Tierarten

Suche im Sumpf

Von Leonore Lötsch · 12.07.2014
An der Grenze von Brandenburg zu Mecklenburg-Vorpommern leben die letzten einheimischen Sumpfschildkröten. Naturschützer versuchen die Population seit 20 Jahren zu schützen und zu vermehren. Etwa mit Drähten gegen Waschbären und einer Art Einwohnermelderegister.
Für den einen ist die Wiese voller Margeriten und Glockenblumen eine Augenweide. Für Dr. Norbert Schneeweiß ein guter sandiger Südhang. Der Biologe Schneeweiß, dessen kurzes Haar seinem Nachnamen alle Ehre macht, denkt dabei vor allem an die Eiablage der Europäischen Sumpfschildkröten. Die soll in den Abendstunden hier starten.
Nur, wo die Wiese genau ist, das darf nicht verraten werden.
"Ja wir sind hier im Norden Brandenburgs, das sind hier die letzten einheimischen Sumpfschildkröten Deutschlands, und die sind leider nicht nur bei Naturfreunden beliebt, sondern auch bei illegalen Tierhändlern, und es ist schon vorgekommen, dass Tiere aus freier Wildbahn entnommen wurden- deshalb ne gewisse Geheimhaltung."
Seit 20 Jahren bemüht sich der Biologe um die Rettung der Sumpfschildkröten an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern. Damals gab es gerade noch 15 Tiere, und sie waren alle uralt. 50 bis 80 Jahre, schätzt der Experte. Die Gelegeplätze lagen auf intensiv bewirtschafteten Feldern. Die Eier wurden damals regelmäßig ausgepflügt.
Eine Datenbank voller Sumpfschildkrötenfotos
Schneeweiß ist zu einem sumpfigen Weiher gestapft.
"Ich würd' hier gern mal gucken, weil wir hier noch nach 'ner Sumpfschildkröte suchen, die vorn paar Tagen gesehen wurde, die wir vielleicht auch noch nicht individuell kennen."
Norbert Schneeweiß kennt sie eigentlich alle. 100 Tiere gibt es mittlerweile hier wieder, schätzt er. Und er hat gewissermaßen ein Einwohnermelderegister für Schildkröten angelegt. Er muss nur die Vorderbeine und den Kopf der Schildkröte formatfüllend aufs Foto kriegen.
"Gelbe Schuppen, schwarze Schuppen, graue Schuppen - immer in 'ner individuellen Anordnung - und dann kann man im nach hinein in der Datenbank durchgucken, wer ist wer. Haben wir den schon oder nicht."
Doch die unbekannte Schildkröte zeigt sich auf keinem der Tothölzer, die aus dem Tümpel ragen. Dafür aber sind andere Sumpfbewohner nicht zu überhören.
"Das sind 'n paar hundert Teichfrösche, die hier auch bei der Hitze ihren Laich absetzen. Das ist jetzt der Kaviar für unsere Schildkröten, den die produzieren."
Plötzlich mischt sich ein anderer Ruf in den Chor ein:
"Oh, Sorry, das bin ich jetzt. Das ist ne Kreuzkröte. Mein Handy."
"Hallo Manfred. Sag mal wo steckst du jetzt? Auf welcher Wiese?"
Der Mann am anderen Ende der Leitung hat seinen Wieseneinsatz schon beendet. Und so geht Schneeweiß schnell durch das kniehohe Gras. Immer wieder sind abgemähte Inseln zu sehen, die in der prallen Sonne liegen. Hier könnten die Schildkröten heute Abend ihre Eier eingraben – wenn dann im Spätsommer die jungen Schildkröten schlüpfen, ist deren Panzer nur so groß ist wie ein Zwei-Euro-Stück. Auf ihrer Wanderung in die etwa einen Kilometer entfernten Gewässer, sind die Kleinen extrem gefährdet. 90 Prozent Verlust ist normal.
"Links hinterm Koppelzaun im Gras ja da liegen die Paddel?"
Für Waschbären sind die Schildkröten gefundenes Fressen
Schneeweiß muss zu den sechs Reusen, die er und seine Helfer im sumpfigen See aufgestellt haben. Plötzlich zieht er die Stirn in Falten, er hat eine Spur entdeckt. Eine, die größte Gefahr für seine Schildkröten bedeutet:
"Hier diese schwarzen Häufchen, das ist alles Waschbärkot. Und der sitzt hier abends ganz vergnüglich und schaut schon mal aus, wo er sich vielleicht was zu fressen holen kann und unter Umständen eben auch 'ne Sumpfschildkröte."
Mit seinen feingliedrigen langen Fingern und der spitzen Schnauze schafft der Waschbär es, in den harten Panzer der Schildkröten hineinzukommen. Die Folge: die Schildkrötenfreunde finden häufig amputierte Schildkröten, die mit einem Bein keine Gelegehöhle mehr graben können:
"Also hier ist ein ganz kleines Boot, ne Nussschale. Anders kommen wir hier durch das ganze Totholz nicht durch. Das ist jetzt hier ein bisschen wacklig alles."
Während Norbert Schneeweiß den winzigen blauen Kahn zwei Meter vom Ufer wegstakt und dabei an einer Wurzel hängen bleibt...
"Da muss ich wohl doch mal aussteigen kurz."
...hat sich der Schildkrötenfreund Manfred Pleetz gleich die Wathose angezogen und untersucht die Reuse direkt am Ufer. Falls er eine Schildkröte findet, interessiert ihn vor allem das Alter:
"Sehr gut kann man es einschätzen in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren, weil der Panzer, wie beim Baum, wie Baumringe, immer regelmäßig zunimmt und diese sich dann abheben."
Schneeweiß sitzt inzwischen wieder im Boot, und ist an einer der versteckten Reusen angekommen:
"Ich zieh jetzt mal die Reuse raus... leer .. wir haben nicht mal ne Karausche drin. Da haben wir kein Glück."
Die letzten ihrer Art in Deutschland
Wochenlang kontrolliert der Biologe in jedem Frühsommer mit seinen Helfern die Reusen, mäht den Südhang oder baut Maschendrahtgitter um die Gelegeplätze zum Schutz vor Waschbär, Marder und Igel. Und wenn er Glück hat, lassen sich auch private Waldbesitzer überzeugen, einen Erlenbruch wieder zu vernässen zum Schutz der Sumpfschildkröten:
"Die Schuppenträger und Kaltblüter haben's eigentlich immer ein bisschen schwer, aber Schildkröten haben da ne Ausnahmeposition, weil sie doch durch ihr archaisches Wesen Sympathien erzeugen. Für 'ne Kreuzotter - da wird Ihnen oft der Vogel gezeigt."
Norbert Schneeweiß lässt die unbekannte Schildkröte keine Ruhe. Kurz vor dem Mittag stapft er noch einmal einen Kilometer durch den Mischwald zu einem anderen Gewässer und baut sein Spektiv auf. Und dann ahnt er etwas in etwa 80 Meter Entfernung, und seine Bewegungen werden vorsichtiger.
"Oh ja och Mensch... traumhaft .... wunderbar... also wirklich first class, die Sumpfschildkröten auf ihrem Topsonnenplatz hier. Da liegen also drei hintereinander auf der unteren Hälfte dieses Baumstamms und ganz oben liegt noch mal 'ne vierte. Die erste unten, die hat so Algen auf dem Panzer."
Der Retter der letzten europäischen Sumpfschildkröten in Deutschland versucht, Fotos zu machen für die Schildkrötenkartei und schätzt die Größe der Tiere.:
"Ungefähr 15 cm. Die könnten also im nächsten Jahr das erste Mal Eier legen."
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