Tierwohl in Finnland

Schweine mit Ringelschwänzen

06:19 Minuten
Schweine mit Ferkeln in einem Outdoor-Auslaufgehege, die Ringelschwänze sind lang.
Mit ihren Schwänzen könnten die Schweine ihre Gefühle ausdrücken, sagt der finnische Schweinezüchter Timo Heikkilä. Wenn sie geringelt sind, fühlen sie sich gut. © picture alliance / Countrypixel
Von Christoph Kersting · 21.06.2022
Audio herunterladen
Das Kupieren – also das Abschneiden der Ringelschwänze – bei Ferkeln ist in der EU verboten und nur mit Ausnahmegenehmigungen möglich. Doch in Deutschland werden bis heute fast alle Ferkel kupiert. Dass es auch anders geht, zeigt Finnland.
Timo Heikkilä besitzt den größten Ferkelzuchtbetrieb in Finnland, zwei Autostunden westlich von Helsinki: Mehr als 100.000 Ferkel und Jungschweine verkauft er pro Jahr an finnische Mastbetriebe. Im Stall des 56-Jährigen riecht es nicht unangenehm, denn hier gelangt weniger Ammoniak in die Raumluft. Anders als in herkömmlichen Ställen treffen zum Beispiel die Luftströme nicht unmittelbar auf die Tiere. Luftkanäle aus Plastikfolie hängen seitlich unter der Stalldecke und leiten je nach Bedarf warme oder kalte Luft ins Gebäude. Außerdem gibt es dort, wo die Ferkel in einer Art Unterstand schlafen, eine Fußbodenheizung und Stroh. All das scheint kein Hexenwerk zu sein.
Diese Form der Haltung führe dazu, dass die Schweine „richtige Schwänze“ haben, so Heikkilä. „Die Schweine können dann selber ihre Gefühle zeigen. Das heißt, wenn der Schwanz lang ist, ist das Schwein vielleicht nicht ganz glücklich. Aber wenn der auf Ringel ist, dann wissen wir, dass es sich gut fühlt." Die Gleichung lautet also: gute Haltung gleich entspannte Ferkel mit Ringelschwanz.

Symptom weggenommen, aber nicht das Problem

Haben die Tiere Stress, beißen sie mitunter die Schwänze ihrer Artgenossen blutig. Um dem vorzubeugen, werden in Deutschland fast allen Ferkeln die Ringelschwänze abgeschnitten: Ein normaler Zuchtbetrieb sei anders gar nicht möglich, lautet die Begründung. Das Beispiel Finnland, wo das EU-weite Kupierverbot – vom französischen Wort „couper“ für abschneiden – seit 2003 konsequent umgesetzt wird, widerlege das. Das sagt Anna Valros, Biologin an der Uni Helsinki, die sich seit Jahren mit dem Thema Tierwohl beschäftigt.

"Der Grund für das Schwanzbeißen ist Stress oder Unwohlsein. Indem ich den Schwanz kupiere, nehme ich nur das Symptom weg, behebe aber nicht das Problem selbst. Das heißt im Umkehrschluss: Die Produzenten müssen die Haltungsbedingungen verbessern, wenn sie die Schwänze nicht kupieren."

Zudem: Der Ringelschwanz wird mit einem glühenden Brenneisen abgetrennt, ohne Betäubung. Für die Tiere ein schmerzhafter Eingriff, so Valros. „Der Schnitt geht durch die Haut, Gewebe und den Knochen. Das ist eine Amputation, und der Schmerz hält dann auf jeden Fall mehrere Tage an. Es gibt auch Studien darüber, dass Nervenwucherungen, so genannte Neuromen, nach der Amputation zu Phantom-Schmerzen führen könnten wie beim Menschen."

Özdemir plant Tierwohl-Label

Dabei steht das Thema "Tierwohl" in Deutschland auf der Agenda des Landwirtschaftsministers. Cem Özdemir von den Grünen plant noch in diesem Jahr ein neues fünfstufiges Tierwohl-Label für Schweinefleisch. Die Kennzeichnung bezieht sich allerdings nur auf die letzten Monate im Leben eines Schweins. Wo das Schwein geboren wurde, wie die Aufzucht ausgesehen hat, und eben auch: ob es kupiert worden ist – darüber sagt die geplante Kennzeichnung nichts aus. Dabei ist auch in Deutschland schon vor zwei Jahren ein Aktionsplan angelaufen, um den Kupierverzicht auf deutschen Höfen endlich umzusetzen.
Ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Katrin Danowski von der baden-württembergischen Landesanstalt für Schweinezucht – doch das brauche Zeit.

"Wir haben einfach in der Schweinehaltung die Situation, dass wir Ställe nicht von heute auf morgen ändern können. Das hat was damit zu tun, dass ein Neubau mindestens eine Million kostet, und dass der Landwirt dann auch wissen muss: Wie muss ich den Stall umbauen, damit es funktioniert? Jeder junge Landwirt sagt: Ich mache das, ich möchte meinen Betrieb weiterführen, Schweine halten – so, dass ich nicht der Gegner der Gesellschaft bin, aber dafür muss ich wissen: Was soll ich machen?"

Außerdem sind deutsche Verbraucher kaum bereit, mehr für Fleisch zu zahlen. Doch umsonst ist das, was etwa der finnische Züchter Timo Heikkilä in seinen Ställen praktiziert, natürlich nicht zu haben. 15 bis 20 Prozent Mehrkosten hat er durch seine Form der Haltung, das hole er am Ende aber fast wieder rein durch gute Zuchtergebnisse.
Heikkilä war auch schon oft in Deutschland: Das Problem dort seien aber weniger die Landwirte, sagt er: "Wenn die Beratung sagt: Ringelschwänze unmöglich! Bauernverband sagt: Ringelschwänze unmöglich! Interessenverband: Ringelschwänze unmöglich! Wie kann sich da ein Landwirt trauen, anzufangen, mit Ringelschwänzen zu arbeiten? Oft ist es so, dass alteingesessene Leute da die Richtung machen, und die sehen nicht, dass die Welt sich geändert hat."

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema