Tiefgründig und populär

Von Barbara Zillmann |
In Zeiten von drastischen Sparmaßnahmen, Bürgerjournalismus und aggressiver Öffentlichkeitsarbeit bleiben in manchen Redaktionen Unabhängig und Tiefgründigkeit auf der Strecke. Beim Tag des Wissenschaftsjournalismus waren sich daher die Teilnehmer einig, dass die Zukunft der Zunft darin besteht, Bürger zunehmend als Ko-Wissenschaftler einzubeziehen und sich stärker um die Vernetzung des Wissens zu kümmern.
"Der heutige Journalismus hat sich in der Weise dem Publikum genähert, dass er Geschichten erzählt. Indem er erzählt, als Erna T., 34 Jahre, am vergangenen Mittwoch aufwachte, hatte sie Schmerzen am Knie und so weiter ... und im Laufe dieser Geschichte kommt dann natürlich auch die wissenschaftliche Untersuchung zum Tragen."

Professor Winfried Göpfert von der Freien Universität Berlin hat die Tagung ausgerichtet. Über 200 Fachjournalisten, Forscher und Wissenschaftsredakteure trafen sich nahe dem Berliner Gendarmenmarkt, um über die Gretchenfrage ihrer Zunft zu debattieren: Was macht die Qualität des Wissenschaftsjournalismus heute aus? Wie populär, wie unabhängig und tiefgründig soll er sein? Schaffen sich Bürger ihre eigenen Informationsplattformen im Internet? Und wie stark ist die Konkurrenz der Weblogs? Philipp Dönhoff, Redakteur bei der "Netzeitung", überraschte mit einem Modell, das den Bürgerjournalismus auch bei Wissenschaftsthemen einbezieht:

"Warum nicht wirklich Bürgern, die ein Expertenwissen haben, ohne ausgewiesene Experten zu sein, eine Plattform bieten. Es ist wie ein Fischer, der die besten Fische identifiziert und die versucht ranzukriegen, um einem breiten Publikum diese Erkenntnisse anzubieten."

Die Rolle eines moderierenden Fachjournalisten sei allerdings die Voraussetzung, meint Philipp Dönhoff:

"Natürlich muss dieser moderne Journalist ein hochkompetenter Journalist sein in seinem Gebiet, auch im wissenschaftlichen Bereich, er muss die Entwicklung der Welt kennen, wer sind die Hauptakteure, welche Themen sind relevant, der absolute Experte, nur, er schreibt es nicht unbedingt selber, sondern er nutzt die multimedialen Möglichkeiten, um die Inhalte zu generieren."

Der Redakteur als Fischer im Internet. Das provozierte auch eine Debatte darüber, ob ausgebildete Journalisten heute gut und interessant genug schreiben. Angesichts sinkender Honorare und mangelnder Recherchezeit hat mancher Bericht, oft nicht mehr zu bieten als eine simple Google-Recherche, beklagten mehrere Redakteure.

Wolfgang Goede, leitender Redakteur des populärwissenschaftlichen Magazins PM, benannt nach dem Gründer Peter Moosleitner, setzt nach wie vor auf die leidenschaftliche Neugier bei Schreibern und Lesern – und die Suche nach neuen Formen.

"Ich stell monatlich ungefähr zehn Seiten zusammen aus dem großen Bereich Technologie und Wissenschaft, und was man früher sagte über den Stern, das solle eine Wundertüte sein, das versuchen wir für den Bereich Wissenschaft zu machen. Solche Sachen, die wirklich jeden Menschen dafür einnehmen für die Wissenschaft, und dass das was Tolles sein kann, nicht trocken und unverstehbar, sondern Teil seines Lebens."

Einbeziehung der Bürger als Ko-Wissenschaftler, Vernetzung des Wissens und der Debatten, so lauteten die Losungsworte der Tagung. Solche Zukunftsorientierung konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der traditionelle Wissenschaftsjournalismus anfällig ist für eine große Nähe zu den Informanten, den Pressesprechern aus Wissenschaft und Forschung. Professor Winfried Göpfert:

"Keiner ist besser in der Lage, die Wissenschaft zu kontrollieren, zu untersuchen, als die Wissenschaftsjournalisten, die etwas von der Sache verstehen - und diese kritische Begleitung der Wissenschaft ist gleich null."

Zwar werden ethische Debatten der Wissenschaft, etwa bei der Stammzellenforschung, zum Teil kritisch begleitet, aber man hört wenig über die Verwendung von Fördermitteln durch die Deutsche Forschungsgesellschaft oder über die wirtschaftlichen Interessenhintergründe medizinischer Forschungen.

Wie aber können Journalisten eine Brücke schlagen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit und dabei eine sachgerechte und unabhängige Berichterstattung leisten? Sie müssen wieder intensiver recherchieren, so die Meinung vieler Fachleute. Wer wolle, könne interessengeleitete Information erkennen, sagt Barbara Ritzert, die selbst eine PR-Agentur im medizinischen Bereich leitet.

"Absenderklarheit, das ist das entscheidende Wort! Ich wundere mich manchmal über die Naivität von manchen Redaktionen, die offenkundig billig angebotenes oder kostenloses Material veröffentlichen, das muss ja irgendjemand bezahlt haben. Es gibt genug U-Boote im Journalismus, die viel verhängnisvoller sind, als wir PR-Leute jemals sein können. Das entspricht keinerlei Standards."

Die Standards für einen Wissenschaftsjournalismus der Zukunft standen auf der Tagung zur Diskussion. Wie entwickelt er sich in den Zeiten des Bürgerjournalismus, des Wissensbooms im Internet und der PR-Rafinessen? Deutlich wurde, dass gerade die Verflechtung der Wissenschaft mit der Politik ein Thema sein könnte, das für ein breites Publikum interessant ist.