Thüringen

Sensible, verlassene Daten

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Regale mit Akten in einer Backsteinhalle in Immelborn © Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst Ludwig von Aster  · 11.08.2014
Vor einem Jahr entdeckte der Thüringer Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse 450.000 Akten in einer alten Backsteinhalle in Immelborn - unbewachte persönliche Daten, die ein gefundenes Fressen für Einbrecher darstellen. Hasse klagt jetzt vor dem Verwaltungsgericht Weimar Hilfe vom Innenministerium ein, um die Berge zu sichten.
Lutz Hasse eilt ins Vorzimmer. Seine Mitarbeiterin holt einige Wasserflaschen aus dem Schrank.
"Eine für den Fahrer, hat der was dabei? Dann nehme ich was mit. Gut wenn was ist, dann bitte sms, dann sind wir jetzt ein paar Stunden weg."
Thüringens oberster Datenschützer ist ein 1,96 Meter-Hüne, er packt drei Wasserflaschen mit einer Hand, geht in Richtung Fahrstuhl. "Immelborn" steht in seinem Kalender. Vor dem Fahrstuhl wartet schon seine Kollegin Petra von der Gönne. Eine schwere Handtasche über der Schulter:

"Haben sie das Brecheisen dabei. Alles mit ? Hammer und Meißel, und Öl…. Hier schauen sie, Dr. Hasse, alles dabei"
Hammer, Meißel, Öl, Wasserflaschen – die Standardausrüstung für einen Datenschutzeinsatz in Immelborn. Vor der Tür wartet schon ein Fahrer. Hasse quetscht seine 1,96 Meter auf den Beifahrersitz. Seine Kollegin macht es sich hinten links bequem.
"Immelborn" – das sagte den beiden lange nichts:

"Nie gehört, bis wir einen Tipp bekommen haben von einer Ärztin, die da ihre Akten eingelagert hatte, in einem Aktenlager, dann sind wir gleich raus, haben uns das angeguckt, großes Fabrikgebäude, drei Stockwerke, je 1000 Quadratmeter, vollgestopft mit Akten, umgestürzte Regale umgestürzte Kistenberge."
Anbieter von Auslagerungsplätzen tauchen einfach ab
In Thüringen lagern Behälter mit Hunderttausenden von Akten.
Kisten mit Hunderttausenden von Akten warten auf die Behörden© Deutschlandradio/Ernst-Ludwig von Aster
Bis zu zehn Jahre müssen Ärzte und Rechtsanwälte ihre Akten aufbewahren. Da spart die Auslagerung Platz in Büro und Praxis. Dutzende Firmen bieten ihre Dienste an. Pro Aktenordner sind zwischen sechs und zwölf Cent pro Monat fällig
"Der Kostendruck ist da, es gibt schwarze Schafe, da wird also eine Immobilie gekauft, vielleicht auch eine Schrottimmobilie, die wird zugepackt mit Akten, und man taucht dann ab, so wie im Fall Immelborn. Der Geschäftsführer ist abgetaucht in der Schweiz…"
Der Verantwortliche ist weg. Die Akten bleiben zurück und liegen herum in Immelborn. Mehrfach sind Diebe eingestiegen, solche Daten sind ein gefundenes Fressen für potenzielle Erpresser und andere Kriminelle.
Nach 80 Kilometern: ein holpriger Kiesweg. Er führt am Bahnhof vorbei. Ganz hinten links ein dreigeschossiger Backsteinbau. Ungestört wuchern Gras und Bäume. Einige Fenster sind eingeschlagen. "Ad Acta Aktenmanagement und Beratung Gmbh" verkünden immer noch große blaue Buchstaben
Zutritt mit Hammer und Stemmeisen
Lutz Hasse greift zur Wasserflasche, seine Kollegin holt die Handtasche aus dem Kofferraum. Das Glas im Stahlrahmen der Eingangstür ist zersplittert. Eine Metallplatte sichert den Eingang von innen.

"Also das ist immer eine elende Würgerei bis man hier reinkommt."
Die beiden ziehen, drücken, sprühen. Es hilft nichts. Hasse nimmt einen Schluck Wasser. Petra von der Gönne holt Hammer und Stemmeisen aus der Handtasche.
Endlich gibt die Tür nach.

"Prima, auch diese Hände können zärtlich sein"

Kühle, muffige Luft dringt aus dem Innern. Auf dem Boden liegen Glasscherben. Ende Juli war der letzte Einbrecher hier. Graffitis überziehen die gekalkten Wände. In der riesigen Lagerhalle stehen Regale eng an eng. Ragen bis zur Decke. Immer neun Aktenordner-Reihen übereinander. Auf 1000 Quadratmetern.

Hasse: "Was hier jetzt so Schickes drin ist…"
Gönne: : "Was draufsteht ist auch nicht immer unbedingt drin, also man müsste das wirklich alles in die Hand…"
Hasse: "Oooh, äähm, so Bankunterlagen, die wir hier gefunden haben, lassen wir mal wieder gleich verschwinde … "
Schnell stopft er die Akte zurück. Schließlich ist er Datenschützer. Und was er hier vor sich hat, sind höchst persönliche, sensible Daten aus vielen Lebensbereichen:
"Also Rechtsanwaltskanzleien, Insolvenzverwalter, Personalabteilung von Unternehmen, dann auch medizinische Akten…"

Durch die ersten beiden Stockwerke hat sich Hasse mit seinen 18 Mitarbeitern mühsam durchgewühlt. Eine erste Sichtung, mehr nicht.
Kraft und viel Personal nötig, um aufzuräumen
Hasse stapft weiter nach oben. Die großen Überraschungen warten im Dachgeschoss. Da liegen meterhoch Aktenkartons übereinander. Mit seinen 1,96 Meter wirkt der Datenschützer vor dieser Kulisse eher klein.

"Hier mit diesen Kisten und diesen Gittercontainer, da bräuchte ich jetzt mal ein bisschen Hilfe, das wir vielleicht einfach mit dem Hubwagen oder vier Mann, vier Ecken, uns hier durchwursteln und dann den Inhalt sichten. Also Inhalt sichten, das könnten wir dann wieder machen, aber hier muss man einfach ein bisschen Kraft entfalten um hier Klarschiff zu machen."

Der Datenschutzbeauftragte Hasse und seine Mitarbeiter können die Aktenberge nicht abtragen, so viel ist klar. Die Polizei soll helfen, Hasse hat um Amtshilfe gebeten, aber das Innenministerium lehnt ab. Darüber ist er sauer, erzählt er auf der Rückfahrt.

"Hinzu kommt, dass ich aus der Polizei mehrere Rückmeldungen habe, dass die das auch für selbstverständlich erachten, das ich Unterstützung erfahre. Zehn Mann oder Frauen für zehn Tage, das sollte selbst in Thüringen möglich sein…"

Lutz Hasse schüttelt den Kopf. Dass ihn der CDU-Innenminister als "unfähig" und "überfordert" in Sachen Immelborn bezeichnet hat, nimmt er sportlich. Und kontert auf seine Weise:

"Sportlich weiter. Wir haben jetzt Klage auf Amtshilfe eingereicht beim Verwaltungsgericht Weimar."

Nun muss ein Gericht klären, ob der Innenminister in Thüringen dem Datenschutzbeauftragten helfen muss oder nicht. Die Aktenberge mit den persönlichen Daten unzähliger Bürger bleiben solange dort, wo sie sind: in einem verwahrlosten Backsteingebäude in der thüringischen Provinz.

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