Tim MacGabhann: "Der erste Tote"

Verstümmelte Wahrheit

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Coverabbildung des Buches Tim MacGabhann: "Der erste Tote"
Tim MacGabhanns "Der erste Tote" steht in der Tradition der lateinamerikanischen "crónica", eine Mischform aus Reportage, Autobiografie und Fiktion. © Deutschlandradio / Cover: Suhrkamp
Von Sonja Hartl · 15.01.2021
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In Tim MacGabhanns Thriller "Der erste Tote" gerät ein irischer Journalist in Mexiko zwischen die Fronten des Drogenkriegs. Er muss erkennen, dass er der blutigen Wirklichkeit in dem Land mit einer Reportage nicht näher kommen kann.
Für eine jener "freudlosen, aber gutbezahlten Reportagen" sind der Reporter Andrew und sein mexikanischer Kollege und Partner Carlos in die "heruntergekommene Erdölmetropole" Poza Rica im Osten Mexikos gefahren. Auf dem Rückweg nach Mexico City entdecken sie eine übel verstümmelte Leiche und werden Zeuge, wie sie von der Guardia Civil entsorgt wird. Carlos kehrt für weitere Nachforschungen nach Poza Rica zurück – und wird kurz darauf ermordet. Für Andrew ist klar, dass er Carlos' Recherchen weiterführen muss.
Tim MacGabhanns Thriller "Der erste Tote" wird aus der Perspektive eines Außenstehenden erzählt: Andrew ist homosexuell und er ist aus Irland. Schon diese Perspektive ist originell, auch weil die damit einhergehenden Privilegien reflektiert werden. Dass Andrew seine Recherchen überlebt, liegt zum großen Teil daran, dass der Tod eines ausländischen Reporters zu viel Aufsehen erregen würde. Außerdem hat er jederzeit die Möglichkeit, sich in einen Flieger zu setzen und das Land zu verlassen.

Dass er aus Irland stammt, bedeutet indes nicht, dass Autor Tim MacGabhann sich in Mexiko nicht auskennen würde: Er lebt in dem Land, hat dort selbst als Reporter gearbeitet. In seiner Arbeit stößt er allerdings immer wieder an Grenzen. Oft sind die Täter – Polizei oder Militär – bekannt, aber sie werden nicht benannt. Es sind einfach "die", die die Taten begehen.

Eindrucksvoller Umgang mit Fiktion und Wirklichkeit

"Der erste Tote" steht in der Tradition der lateinamerikanischen "crónica", als Mischform aus Reportage, Autobiografie und Fiktion. Unter anderem gibt es biografische Parallelen zwischen der Hauptfigur und dem Autor, und vieles Erzählte ist in ähnlicher Weise tatsächlich passiert. Gleichzeitig geht es im Roman darum, dass sich in einem Land, in dem "Klarheit eine Mangelware" ist, journalistisch vieles nicht belegen lässt. Damit verweist "Der erste Tote" auch darauf, wie zweifelhaft Kategorien wie "realistisch" oder "authentisch" sind: Mit den Mitteln der Fiktion lässt sich die Wirklichkeit manchmal klarer fassen, als es eine Reportage könnte.
Dieser Umgang mit Fiktion und Wirklichkeit ist eindrucksvoll. Dazu aber ist "Der erste Tote" ein knapper und sprachlich sowie stilistisch origineller Thriller, in dem poetische Beschreibungen neben blutiger Gewalt stehen. MacGabhann spielt mit erzählerischen Momenten, verliert aber seinen Plot niemals aus den Augen. Vielmehr schildert er atmosphärisch und hoch verdichtet von den Verstrickungen der Kartelle, Politik, staatlicher Sicherheitskräfte und Wirtschaftsunternehmen im Kampf um wertvolle Rohstoffressourcen.

Tim MacGabhann: "Der erste Tote"
Aus dem Englischen von Conny Lösch
Suhrkamp, Berlin 2020
274 Seiten, 15,95 Euro

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