Tiefensee: Politik muss demografischen Wandel gestalten
Nach den Worten des Bundesministers für Verkehr und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee (SPD), nimmt Ostdeutschland den demografischen Wandel der gesamten Bundesrepublik vorweg. Wie unter einem Brennglas könne man hier den Bevölkerungswandel beobachten, sagte Tiefensee im Deutschlandradio Kultur vor dem Hintergrund des heute in Berlin beginnenden Demografie-Kongresses „Best Age“.
Marie Sagenschneider: Der demografische Wandel ereilt uns längst. Und über die Folgen, die er haben könnte, ist schon ziemlich viel gesprochen worden. Die Überalterung der Gesellschaft wird fast alle Bereiche beeinflussen, von der Sozialversicherung bis hin zum Städtebau. Dieser Wandel könnte dazu führen, dass die Kluft zwischen Gewinner- und Verliererregionen größer wird – und Letzteres trifft nicht nur, aber vor allem Ostdeutschland. Nehmen wir nur das Beispiel Sachsen: Nach aktuellen Prognosen wird die Anzahl der Sachsen um bis zu 20 Prozent schrumpfen bis zum Jahr 2020; in manchen Landkreisen wird es ziemlich leer werden. Und was das bedeutet, bekommt man dort jetzt schon zu spüren, Sachsen hat nämlich 800 Schulen geschlossen. Wie muss sich die Gesellschaft auf den demografischen Wandel einstellen? Darüber soll heute im Berlin auf einem Kongress diskutiert werden, an dem auch Wolfgang Tiefensee teilnimmt. Er gehört der SPD an, ist Bundesminister für Verkehr und Stadtentwicklung und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Tiefensee.
Wolfgang Tiefensee: Guten Morgen.
Sagenschneider: Man sagt immer, vor allem Ostdeutschland wird die Folgen des demografischen Wandels schon in wenigen Jahren zu spüren bekommen. Aber ist das im Grunde nicht jetzt schon längst der Fall?
Tiefensee: Das ist richtig. Sie können diese Entwicklung jetzt schon beobachten. Der Osten nimmt etwas vorweg, was in Deutschland insgesamt Schritt für Schritt Einzug halten wird. Also wie in einem Brennglas kann man jetzt in einer Reihe von ostdeutschen Städten und Regionen schon sehen, wie sich die Bevölkerung wandelt. Wir haben mehr Seniorinnen und Senioren, weniger Kinder, Menschen ziehen weg. Und demzufolge gibt es weniger Bevölkerung. Aber selbst im Osten gibt es nun wieder auch Räume – um Dresden, um Leipzig, Jena, zum Teil auch um Berlin herum –, die die Gegentendenz haben. Das heißt, wir haben kein einheitliches Bild.
Sagenschneider: Aber das sind dann fast schon die einzigen Räume, sagen Experten, und drum rum passiert eben nicht viel?
Tiefensee: Ja, das ist so. Und dass das nicht nur zwangsläufig so weitergehen kann, sondern dass man das aktiv gestalten muss, das ist längst bekannt, und deshalb gibt es heute diesen Kongress, weil wir uns in den Städten und in den Räumen in Ostdeutschland, aber insbesondere auch natürlich in Deutschland insgesamt, auf diese Entwicklung einstellen müssen, aktiv damit umgehen müssen. Was können wir tun, dass mehr Kinder geboren werden? Ein Thema der Kinderfreundlichkeit in Städten, aber auch in der Wirtschaft. Und vor allen Dingen: Wie können wir die Städte so gestalten, dass sie dem gerecht werden, dass wir da in der Zukunft mehr Seniorinnen und Senioren haben werden? Das hat was mit dem Wohnen, mit dem generationsübergreifenden Wohnen, mit dem öffentlichen Nahverkehr, mit den öffentlichen Institutionen zu tun, mit der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum. Und darauf werden wir uns einstellen müssen.
Sagenschneider: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Länder, die jetzt hauptsächlich davon betroffen sind, dass die begonnen haben, sich damit auseinanderzusetzen, um Strategien zu entwerfen? Oder sehen Sie das eher als eine Angelegenheit, die, ja, tatsächlich auch auf Bundesebene angegangen werden müsste, weil es eben ja auch eine Frage ist von Sozialversicherungen, Subventionen und Städtebau, wie Sie schon sagten?
