominenter Journalist in Brasilien. Dines' umfassende Biografie "Tod im Paradies" kam in deutscher Übersetzung 2006 heraus und ist gerade jetzt in diesem Frühjahr in einer aktualisierten Auflage in Brasilien erschienen.

"Zweig sah in Brasilien Schwarze, Mulatten, Hellhäutige - alle zusammen. Das hat ihn sehr beeindruckt. Er sah ein Volk der Toleranz. Er war ein Idealist."

Für die Schattenseiten des Paradieses blieb Zweig teilweise blind: die soziale Ungerechtigkeit, die Gewalt, das diktatorische Regime und die restriktive Politik gegenüber den Weltkriegs-Flüchtlingen aus Europa. Der antisemitisch auftretende Machthaber Getúlio Vargas wurde von Zweig kaum kritisiert; von ihm hatte der jüdische Autor das Visum für sein Exilland bekommen. Vargas erhoffte sich - nach "Land der Zukunft" - von Zweig ein weiteres wohlwollendes Buch über Brasilien.

Das ehemalige Wohnhaus in Petrópolis wurde jetzt frisch renoviert und als kleines Museum eingerichtet. In den Räumen sind Bücher, Handschriften, Briefe ausgestellt. Filme über ihn und Verfilmungen seiner Werke können angeschaut werden

Kristina Michahelles: "Er rührt an Menschen. Wir haben viele Fälle von Besuchern, die einfach die Abschiedserklärung lesen und anfangen zu weinen. Auch waschechte Brasilianer sind berührt von der Geschichte. Das Drama des Doppel-Selbstmords, das Drama der Emigration, das ist etwas, was Generationen, die auch nicht selbst davon betroffen sind, rührt."

Um Besucher anzuziehen, veranstaltet das Museum nicht nur Lesungen und Vorträge, sondern mittlerweile sogar Schachturniere; auf dem Vorplatz des Hauses ist ein Brett aufgezeichnet. Michahelles und Dines hoffen, dass sie nicht nur den Autor der "Schachnovelle" bei jüngeren Leuten wieder ins Bewusstsein bringen können. Sie wollen in wechselnden Ausstellungen auch an andere Schriftsteller und Künstler erinnern, die aus Europa nach Brasilien fliehen mussten. Denn viele "verbrannte" und vertriebene Dichter wurden nach 1933 völlig vergessen.

Kristina Michahelles: "Deutschland hat keine Gedenkstätte des Exils. Und genau dieses Drama der Emigration, des Exils, wollen wir zeigen. Die Figur Stefan Zweig ist ein Aufhänger für diese viel größere Thematik."

Die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller fordert schon seit Jahren von der Bundesregierung die Schaffung eines solchen Zentrums für Exil. Mit der Casa Stefan Zweig hoch in den brasilianischen Bergen gibt es Ansätze dafür.
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