Timken für deutsche Beteiligung im Irak

Moderation: Annette Riedel und Marcus Pindur |
Der US-Botschafter in Deutschland, William R. Timken, hat sich nach dem Baker-Hamilton-Report für einen größeren deutschen Beitrag zur Stabilisierung des Iraks ausgesprochen. Das Land brauche Wirtschaftshilfe, Know-How, Ausbildung und Investitionen, sagte Timken. Zugleich wandte er sich gegen den Vorschlag, zur Lösung der Konflikte im Irak auch mit Syrien und Iran zu sprechen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Botschafter, Sie haben einmal gesagt, die Politik sei zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen - hören wir da eine ganz leichte Verachtung für die Politik heraus?

Timken: Ganz und gar nicht, jedes Land und seine Bürger haben einen politischen Apparat, der unverzichtbar für das Regierungsgeschäft ist und dafür sorgt, dass die Dinge angemessen geregelt werden. Wirklich, ich habe höchsten Respekt vor Menschen, die sich um ein politisches Amt bewerben und gewählt werden und da ihre Pflicht tun. Das ist oft ein schweres Geschäft und für gewöhnlich unterbezahlt. Gleichzeitig ist mir aber bewusst, dass sie, die Politiker nicht die ganze amerikanische Nation darstellen. Die Bürger selbst und die Bereiche außerhalb der Politik: Wirtschaft, Religion, Schulen, Bildung - all dies sind wichtige Teilbereiche einer Gesellschaft, nötig für deren Wohlergehen, und haben das Recht, sich in den politischen Dialog einzubringen.

Deutschlandradio Kultur: Aber das deutsch-amerikanische Zerwürfnis über den Irak-Krieg hat doch zum Beispiel gezeigt, das trotz guter Wirtschaftsbeziehungen die politischen Beziehungen sehr schlecht sein können. Zumindest haben die guten Wirtschaftsbeziehungen die politische Krise zwischen Schröder und Bush nicht verhindern können...

Timken: Auf jeden Fall haben Leute aus der Wirtschaft bessere und modernere Ansichten über Wirtschaftspolitik. Und je besser sie diese Expertise einbringen, umso besser kann man drohende ökonomische Krisen im Vorfeld verhindern.

Deutschlandradio Kultur: Karsten Voigt, der Beauftragte der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, hat jüngst gesagt, auch die Bundesregierung sei bereit, einen weiteren Beitrag zur Stabilisierung des Irak zu leisten. Was könnte das sein, was erwarten Sie von den Deutschen?

Timken: Ich habe jetzt Karstens Äußerungen nicht im Einzelnen gelesen, aber wir alle wissen, sowohl die deutsche und die amerikanische Regierung als auch Europa insgesamt haben ein Interesse an einer funktionierenden Demokratie im Irak. Es gibt viele Wege, das zu erreichen. Und das braucht Anstrengungen von allen Seiten. Der Irak braucht Wirtschaftshilfe, Know how, Ausbildung, Investitionen, viele unterschiedliche Sachen. Und bei dieser internationalen Unterstützung ist Platz für alle.

Deutschlandradio Kultur: Der Baker-Hamilton Report nennt als mögliche Unterstützer bei der Stabilisierung des Irak ausdrücklich Deutschland, Japan und Südkorea, warum?

Timken: Nun, Deutschland ist die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, Japan ist die zweitgrößte Wirtschaft, ich weiß nicht genau, wo Südkorea liegt, aber das sind alles Länder mit großen Fähigkeiten und Möglichkeiten....

Deutschlandradio Kultur: ....aber es muss einen Grund geben, warum gerade Deutschland erwähnt wird, und nicht zum Beispiel Frankreich oder Italien, die auch ein großes Bruttosozialprodukt haben....

Timken: Und warum Frankreich oder Italien da nicht erwähnt werden, das kann ich ihnen nicht sagen.

Deutschlandradio Kultur: Hat es Sie überrascht, wie klar und deutlich der Baker-Hamilton Report die bisherige Strategie im Irak als Fehlschlag gekennzeichnet hat?

