Tiefe Depression
Mit ihrem Stück "En Attendant" für das Festival von Avignon wenden sich die flämische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker und ihr Ensemble Rosa dem 14. Jahrhundert zu, als in Avignon die Päpste herrschten und in Europa die Pest.
Rosas neuer Tanztheaterabend ist ungewöhnlich in des Wortes verwegenster Bedeutung. Er heißt "En Attendant" und beginnt mit dem Auftritt eines Musikers, eines Flötisten. Er spielt nur einen langsam anschwellenden Ton, aber den hält er über fünf Minuten an - wie das technisch möglich ist, ist ein Rätsel. Es geht um den Atem, den Atem als Zeichen des Lebens, wie die Bewegung, der Tanz.
"En Attendant" (Warten) wird in einer der schönsten Spielstätten Avignons aufgeführt, in einem alten Kloster, dem Cloître des Célestins. Der Hof wird von einem Kreuzgang umgeben, an der Stirnseite stehen zwei große Platanen. Zwischen ihnen ist ein Stück Erde sauber gefegt, das ist die Tanzfläche. Kein Tanzteppich, nur Muttererde. Das Gemäuer sieht verwittert aus, Blätter bedecken die Erde, die Stimmung ist herbstlich.
Vier Musiker, darunter eine Sängerin, intonieren Kompositionen aus dem 14. Jahrhundert - Anne Teresa de Keersmaeker hat sich für "En Attendant" von Avignon inspirieren lassen, von der Zeit der Päpste. Damals hauste die Pest in Europa. Die achtköpfige Compagnie, vier Damen, vier Herren, zeigen oft das Fallen, das Fallen zu Boden. Die Krankheit bricht auch den stärksten Mann. Es gibt keine wirklich Pas de deux, keine erotischen Spannungen - mitunter versucht einer dem anderen zu helfen, zu stützen, aber wirklich helfen kann niemand.
Die Musik unterstützt und begleitet die stürzenden Bewegungen meistens mit Klage, eine aussichtslose Situation wird beschrieben. Die künstlerischen Mittel sind alle reduziert: Die Tänzer tragen schwarze Kleidung und Turnschuhe. Sie werden schmutzig, wenn sie auf die Erde gefallen sind, nachdem sie sich erhoben haben. Einmal zieht sich der jüngste, sympathischste Tänzer die Hose aus und liegt verkrümmt auf der Erde - die nackte Leiche eines jungen, viel zu früh gestorbenen Mannes, ein Bild des Jammers.
Die nachhaltigste Wirkung hat die Entscheidung, die Vorstellung um 20.30 Uhr beginnen zu lassen. Es ist Abend in Avignon, die Aufführung dauert knapp anderthalb Stunden, 90 Minuten. Es wird dunkler, die Dämmerung bricht herein. Zum Schluss kann der Zuschauer kaum noch etwas sehen - die aufziehende Nacht erzeugt die Stimmung von Tod und Verhängnis, von Aussichtslosigkeit, eine tiefe Depression.
Anne Teresa de Keersmaeker und ihre Compagnie, Rosas, fordern die Zuschauer. Dieser Tanztheaterabend ist radikal anders als andere - und wirft die Frage auf, warum sich die flämische Choreografin ins 14. Jahrhundert wendet. Sieht sie unsere aktuelle Krise als so gravierend, so existenziell an wie die der damaligen Zeit?
Die Depression und die Aussichtslosigkeit wirken stark, aber auch ein wenig übertrieben, überzeugen nicht völlig. Dennoch verdient das Experiment Respekt. "En Attendant" erinnert an "Warten auf Godot", den absurden Klassiker von Samuel Beckett. Dessen Titel lautet auf Französisch "En attendant Godot". Dort warten die Figuren vergeblich.
"En Attendant" (Warten) wird in einer der schönsten Spielstätten Avignons aufgeführt, in einem alten Kloster, dem Cloître des Célestins. Der Hof wird von einem Kreuzgang umgeben, an der Stirnseite stehen zwei große Platanen. Zwischen ihnen ist ein Stück Erde sauber gefegt, das ist die Tanzfläche. Kein Tanzteppich, nur Muttererde. Das Gemäuer sieht verwittert aus, Blätter bedecken die Erde, die Stimmung ist herbstlich.
Vier Musiker, darunter eine Sängerin, intonieren Kompositionen aus dem 14. Jahrhundert - Anne Teresa de Keersmaeker hat sich für "En Attendant" von Avignon inspirieren lassen, von der Zeit der Päpste. Damals hauste die Pest in Europa. Die achtköpfige Compagnie, vier Damen, vier Herren, zeigen oft das Fallen, das Fallen zu Boden. Die Krankheit bricht auch den stärksten Mann. Es gibt keine wirklich Pas de deux, keine erotischen Spannungen - mitunter versucht einer dem anderen zu helfen, zu stützen, aber wirklich helfen kann niemand.
Die Musik unterstützt und begleitet die stürzenden Bewegungen meistens mit Klage, eine aussichtslose Situation wird beschrieben. Die künstlerischen Mittel sind alle reduziert: Die Tänzer tragen schwarze Kleidung und Turnschuhe. Sie werden schmutzig, wenn sie auf die Erde gefallen sind, nachdem sie sich erhoben haben. Einmal zieht sich der jüngste, sympathischste Tänzer die Hose aus und liegt verkrümmt auf der Erde - die nackte Leiche eines jungen, viel zu früh gestorbenen Mannes, ein Bild des Jammers.
Die nachhaltigste Wirkung hat die Entscheidung, die Vorstellung um 20.30 Uhr beginnen zu lassen. Es ist Abend in Avignon, die Aufführung dauert knapp anderthalb Stunden, 90 Minuten. Es wird dunkler, die Dämmerung bricht herein. Zum Schluss kann der Zuschauer kaum noch etwas sehen - die aufziehende Nacht erzeugt die Stimmung von Tod und Verhängnis, von Aussichtslosigkeit, eine tiefe Depression.
Anne Teresa de Keersmaeker und ihre Compagnie, Rosas, fordern die Zuschauer. Dieser Tanztheaterabend ist radikal anders als andere - und wirft die Frage auf, warum sich die flämische Choreografin ins 14. Jahrhundert wendet. Sieht sie unsere aktuelle Krise als so gravierend, so existenziell an wie die der damaligen Zeit?
Die Depression und die Aussichtslosigkeit wirken stark, aber auch ein wenig übertrieben, überzeugen nicht völlig. Dennoch verdient das Experiment Respekt. "En Attendant" erinnert an "Warten auf Godot", den absurden Klassiker von Samuel Beckett. Dessen Titel lautet auf Französisch "En attendant Godot". Dort warten die Figuren vergeblich.