Tiefensee: Das Thema ist bekannt. Es ist in allen Bundesländern mehr oder minder bekannt. Und die Landesregierungen stellen sich aktiv darauf ein. Und deshalb wird ein Teil des heutigen Kongresses sein, die guten Beispiele zusammenzutragen. Wir wollen auch Modellprojekte des Bundes vorstellen, weil der Bund seiner Rolle hier gerecht werden will, was die Stadtentwicklung anbetrifft. Wir haben gerade Geld für ein Programm „Soziale Stadt“ aufgestockt im Jahr 2006, von 60 Millionen auf 110. Wir wollen eine Reihe von Modellvorhaben vorstellen, die sich mit einem Umbau der Infrastruktur, der sozialen Infrastruktur, beschäftigen oder mit dem öffentlichen Raum, der für alle Generationen erlebbar und adäquat sein muss, beziehungsweise eben auch werden wir uns kümmern um aktives Wohnen von Familien, Nachbarschaften, von Jung und Alt, die Entwicklung von ländlichen Räumen, die ja angeschlossen sein müssen an die Zentren, wollen wir sie nicht abkoppeln, sondern wollen wir dort auch Lebensqualität erhalten.
Sagenschneider: Sie haben von guten Beispielen gesprochen. Nennen Sie einige.
Tiefensee: Es gibt einen Wettbewerb, der unlängst zum Ende geführt hat, wo wir Wohnprojekte ausgezeichnet haben, die Generationen zusammenführen beziehungsweise vorbildlich vormachen, wie seniorenfreundliches Wohnen in der Zukunft aussehen könnte. Das ist ein Beispiel. Denn die älteren Menschen – Gott sei Dank werden wir älter, die Gesundheitsvorsorge ist immer besser –, die älteren Menschen wollen nicht zu früh in Gemeinschaftseinrichtungen. Sie wollen zu Hause bleiben. Was muss sich in der Wohnung ändern, damit jemand Kontakt mit dem Arzt haben kann, damit er pflegeleicht wohnt und seine Wohnung selbst gestalten kann? Oder Projekte, Kinder, Jugendliche zusammenzubringen mit Älteren, also eine Art WG auf neuem Niveau zu gestalten. Das sind gute Beispiele. Und dann kümmern wir uns auch um den öffentlichen Nahverkehr. Die Menschen wollen aus den ländlichen Regionen zur Kultur, die Jugendlichen zur Berufsschule in die kleinere, in die größere Stadt, und das muss organisiert werden.
Sagenschneider: Revidieren Sie denn, Herr Tiefensee, auch Vorhaben zum Beispiel beim Verkehr? Denn heute werden ja vielleicht Straßen geplant, die es künftig, zumindest in dieser Dimension, möglicherweise ja an vielen Stellen gar nicht mehr braucht.
Tiefensee: Genau das ist die Aufgabe. Wenn Planer sich um Stadtentwicklung kümmern, also öffentliche Räume in den Blick nehmen, oder wenn Infrastruktur geplant oder ausgebaut wird, dann muss der Aspekt der Demografie eine größere Bedeutung bekommen. Es hat wenig Sinn, in Infrastruktur zu investieren, die in der Dimension nicht gebraucht wird. Allerdings sind die öffentlichen Haushalte so schmal, dass die Gefahr eigentlich eher gering ist. Es geht jetzt darum, das strategisch anzugehen, und da helfen solche Kongresse, solche Diskussionen, dass die Experten aus unterschiedlichen Politikfeldern mal zusammenkommen, dass die Oberbürgermeister, die Landräte, auch die politischen Entscheider sich zunächst mal die Fakten vor Augen führen und vor allen Dingen dann die Gefahren und die guten Beispiele anschauen.
Sagenschneider: Herr Tiefensee, ich danke Ihnen. Wolfgang Tiefensee war das. Er ist Bundesminister für Verkehr und Stadtentwicklung.
Wolfgang Tiefensee: Guten Morgen.
Sagenschneider: Man sagt immer, vor allem Ostdeutschland wird die Folgen des demografischen Wandels schon in wenigen Jahren zu spüren bekommen. Aber ist das im Grunde nicht jetzt schon längst der Fall?
Tiefensee: Das ist richtig. Sie können diese Entwicklung jetzt schon beobachten. Der Osten nimmt etwas vorweg, was in Deutschland insgesamt Schritt für Schritt Einzug halten wird. Also wie in einem Brennglas kann man jetzt in einer Reihe von ostdeutschen Städten und Regionen schon sehen, wie sich die Bevölkerung wandelt. Wir haben mehr Seniorinnen und Senioren, weniger Kinder, Menschen ziehen weg. Und demzufolge gibt es weniger Bevölkerung. Aber selbst im Osten gibt es nun wieder auch Räume – um Dresden, um Leipzig, Jena, zum Teil auch um Berlin herum –, die die Gegentendenz haben. Das heißt, wir haben kein einheitliches Bild.
Sagenschneider: Aber das sind dann fast schon die einzigen Räume, sagen Experten, und drum rum passiert eben nicht viel?