Timken: Ich kenne Jimmy Baker und Lee Hamilton recht gut und ich habe eine hohe Meinung von ihnen. Und ich glaube, auch hier ist es sinnvoll, dass Menschen die Situation einmal von außen bewertet haben. Es ist klar, dass wir im Irak nicht gut zurechtkommen auf dem Weg zu einer erfolgreichen Demokratie und neue Ideen für unsere Entscheidungsträger sind ein Beitrag zur Lösung der Probleme.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Report verlangt von Präsident Bush nicht mehr und nicht weniger als eine 180-Grad-Wende, wird sich der Präsident darauf einlassen?

Timken: Der Präsident, die USA, die Welt haben ein Interesse daran, dass der Irak eine erfolgreiche Demokratie wird. Ich bin sicher, dass er seine Entscheidungen dementsprechend fällt. Ich glaube, niemand ist davon ausgegangen, dass der gesamte Baker-Hamilton Report umgesetzt würde. Wir hoffen, dass der Kongress die Regierung unterstützen wird dabei, die Optionen des Reports auszuloten und einen gangbaren Weg zur Lösung dieses schwierigen Weltproblems zu finden.

Deutschlandradio Kultur: Sind Sie als Diplomat nicht der Ansicht, dass man eben nicht nur mit seinen Freunden verhandeln muss, sondern auch mit seinen Feinden, sprich: Syrien und der Iran?

Timken: Ich weiß zunächst einmal, dass bestimmte Bedingungen für jede Art von Verhandlungen erfüllt sein müssen. Wir haben dem Iran zum Beispiel sehr genau gesagt, was es braucht, damit wir Verhandlungen aufnehmen können. Aber die iranische Regierung hat uns im Prinzip eine lange Nase gezeigt. Und es wäre ein schwacher Verhandlungsstandpunkt, wenn man einem Gegner, der einem die lange Nase zeigt, etwas konzediert, bevor der auch nur irgendetwas gegeben hat. Man muss noch einiges bedenken, bevor da ein Dialog stattfinden kann.

Deutschlandradio Kultur: Aber es besteht ein Unterschied zwischen regulären Verhandlungen und einem Dialog. Müsste man nicht irgendeine Form des Dialoges mit dem Iran und Syrien finden, um im Irak weiterzukommen ?

Timken: Das ist manchmal angemessen, manchmal aber auch nicht. In diesem Fall hat es eine Menge diplomatischer Verhandlungen gegeben mit den "EU Drei", Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Und auch mit den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates plus Deutschland. Wir kennen die Standpunkte der iranischen Politiker ziemlich genau. Aber wir wissen nicht so recht, ob sie den Iran auch repräsentieren.

Deutschlandradio Kultur: Nach dem 11. September 2001 hatte man nicht den Eindruck, dass die USA die NATO als Instrument nutzen wollten und ernst nahmen. Die Europäer beklagten sich über den amerikanischen Unilateralismus, die Amerikaner warfen den Europäern vor, nicht genügend militärisch beitragen zu können. Sollten wir nicht langsam das Bündnis als gemeinsames Instrument wiederentdecken?

Timken: Zunächst einmal kann ich ihre Beschreibung der Lage nicht ganz teilen. Lassen Sie mich zunächst sagen: Bundeskanzlerin Merkel hat bereits bei ihrer Amtsübernahme gesagt, dass die Stärkung und Weiterentwicklung der NATO ist eines ihrer wichtigen politischen Ziele. Auch Präsident Bush ist dieser Ansicht. Man ist da auf dem NATO-Gipfel in Riga ein gutes Stück weitergekommen. Es hat auch bedeutsamen Wandel innerhalb der Allianz gegeben, nicht nur mit der Erweiterung. Auch die Aufgaben der NATO haben sich gewandelt: vom eher statischen Verteidigungsbündnis gegen Russland hin zu einem global handelndem Bündnis. Und das schlägt sich natürlich in jedem einzelnen Mitgliedsstaat nieder. Der Wandel ist unübersehbar. Die USA leisten immer noch den größten Anteil. Aber mehr und mehr NATO-Mitglieder tragen zur globalen Handlungsfähigkeit bei und als Resultat wird ihre Stimme auch gehört.

