Ticketpreise

Warum das Preisgefüge der Bahn richtig ist

Weihnachtlich dekoriert präsentiert sich am Sonntag der Berliner Hauptbahnhof.
Zu teuer? So einfach ist das nicht, analysiert Ralph Bollmann. © dpa / picture alliance / Jörg Carstensen
Von Ralph Bollmann · 17.12.2014
Die Deutschen meckern gern über die Preise der Deutschen Bahn: Zu teuer die Tickets, zu unübersichtlich die Preisgestaltung. Doch die Bahn tut richtig daran, manche Tickets teurer und manche billiger zu machen, meint der Wirtschaftsjournalist Ralph Bollmann.
Wie wenig die Deutschen von der Marktwirtschaft verstehen, zeigt sich regelmäßig bei den Debatten über die Fahrpreise der Bahn. Ein bloßes Gerücht über die Abschaffung der Bahncard versetzte jüngst wieder die halbe Nation in Aufregung. Schnell einig waren sich vor allem die beruflichen Vielfahrer aus den Medien, denen das kleine Plastikkärtchen vollflexible Tickets zu konkurrenzlos günstigen Preisen sichert. Sie glauben: Der Zug ist "zu" teuer, Fernbus und Flugzeug sind "zu" billig.
Worauf beruht eigentlich die Wertung, die in solchen Sätzen steckt? Zunächst einmal: In einem völlig transparenten Markt, der keine Monopole kennt, kann es "zu" hohe oder "zu" niedrige Preise gar nicht geben. Ist die Nachfrage vorübergehend höher als das Angebot, steigen die Preise. Darin besteht für findige Unternehmer wiederum ein Anreiz, mit günstigeren Angeboten auf den Markt zu drängen. Umgekehrt können die neuen Angebote auf Dauer nicht unter den Gestehungskosten liegen.
Flexible Ticketpreise mit anderen flexiblen Tickets vergleichen
Zwar gibt es auf der Schiene noch nirgends echte Konkurrenz, was möglicherweise auch strukturelle Gründe hat. Aber zwischen den Verkehrsträgern funktioniert der Markt inzwischen ganz gut, wenn man Vergleichbares vergleicht. Also zum Beispiel: das vollflexible Ticket, das allerdings kaum jemand kauft. Es kostet von Berlin nach Köln mit "Mein Fernbus" 50 Euro, mit der Bahn in der zweiten Klasse 120 Euro, mit dem Flugzeug von Germanwings 330 Euro. Das spiegelt die Relationen recht gut wieder. Mit dem Bus bin ich eben auch mehr als sieben Stunden unterwegs, die Bahn schafft es in gut vier Stunden.
Ähnlich stellt sich die Sache bei einem Vergleich der Spartarife dar. Das sind die Tickets, die lange vorher gebucht werden müssen und nur für eine bestimmte Abfahrtszeit gelten. Da liegt der Fernbus bei 15 Euro, die Bahn bei 29 Euro und das Flugzeug bei 33 Euro. Hier liegen die Tarife etwas dichter beieinander, aber grundsätzlich ändert sich an den Relationen nichts. Im Vergleich zum zuckeligen Fernbus erscheint die Bahn allenfalls "zu billig".
Der Punkt ist nur: So rechnen die meisten Leute nicht. Sie vergleichen das günstige Flugticket, das sie lange im Voraus buchen, mit der teuren Bahnfahrkarte, die sie kurzfristig erwerben. Auch dahinter steckt ein Marktgedanke: Der Wettbewerbsvorteil der Bahn, neudeutsch "unique selling point", liegt gerade in der Flexibilität. Das gibt es nicht nur bei der Bahn. Auch die Telefongesellschaften, die den Tarif einst nach Tageszeiten staffelten, bieten heute eine Flatrate an. Und wer das Datenvolumen begrenzen will wie jüngst die Telekom, handelt sich gewaltigen Ärger ein.
Die Verbraucher sind vom Tarifdschungel genervt
Doch die Frage bleibt: Lässt sich dieser Kundenwunsch zum gegebenen Preis erfüllen? Jeder zusätzliche Fahrgast, der zu den Hauptverkehrszeiten spontan in den Zug steigt, verursacht der Bahn immense Kosten. Eigens für ihn muss sie neue Züge kaufen und weitere Lokführer einstellen. Wer denkt, das sei zum Nulltarif zu haben: Der plädiert im Grunde für prekär beschäftigte Lokführer, die am Wochenende stundenweise bezahlt werden und den Rest der Woche von Hartz IV leben. Umgekehrt kostet es die Bahn fast nichts, am Mittwochmittag einen zusätzlichen ICE durchs Land zu schicken: Die Züge und das Personal bezahlt sie sowieso.
Deshalb ist der Wunsch der Bahn verständlich, mit einem Preissystem wie bei Bus und Flugzeug die Auslastung der Züge gleichmäßiger zu steuern – zumal sie mit der BahnCard nur Stammkunden bevorzugt, während sie Neukunden mit dem relativ teuren Normaltarif eher abschreckt. Die Frage ist, ob die Bahn ein neues System bei den Kunden durchsetzen kann. Oder ob die Verbraucher, vom Tarifdschungel genervt, vor allem eines schätzen: Übersichtlichkeit. Auch dabei geht es aber um die Nachfrage – und nicht um die Rückkehr zu einem naturgegebenen Tarif. Den gibt es nämlich nicht.
Ralph Bollmann, geboren 1969, ist wirtschaftspolitischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin. Der studierte Historiker absolvierte die Münchener Journalistenschule und arbeitete viele Jahre für die taz, zuletzt als Leiter des Parlamentsbüros. Jüngste Buchveröffentlichung: "Die Deutsche. Angela Merkel und wir" (2013).
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