Tod einer Wahrsagerin
Julija, eine mondäne Dame aus Vilnius, ist Wahrsagerin. Die Spitzen des litauischen Staates verkehren bei ihr, die Neuen Reichen und die neuen Politiker. Doch eines Tages liegt Julija tot in ihrer Wohnung, mit einem Loch in der Schläfe. War es Selbstmord? Oder Mord?
Freunde versuchen den Fall zu lösen. Und aus ihrem Grab heraus kommentiert auch Julija die Ereignisse... Bald merken die Freunde: eine mächtige, im Geheimen agierende Organisation scheint verwickelt zu sein - Placebo. Aber wer oder was ist Placebo? Placebo manipuliert die Gesellschaft, über die Medien und über die Werbung. Placebo versucht die kollektive Gehirnwäsche. Und was will Placebo? Nichts weniger als eine neue Diktatur. Der Bürger soll degradiert werden: zum willenlosen Objekt der Globalisierung, zu einem Konsumenten ohne freien Willen.
Jurga Ivanauskaite, die 1961 in Vilnius geborene Autorin des "Placebo"-Romans, hatte einen ungewöhnlichen Werdegang. In der sowjetischen Ära studierte sie Grafik, wurde Punk und engagierte sich in der Unabhängigkeitsbewegung. Sie schrieb Beiträge für die Untergrundpresse und, seit den Achtzigern, mehr als ein halbes Dutzend Prosabände. Früher war die Rebellin nur Insidern bekannt: als bunter Vogel der einheimischen Literaturszene. Dann, 1993, ist sie mit einem neuen Werk über Nacht bekannt geworden. "Die Regenhexe" heißt das Buch; in Deutschland erschien es 2002.
Der Roman beschreibt die sexuellen Obsessionen dreier Frauen. Die erste, aus der Jetztzeit, liebt einen katholischen Priester. Die zweite, aus dem Mittelalter, begehrte einen wundertätigen Eremiten und wurde zum Opfer der Inquisition. Die dritte, Maria Magdalena, verzehrte sich nach Jesus selbst. Die Frau als Heilige und Hure...
Literarisch machte die Mischung aus Mystik und Mediävistik, aus Feminismus und Küchenpsychologie nicht viel her. Deutsche Rezensenten kritisierten den "schwül-heiligen Ernst", eine "verklemmte Klerikalerotik" und die "hölzerne Sprache". In Litauen provozierte der Roman damals einen Skandal. Auf Betreiben der Gesellschaft Opus Dei wurde er von den Behörden als "pornographisch" eingestuft und durfte nur in Erotikläden verkauft werden.
Die Autorin, nach eigenen Worten "verschreckt" durch diese Art Zensur, floh für Jahre nach Asien. Sie schrieb Sachbücher über Tibet und Tibeter im Exil, traf den Dalai Lama und konvertierte zum Buddhismus. "Die Regenhexe" avancierte daheim unterdessen zum Bestseller.
Mit "Placebo" ist Jurga Ivanauskaite nun zurückgekehrt in ihre baltische Heimat Litauen, das kleine, abgeschiedene Land mit nur 3,5 Millionen Einwohnern, ein Land mit hoher Selbstmordrate und einer großen Zahl an Sekten. Auch in diesem Roman verknüpft die Autorin mythische Elemente mit dem Alltag der Gegenwart, hier mit der Ära nach dem Ende der Sowjetunion.
Doch der Text verwandelt sich. Die Detektivgeschichte um die tote Wahrsagerin wird erst zum esoterisch gefärbten Melodrama, dann Plattform für eine Verschwörungstheorie und schließlich eine unheilvolle Gesellschaftsutopie im Geiste von Orwell und Huxley. Das Buch, so befanden einheimische Kritiker, habe tief in der litauischen Psyche einen Ton zum Klingen gebracht. Weil es die Skandale und Narrheiten der neuen Elite anprangert.
Nein, dieses Litauen hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Und die Erzählerin Jurga Ivanauskaite ergründet den Konflikt zwischen der unkritischen Öffnung nach Westen und jener stillen Sehnsucht nach einer Vergangenheit, in der angeblich alles einfacher war.
Jurga Ivanauskaite: Placebo
Roman. Aus dem Litauischen von Markus Roduner
Deutscher Taschenbuch Verlag. 440 S., 16,00 €.
Jurga Ivanauskaite, die 1961 in Vilnius geborene Autorin des "Placebo"-Romans, hatte einen ungewöhnlichen Werdegang. In der sowjetischen Ära studierte sie Grafik, wurde Punk und engagierte sich in der Unabhängigkeitsbewegung. Sie schrieb Beiträge für die Untergrundpresse und, seit den Achtzigern, mehr als ein halbes Dutzend Prosabände. Früher war die Rebellin nur Insidern bekannt: als bunter Vogel der einheimischen Literaturszene. Dann, 1993, ist sie mit einem neuen Werk über Nacht bekannt geworden. "Die Regenhexe" heißt das Buch; in Deutschland erschien es 2002.
Der Roman beschreibt die sexuellen Obsessionen dreier Frauen. Die erste, aus der Jetztzeit, liebt einen katholischen Priester. Die zweite, aus dem Mittelalter, begehrte einen wundertätigen Eremiten und wurde zum Opfer der Inquisition. Die dritte, Maria Magdalena, verzehrte sich nach Jesus selbst. Die Frau als Heilige und Hure...
Literarisch machte die Mischung aus Mystik und Mediävistik, aus Feminismus und Küchenpsychologie nicht viel her. Deutsche Rezensenten kritisierten den "schwül-heiligen Ernst", eine "verklemmte Klerikalerotik" und die "hölzerne Sprache". In Litauen provozierte der Roman damals einen Skandal. Auf Betreiben der Gesellschaft Opus Dei wurde er von den Behörden als "pornographisch" eingestuft und durfte nur in Erotikläden verkauft werden.
Die Autorin, nach eigenen Worten "verschreckt" durch diese Art Zensur, floh für Jahre nach Asien. Sie schrieb Sachbücher über Tibet und Tibeter im Exil, traf den Dalai Lama und konvertierte zum Buddhismus. "Die Regenhexe" avancierte daheim unterdessen zum Bestseller.
Mit "Placebo" ist Jurga Ivanauskaite nun zurückgekehrt in ihre baltische Heimat Litauen, das kleine, abgeschiedene Land mit nur 3,5 Millionen Einwohnern, ein Land mit hoher Selbstmordrate und einer großen Zahl an Sekten. Auch in diesem Roman verknüpft die Autorin mythische Elemente mit dem Alltag der Gegenwart, hier mit der Ära nach dem Ende der Sowjetunion.
Doch der Text verwandelt sich. Die Detektivgeschichte um die tote Wahrsagerin wird erst zum esoterisch gefärbten Melodrama, dann Plattform für eine Verschwörungstheorie und schließlich eine unheilvolle Gesellschaftsutopie im Geiste von Orwell und Huxley. Das Buch, so befanden einheimische Kritiker, habe tief in der litauischen Psyche einen Ton zum Klingen gebracht. Weil es die Skandale und Narrheiten der neuen Elite anprangert.
Nein, dieses Litauen hat noch nicht zu sich selbst gefunden. Und die Erzählerin Jurga Ivanauskaite ergründet den Konflikt zwischen der unkritischen Öffnung nach Westen und jener stillen Sehnsucht nach einer Vergangenheit, in der angeblich alles einfacher war.
Jurga Ivanauskaite: Placebo
Roman. Aus dem Litauischen von Markus Roduner
Deutscher Taschenbuch Verlag. 440 S., 16,00 €.