Deutschlandradio Kultur: Wie weit sollte denn die Partnerschaft gehen, wenn es um gemeinsame politische Entscheidungen geht. George Bush senior hatte dafür ja mal das Wort "partners in leadership" geprägt....

Timken: Wie in jeder funktionierenden Partnerschaft hängt das auch ein Gutteil davon ab, was die Partner einbringen. Wenn ein Partner 95 Prozent der Lasten trägt, ist es unwahrscheinlich, dass es mit den restlichen 5 Prozent eine funktionierende Partnerschaft gibt. Jetzt, mit dem Aufbau der Schnellen Eingreiftruppe der NATO, werden die Lasten gleichmäßiger verteilt. Und es gibt einen großen politischen Apparat bei der NATO, der mit dem gemeinsamen Finden von Beschlüssen befasst ist.

Deutschlandradio Kultur: Millionen von amerikanischen Soldaten waren im Kalten Krieg in Deutschland stationiert. Jeder von ihnen war zunächst ein Botschafter Amerikas in Deutschland, und dann ein Botschafter Deutschlands in Amerika. Aber das ist vorbei. Wo ist denn jenseits aller abstrakten Wertegemeinschaft heute das konkrete Band, das uns verbindet?

Deutschlandradio Kultur: Ja, sie haben da ganz recht, etwa 15 Millionen amerikanische Soldaten waren in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg stationiert. Viele Amerikaner heirateten deutsche Frauen und gingen mit ihnen dann wieder zurück in die USA. Diese Geschichte ist ein starkes und positives Band zwischen den Völkern. Präsident Bush hat mich hierher geschickt, weil er der Ansicht ist, dass die Probleme, aber auch die Chancen auf dieser Welt am besten gemeinsam bewerkstelligt werden können. Die Beziehungen zwischen unseren Regierungen sind so eng wie seit langem nicht mehr.

Zweitens sind die wirtschaftlichen Beziehungen weitaus stärker noch als sogar ich angenommen habe. Und die Wirtschaftsbeziehungen sind wahrscheinlich der Dreh- und Angelpunkt. Sie ersetzen die 15 Millionen Amerikaner, die in den Jahrzehnten nach dem Krieg in Deutschland waren. Heute sind bei den knapp 1300 amerikanischen Firmen in Deutschland 700.000 Deutsche beschäftigt. Genauso in den USA: Dort sind 3200 deutsche Firmen, die über 800.000 Amerikaner beschäftigen. Die ökonomische Bindung ersetzt einen Teil der Bindung durch die amerikanischen Truppen, die hier stationiert waren. Und das ist Teil meines Zieles hier: Ich möchte, dass das verstanden wird, und dass die Geschäftsleute, die das sehr gut verstehen, darüber öfter reden.

Wir sind viel enger wirtschaftlich aneinander gebunden, als es die meisten glauben. Und wir laufen Gefahr, diese enge Bindung zu riskieren, wenn wir nicht partnerschaftlich zusammen arbeiten. Früher waren 300.000 amerikanische Soldaten in Deutschland stationiert. Heute sind 700.000 Deutsche bei amerikanischen Firmen beschäftigt, das ist mehr als das Doppelte, und die Zahl wächst weiter. Und ich glaube, das ist das Rückgrat unserer Beziehungen, gemeinsam mit dem kulturellen Austausch.

Deutschlandradio Kultur: Man hat den Eindruck, dass das Weiße Haus in den letzten Jahren mehr die Notwendigkeit von "public diplomacy" eingesehen hat - versucht die Bush-Administration stärker, für ihre Politik zu werben?

