Tierrechte

Die Natur als gleichberechtigte Akteurin

06:34 Minuten
Ferkel werden über eine Verladerampe auf einen Transportanhänger getrieben
Warum essen wir hier in Deutschland keine Hunde und Katzen, obwohl uns Kühe und Schweine so gut schmecken? © picture alliance / Countrypixel / FRP
Von Nora Bauer · 21.11.2022
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Im Mittelpunkt des Rechtssystems in Deutschland steht: der Mensch. Um die Tierrechte wird noch gerungen. Wie steht es um das Grundrecht bei Tieren, wie das auf Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung - und wie weit ist die Politik?
Unser Verhältnis zu Tieren ist von einer tiefen Unlogik bestimmt. Warum essen wir hier in Deutschland keine Hunde und Katzen, obwohl uns Kühe und Schweine so gut schmecken? Warum sind uns manche Tiere unheimlich, während wir andere zu unseren Gefährten und Spielzeugen machen? Und warum billigen wir allen diesen Mit-Lebewesen keine Rechte zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen zu?

Anthropozentrisches Rechtssystem

„Wir leben in einem zutiefst anthropozentrischen Rechtssystem. Das hat ganz tiefe Wurzeln, das reicht bis in die Antike, bis in den christlichen Glauben zurück. Denken Sie an die Bibel: ‚Macht euch die Erde untertan!‘ Vor allem aber besteht dieser Anthropozentrismus – also, dass der Mensch im Mittelpunkt aller moralischen und rechtlichen Abwägungen steht und die Natur nur ein Mittel für menschliche Zwecke ist – seit der Aufklärung. Es sind diese ungefähr 500 Jahre der Trennung von Mensch und Natur, von vor allem menschlicher Kultur und Natur, die dazu führen, dass uns das hier so fremd erscheint, die Natur als gleichberechtigte Akteurin anzuerkennen.“
Jasper Mührel, Jurist und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Jena, schreibt seine Dissertation zum Thema Rechte der Natur. Die Tierrechte sind Teil der Rechte der Natur.
„Wofür sind die Rechte da? Sie sind dafür da, dass Interessen rechtlich geschützt werden können. Deshalb stellt sich die Frage, was sind eigentlich die Interessen der natürlichen Entitäten, die Rechte bekommen sollen? Das sind jetzt keine genuin menschlichen Rechte, politischen Rechte wie das Wahlrecht, sondern das Interesse wird vor allem sein, zu leben, zu existieren, körperlich unversehrt zu bleiben, sich aber auch frei entfalten zu können.“

Schritte zur Stärkung des Tierschutzrechts

Bill und Lou waren zwei befreundete Ochsen, die zehn Jahre gemeinsam Äcker im Rahmen eines Universitätsprogramms für nachhaltige Landwirtschaft gepflügt hatten. Lou zog sich eines Tages eine Verletzung am Bein zu und konnte seine Arbeit nicht mehr verrichten. Als Bill mit einem anderen Ochsen zusammengespannt wurde, verweigerte er daraufhin den Dienst. Die Universitätsleitung entschied deshalb, Bill und Lou zu töten. Es kam zu Protesten unter den Studierenden. Für sie waren Bill und Lou lebendige Individuen mit Rechten auf Freiheit, körperliche Unversehrtheit und Leben. Ihrer Meinung nach sollte domestizierten Tieren wie Bill und Lou der Status von Mitbürgern mit allen dazugehörigen Rechten zuerkannt werden. Durchsetzen ließen sich ihre Forderungen rechtlich nicht.
„Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass Teile des Tierschutzrechts in das Strafrecht überführt und das maximale Strafmaß erhöht werden sollen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, kurz BMEL, sieht hierin einen wichtigen Schritt zur Stärkung des Tierschutzrechts in Deutschland. Die Umsetzung des Vorhabens erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium der Justiz“, beantwortet Silke Brandt, eine Sprecherin des BMEL eine Anfrage zur Verankerung von Tierrechten im Grundgesetz per E-Mail.
Und weiter: „Die Grundsätze, nach denen sich der Mensch beim Umgang mit Tieren zu richten hat, sind im Tierschutzgesetz und zahlreichen ergänzenden Bestimmungen festgelegt. So wurde in § 1 des Tierschutzgesetzes bestimmt, dass aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen sind und niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf.“

Tierrechte im Tierschutzgesetz verankern?

„Was wir im Koalitionsvertrag verankert haben – auf Bundesebene –, ist eine Novelle des Tierschutzgesetzes. Das hat viele Teile, die wir da angehen wollen, unter anderem auch eine teilweise Überführung ins Strafgesetzbuch, um den Vollzug zu stärken, aber insgesamt auch, um den Tieren einen höheren Schutz in unserer Gesellschaft zu geben.“ Zoe Mayer sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagsausschuss für Landwirtschaft und ist dort für die Tierschutz- und Tierrechtspolitik der Grünen zuständig.
„Und Tierrechte ist ja davon nochmal separat. Es wäre natürlich sehr wünschenswert, auch etwas zu den Tierrechten ins Tierschutzgesetz mit reinzubringen, aber das ist noch eine offene Diskussion, die gerade geführt wird.“
Wir haben Tiere der Wildnis entrissen und sie domestiziert. Ihr Leben wird durch unsere politische Ordnung, die ihre Interessen größtenteils ignoriert, geregelt und beherrscht. Sind wir den Tieren deshalb etwas schuldig und, wenn ja, was?
„Die Konflikte gibt es ja, die werden nur bisher nicht rechtlich sichtbar gemacht“, sagt der Jurist Jasper Mührel. „Und dann wäre es eben eine Frage, ok, wie können jetzt diese Konflikte gelöst werden. Das lässt sich nicht abstrakt vorhersagen, wie das konkret am Ende ausgeht, welches Interesse da überwiegt. Aber zumindest würden diese Konflikte erst mal rechtlich sichtbar gemacht, und dann müssten sich diese Fragen gestellt werden.“ 

Zubilligung von Grundrechten

Dafür sei ein gesellschaftlicher Diskus nötig, erklärt Zoe Mayer. „Was immer am Anfang steht, ist die Gesellschaft oder der gesellschaftliche Prozess dahinter, danach der politische Wandel und danach die Folge, in unseren Gesetzen ein neues Bild auch zu verankern. Also dann nicht mehr so ein anthropozentrisches Bild, sondern dann eben auch die Möglichkeit von Tierrechten mit einzuräumen.“
Es geht um die Zubilligung von Grundrechten, nicht um die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Dann wäre Schluss mit der ökologischen Symbolpolitik. Der globale Süden ist uns da schon voraus. Solche Grundrechte wurden 2008 in der Verfassung von Ecuador verankert, in Gesetzen in Bolivien, Uganda und Neuseeland.

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