Tiefensee: Ja, das ist so. Und dass das nicht nur zwangsläufig so weitergehen kann, sondern dass man das aktiv gestalten muss, das ist längst bekannt, und deshalb gibt es heute diesen Kongress, weil wir uns in den Städten und in den Räumen in Ostdeutschland, aber insbesondere auch natürlich in Deutschland insgesamt, auf diese Entwicklung einstellen müssen, aktiv damit umgehen müssen. Was können wir tun, dass mehr Kinder geboren werden? Ein Thema der Kinderfreundlichkeit in Städten, aber auch in der Wirtschaft. Und vor allen Dingen: Wie können wir die Städte so gestalten, dass sie dem gerecht werden, dass wir da in der Zukunft mehr Seniorinnen und Senioren haben werden? Das hat was mit dem Wohnen, mit dem generationsübergreifenden Wohnen, mit dem öffentlichen Nahverkehr, mit den öffentlichen Institutionen zu tun, mit der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum. Und darauf werden wir uns einstellen müssen.
Sagenschneider: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Länder, die jetzt hauptsächlich davon betroffen sind, dass die begonnen haben, sich damit auseinanderzusetzen, um Strategien zu entwerfen? Oder sehen Sie das eher als eine Angelegenheit, die, ja, tatsächlich auch auf Bundesebene angegangen werden müsste, weil es eben ja auch eine Frage ist von Sozialversicherungen, Subventionen und Städtebau, wie Sie schon sagten?
Tiefensee: Das Thema ist bekannt. Es ist in allen Bundesländern mehr oder minder bekannt. Und die Landesregierungen stellen sich aktiv darauf ein. Und deshalb wird ein Teil des heutigen Kongresses sein, die guten Beispiele zusammenzutragen. Wir wollen auch Modellprojekte des Bundes vorstellen, weil der Bund seiner Rolle hier gerecht werden will, was die Stadtentwicklung anbetrifft. Wir haben gerade Geld für ein Programm „Soziale Stadt“ aufgestockt im Jahr 2006, von 60 Millionen auf 110. Wir wollen eine Reihe von Modellvorhaben vorstellen, die sich mit einem Umbau der Infrastruktur, der sozialen Infrastruktur, beschäftigen oder mit dem öffentlichen Raum, der für alle Generationen erlebbar und adäquat sein muss, beziehungsweise eben auch werden wir uns kümmern um aktives Wohnen von Familien, Nachbarschaften, von Jung und Alt, die Entwicklung von ländlichen Räumen, die ja angeschlossen sein müssen an die Zentren, wollen wir sie nicht abkoppeln, sondern wollen wir dort auch Lebensqualität erhalten.
Sagenschneider: Sie haben von guten Beispielen gesprochen. Nennen Sie einige.
Tiefensee: Es gibt einen Wettbewerb, der unlängst zum Ende geführt hat, wo wir Wohnprojekte ausgezeichnet haben, die Generationen zusammenführen beziehungsweise vorbildlich vormachen, wie seniorenfreundliches Wohnen in der Zukunft aussehen könnte. Das ist ein Beispiel. Denn die älteren Menschen – Gott sei Dank werden wir älter, die Gesundheitsvorsorge ist immer besser –, die älteren Menschen wollen nicht zu früh in Gemeinschaftseinrichtungen. Sie wollen zu Hause bleiben. Was muss sich in der Wohnung ändern, damit jemand Kontakt mit dem Arzt haben kann, damit er pflegeleicht wohnt und seine Wohnung selbst gestalten kann? Oder Projekte, Kinder, Jugendliche zusammenzubringen mit Älteren, also eine Art WG auf neuem Niveau zu gestalten. Das sind gute Beispiele. Und dann kümmern wir uns auch um den öffentlichen Nahverkehr. Die Menschen wollen aus den ländlichen Regionen zur Kultur, die Jugendlichen zur Berufsschule in die kleinere, in die größere Stadt, und das muss organisiert werden.
Sagenschneider: Revidieren Sie denn, Herr Tiefensee, auch Vorhaben zum Beispiel beim Verkehr? Denn heute werden ja vielleicht Straßen geplant, die es künftig, zumindest in dieser Dimension, möglicherweise ja an vielen Stellen gar nicht mehr braucht.
Tiefensee: Genau das ist die Aufgabe. Wenn Planer sich um Stadtentwicklung kümmern, also öffentliche Räume in den Blick nehmen, oder wenn Infrastruktur geplant oder ausgebaut wird, dann muss der Aspekt der Demografie eine größere Bedeutung bekommen. Es hat wenig Sinn, in Infrastruktur zu investieren, die in der Dimension nicht gebraucht wird. Allerdings sind die öffentlichen Haushalte so schmal, dass die Gefahr eigentlich eher gering ist. Es geht jetzt darum, das strategisch anzugehen, und da helfen solche Kongresse, solche Diskussionen, dass die Experten aus unterschiedlichen Politikfeldern mal zusammenkommen, dass die Oberbürgermeister, die Landräte, auch die politischen Entscheider sich zunächst mal die Fakten vor Augen führen und vor allen Dingen dann die Gefahren und die guten Beispiele anschauen.
Sagenschneider: Herr Tiefensee, ich danke Ihnen. Wolfgang Tiefensee war das. Er ist Bundesminister für Verkehr und Stadtentwicklung.