Timken: Zunächst einmal: Ja, der Präsident hat alle in der Regierung und im Außenministerium dazu aufgerufen, stärker an die Öffentlichkeit zu gehen und Informationslücken zu füllen. Aber jede Nation definiert ihre eigenen Interessen, die USA genauso wie die europäischen Staaten. Und da kann es schon mal Interessenunterschiede geben - unabhängig davon, wie jeder sich in der Weltöffentlichkeit präsentiert. Wenn es unterschiedliche Ansichten gibt, dann sind sie eben da. Wir sollten nicht immer auf die Unterschiede schauen, sondern auf die Punkte an denen wir zusammenarbeiten können. Und manchmal hört man in den USA die gleiche Kritik an der amerikanischen Regierung wie in Europa. Die Kritik ist also nicht einseitig, und das Werben um die politischen Standpunkte muss auf beiden Seiten des Atlantik stattfinden. Öffentliche Selbstdarstellung kann nicht unterschiedliche politische Standpunkte verdecken.

Deutschlandradio Kultur: Die moralische Überzeugungskraft der USA hat international gelitten durch das Gefangenenlager in Guantanamo. Und selbst klare Atlantiker, wie zum Beispiel Bundeskanzlerin Merkel, sagen: Ein bis zwei Jahre konnte man das Lager als Notmaßnahme rechtfertigen, aber jetzt müssen diese Gefangenen entweder einem ordentlichen Prozess zugeführt werden oder eben freigelassen werden...

Timken: Guantanamo wurde eingerichtet während des Krieges in Afghanistan für Kämpfer, die entschlossen waren, amerikanische Soldaten zu töten....

Deutschlandradio Kultur: .... ich lese jetzt eine Äußerung des ehemaligen deutschen Botschafters in Washington, Wolfgang Ischinger: "Selbst der härteste Kampf gegen den Terrorismus kann Verletzungen der Menschenrechte nicht dulden"....

Timken: Ich stimme nicht immer mit Wolfgang Ischinger überein. Aus meiner Sicht gab es die Notwendigkeit, zu handeln. Wir taten das, nahmen diese Leute fest, und haben immer mehr von ihnen an andere Länder übergeben. Der Kongress hat Gesetze erlassen, wie man mit diesen Kämpfern umgehen soll. Vergegenwärtigen sie sich: Das ist das erste Mal, das wir gegen einen Feind gekämpft haben, der keinem Staat zuzurechnen ist, der nicht an irgendwelche Vereinbarungen gebunden ist, das sind Marodeure, Söldner.

Deutschlandradio Kultur: Aber auch sie haben Menschenrechte...

Timken: Sie haben grundlegende Menschenrechte, und es ist klar, das wir diese auch respektiert haben. Sie haben keine Rechte, die über ein bestimmtes Niveau hinausgehen. Sie waren an Kampfhandlungen beteiligt und wurden deshalb festgenommen. Was ich sagen will: Wir werden das Problem Guantanamo in einem angemessenen Zeitraum lösen. Ich bin sicher, Deutschland hätte unter den gleichen Umständen genauso gehandelt. Unglücklicherweise ist das an uns hängen geblieben, wir mussten das Gefängnis für den Rest der Welt sein. Das ist aber nur eine Frage, und sie entscheidet nicht über die moralische Verfassung einer ganzen Nation. Ich kenne kaum eine Nation mit höheren moralischen Werten als die USA. Deshalb kommen viele Einwanderer in unser Land, sie identifizieren sich offensichtlich mit unseren Werten.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade von den amerikanischen Werten gesprochen. Was mögen Sie denn besonders an deutschen Werten, oder an den Deutschen?

Timken: Nun, ich bin deutsch-stämmig und ich mag die Deutschen ganz einfach! Die Lage Deutschlands im Zentrum Europas hat dazu geführt, das Deutschland gelernt hat, mit komplizierten internationalen Situationen umzugehen. Das ist etwas, was wir von den Deutschen lernen können. Wir leben eben nicht so eng auf Tuchfühlung mit so vielen Nachbarn. Deshalb sind die Deutschen es gewöhnt, in internationalen Organisationen wie zum Beispiel der Europäischen Union zu arbeiten und die Interessen anderer zu berücksichtigen. Das finden wir sehr positiv.

Das Gespräch mit S.E. William R. Timken führten Annette Riedel und Marcus Pindur.