Thüringen

Kampf ums Schloss

Landesdenkmalpfleger Holger Reinhardt zeigt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) auf Schloss Reinhardsbrunn historische Aufnahmen des vom Verfall bedrohten Denkmals.
Landesdenkmalpfleger Holger Reinhardt zeigt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) auf Schloss Reinhardsbrunn historische Aufnahmen des vom Verfall bedrohten Denkmals. © dpa / picture alliance / Michael Reichel
Von Henry Bernhard · 24.05.2014
Das Land Thüringen will einen russischen Schlossbesitzer enteignen, weil er sein Hab und Gut verfallen lässt. Dies wäre ein Novum in Deutschland. Für Thüringen aber ist das Schloss Reinhardsbrunn von großer Bedeutung.
Christfried Boelter steht auf dem Rasen eines englischen Landschaftsparks, der bessere Zeiten gesehen hat, vor einem Schloss, das bei näherem Hinsehen nicht gut in Schuss ist: vernagelte Fenster, das Dach geflickt, kaputte Scheiben. Boelter ist Vorsitzender des Fördervereins Schloss und Park Reinhardsbrunn. Seit Jahren kümmert sich der Verein um den Park:
"Ein Schlosspark, der mir nicht gehört - das ist richtig! Schloss und Park Reinhardsbrunn sind in russischem Besitztum; und wir haben als direkte Nachbarn und als engagierte Bürger in Friedrichroda seit Jahren mit großer Besorgnis den Niedergang dieser gesamten Anlage miterlebt und wahrgenommen."
Mit dem Vorbesitzer des Schlosses haben sie einen Vertrag geschlossen. Sie mähen den Rasen, schneiden Hecken, räumen heruntergefallene Äste weg. Dafür können sie Führungen für Touristen anbieten, die sich für den englischen Landschaftsgarten interessieren, der einstmals Menschen aus ganz Europa anzog. Das im Park liegende prächtige neugotische Jagd- und Lustschloß Reinhardsbrunn steht seit 2001 leer und verfällt. Das Dach ist undicht, die Böden zerstört, die Außenmauer teilweise eingestürzt; zwei Glocken und die Turmuhr wurden gestohlen.
Eigentümer zahlt nichts für Reparaturen
Der Landkreis unternimmt die nötigsten Reparaturen. Der Eigentümer, eine GmbH in russischer Hand, zahlt nichts. Jeder Versuch von Verein oder Politik, den Eigentümer an seine Verantwortung für das Kulturdenkmal zu erinnern, versandet. Die Thüringer Landesregierung strebt deshalb an, den Eigentümer zu enteignen. Die Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ist fest entschlossen:
"Wir sind gerne bereit, wenn es notwendig ist, als Ultima Ratio diesen Weg zu gehen. Er steht dem Kulturland Thüringen allemal gut zu Gesicht, und es lohnt sich, darum auch zu kämpfen."
In Reinhardsbrunn stand vor knapp 1000 Jahren die Wiege des mittelalterlichen Thüringen: Das Hauskloster und die Grablege der Landgrafen von Thüringen, der Ludowinger. Dieser Ort soll nun vor dem Verfall gerettet und für das Land erhalten werden. Eine Enteignung aus Denkmalschutz-Gründen wäre ein Novum in Deutschland. Scheitert eine gütliche Einigung, dann droht der Finanzminister Wolfgang Voß unmissverständlich:
"Wenn da keine Bewegung reinkommt, werden wir ein Enteignungsverfahren in gang setzten. Punkt, Schluss, aus!"
Höchste Dichte an Residenzen Weltweit
Thüringen ist die mit der höchsten Dichte an Residenzen - weltweit. Einen guten Teil verwaltet die die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Deren Direktor, Helmut-Eberhard Paulus, befürwortet das Enteignungsprojekt, sagt aber auch, dass seine Stiftung keine neuen Sanierungsfälle mehr verkraften kann - solange das Investitions-Budget von derzeit 8,5 Millionen Euro pro Jahr nicht aufgestockt wird. Dennoch will er nicht jammern:
"Wir haben kein einziges Schloss, das akut baufällig wäre, da hat sich etwas fundamental geändert gegenüber den Zeiten kurz nach der Wende. Das heißt also, diese Sicherungsarbeiten, vor allem diese statischen Sicherungsarbeiten, die man ja von außen nicht sieht, ist dieses Problem auch abgearbeitet."
Viele Schlösser wurden 80 Jahre lang vernachlässigt, so Paulus. Es brauche etwa genauso lange, sie vernünftig und solide zu sanieren. Dabei sei es enorm wichtig, die Schlösser vielfältig zu nutzen, etwa als Museum, Hotel, Tagungsstätte, Ort für Konzerte. Nur so könne die finanzielle Last auf viele Schultern verteilt werden. Und ebenso wichtig wäre auch das Engagement der Bürger: Kultur vermittele Identität. Das ist auch einer der Gründe, warum sich Christfried Boelter in Reinhardsbrunn so ins Zeug legt:
"Das ist ja tatsächlich so: Wenn was los ist kulturell, bieten wir ja auch Ankerfunktion und Haltefunktion für die immer wieder angedrohte Abwanderung. Aber wenn was da ist, womit sie sich identifizieren können, dann bleiben sie da oder kommen sogar wieder. Deshalb ist es so wichtig, dass die kulturelle Dimension von diesen Schlössern, Gärten immer im Blick bleibt, damit wir ein Stückchen auch was zur Bewahrung des Erbes tun - denn davon leben wir ja schließlich!"