Tinnitus als Musikstück

Quälende Polyphonie im Kopf

10:16 Minuten
Illustration eines Rohrs aus dem knallige, spitze Dreiecke strömen.
Klirren, Fiepen, Dröhnen: Der Musikjournalist Aram Lintzel schrieb über sein Leben mit dem Tinnitus. Nun ist sein Essay als Hörkunst zu erleben. © Getty Images / Artur Debat
Aram Lintzel im Gespräch mit Gesa Ufer · 07.12.2021
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Ein Tinnitus schneidet den Musikjournalisten und DJ Aram Lintzel von fast allem ab, was er mit Leidenschaft verfolgte. Die Trauer darüber schrieb er sich von der Seele. Jetzt hat die Künstlerin Michaela Melián seinen Essay vertont.
"Es klirrt und klingelt, es fiept und dröhnt, es schleift und knattert, es knackt und brummt, es tost und trommelt" – so beschreibt Aram Lintzel, wie der Tinnitus in seinem Kopf ihn mit ständig neuen Klängen quält. Lintzel verfügt über ein reiches Vokabular für akustische Phänomene, denn er schrieb viele Jahre lang über Popmusik für das Magazin Spex und andere Publikationen und legte auch regelmäßig als DJ Platten auf.

Trauerarbeit nach dem Lärmtrauma

All das ist seit über 20 Jahren vorbei. Die Klänge in seinem Kopf machen es Lintzel unmöglich, Konzerte zu besuchen, geschweige denn, selbst welche zu geben. Beim Auftritt eines Avantgardemusikers erlitt er ein Lärmtrauma. Der Tinnitus, der sich daraufhin einstellte, stürzte ihn in mehrere schwere Depressionen.
In einem Essay für das Internetforum Tegel Media schilderte er seine Erfahrungen. Das sei "eine Mischung aus Verzweiflungstat, Coming-out und Selbsttherapie" gewesen, sagt Lintzel im Nachhinein. Das Schreiben habe ihm gutgetan: "Es ist eine dauerhafte Trauerarbeit, weil Popmusik mich geprägt hat und mir gewissermaßen abhandengekommen ist."

Klangkomposition und Spoken Word

Die Soundkünstlerin und Musikerin Michaela Melián hat Lintzels Essay nun als Hörstück veröffentlicht. Die Mischung aus Klangkomposition und Spoken Word erscheint unter dem Titel "Always There" auf dem Berliner Label von Martin Hossbach.
Dezente, schleifende, knisternde Klänge, die viel Raum für eigene Assoziationen lassen, begleiten den Text, den die Schauspielerin Juno Meinecke auf Englisch spricht. Es sei ihm wichtig gewesen, dass die Produktion es nicht darauf anlege, illustrativ abzubilden, was in seinem Kopf vorgehe, sagt Lintzel.
Im Leben mit dem Tinnitus habe er immer wieder die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen dazu neigten, viel in die Erkrankung hineinzuinterpretieren. "Du hast bestimmt viel Stress gehabt", bekomme er oft zu hören. Andere vermuteten, es gebe vielleicht ein ungelöstes Problem aus Lintzels Vergangenheit und rieten ihm, er solle mal in sich gehen.
Dabei sei ein Tinnitus letztlich "auf quälende Weise banal und völlig sinnlos", sagt Lintzel. So überraschend vielfältig und variantenreich die Polyphonie in seinem Kopf sich auch gestalte, komme er doch zu dem Schluss: "Ich kann es nicht wirklich interessant finden, dem irgendwas abgewinnen oder es gar genießen."

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