Tobias Hürter: "Das Zeitalter der Unschärfe"

Am Ende war die Welt eine andere

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Cover des Buchs "Das Zeitalter der Unschärfe. Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945" von Tobias Hürter
Erlebbare Geschichte: Tobias Hürter nimmt uns mit auf einen Ausflug in die Quanten-Welt. © Deutschlandradio / Klett-Cotta
Von Gerrit Stratmann · 05.11.2021
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Der Journalist Tobias Hürter hat sich mit der Quanten-Revolution in der Physik beschäftigt. Sein neues Buch zeigt uns, wie die Forschenden mit neuen Erkenntnissen und zugleich mit den politischen Herausforderungen ihrer Zeit rangen.
Im Jahr 1900 taucht ein neuer Buchstabe in einer Physikformel auf. Max Planck benötigt dieses kleine h, damit die Formel aufgeht. Was als Rechentrick beginnt, wird zum Auslöser der Quanten-Revolution in der Physik, nach der nichts mehr so ist, wie es bis zu diesem Tage war.
Tobias Hürter zeichnet in "Das Zeitalter der Unschärfe" die Chronologie dieses Umsturzes und dessen Folgen nach - bis zur Zündung der ersten Atombombe.
Beteiligt an dieser Revolution war neben Max Planck eine ganze Riege von Forscherinnen und Forschern, angefangen bei Marie Curie und ihrer Entdeckung der Radioaktivität, über Albert Einstein und den photoelektrischen Effekt, bis hin zu Niels Bohr und seinem Atommodell, Max Born, Arnold Sommerfeld, Werner Heisenberg, Wolfgang Pauli, Erwin Schrödinger, Paul Dirac, Louis de Broglie, Paul Ehrenfest, Lise Meitner, Otto Hahn.
Ihre Geschichten sind es, die Hürter in seinem Buch mit manchmal skizzenhaften, aber immer prägnanten Beschreibungen zum Leben erweckt.

Nachdenken über den Aufbau der Atome

Im Zentrum dieser neuen Quantentheorie steht das Nachdenken über den Aufbau der Atome, über die Natur von Elektronen und Lichtteilchen. Während andere Bücher meist die Darstellung quantenweltlicher Phänomene in den Vordergrund stellen, nimmt Hürter die Forschenden selber in den Fokus.
Er lässt uns teilhaben an ihren Marotten, ihren Werdegängen, ihren Liebschaften, ihren Überzeugungen, Zusammenkünften, Freundschaften und Streitigkeiten. Der Autor hat einen Blick für besondere Details, sein Buch ist gespickt mit Anekdoten aus dem Leben der Protagonisten. So treten sie nicht nur als Genies und Entwickler physikalischer Formeln auf, sondern werden als Persönlichkeiten greifbar.

Die Welt gerät aus den Fugen

Geschickt verwebt Hürter ihr Handeln mit dem Lauf der Geschichte. Der Erste Weltkrieg, Hunger, Pandemie, Judenfeindlichkeit, Inflation, Nationalsozialismus, Flucht und Vertreibung nehmen Einfluss auf das Leben der Wissenschaftler.
Während die Welt politisch und gesellschaftlich aus den Fugen gerät, lösen sich auch in der Physik alte Gewissheiten auf. Die Forscherinnen und Forscher ringen mit ihren neuen Erkenntnissen, in langen Gesprächen, auf Konferenzen und in Briefen.
Die Formeln sind eindeutig, die Mathematik funktioniert. Aber was bedeuten sie für die Wirklichkeit? Hier tritt sie zutage, die Unschärfe, die Uneindeutigkeit, die fortan ein Merkmal der neuen Quantentheorie wird.

Erlebbare Geschichte

Tobias Hürter hat die Quantentheorie von den Formeln befreit und eine erlebbare Geschichte daraus gemacht. Selten hat ein Buch die Entstehung dieser fundamental neuen Weltsicht derart plastisch und historisch stringent nachvollzogen.
Die beteiligten Personen treten den Lesenden dabei lebendig vor Augen. Dabei ist ihr inzwischen hundert Jahre alter Streit um die richtige Deutung der Quantenwelt bis heute nicht entschieden.

Tobias Hürter: "Das Zeitalter der Unschärfe. Die glänzenden und die dunklen Jahre der Physik 1895-1945"
Klett-Cotta / Stuttgart 2021
398 Seiten, 25 Euro

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