Thüringen empfiehlt sein Mindestlohnmodell für den Bund

Moderation: Nana Brink · 24.10.2013
Keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West und eine Lohnuntergrenze verhandelt durch die Tarifparteien - das sind die beiden Vorschläge aus Thüringen. Die Ministerpräsidentin des Freistaates, Christine Lieberknecht spricht sich dagegen aus, einen Mindestlohn durch die Bundesregierung festzulegen.
Nana Brink: Eines kann man von Winfried Kretschmann immer erwarten, klare Ansagen! Die gab es auch vor dem heutigen Treffen der Ministerpräsidenten und -präsidentinnen in Heidelberg, der grüne Länderchef von Baden-Württemberg will zwei Themen auf der Agenda sehen: die Energiewende und vor allem eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen. Letzteres wird sicherlich auch die Koalitionsgespräche in Berlin bestimmen, genau wie der Mindestlohn, über den auch die Länderchefs sicherlich das eine oder andere Wort verlieren werden. Eine Freundin klarer Worte ist auch die Vorgängerin Kretschmanns als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, Thüringens CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht. Einen schönen guten Morgen, Frau Lieberknecht!

Christine Lieberknecht: Schönen guten Morgen!

Brink: Fangen wir mit dem Thema an, das Ihrem Vorgänger für heute sehr am Herzen liegt, nämlich der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen! Sie haben schon dafür geworben, dass es einen Fahrplan geben soll für diese schwierige Reform, wie sieht der aus?

Lieberknecht: Den Fahrplan haben wir bereits im vergangenen Jahr in Weimar beschlossen. Er sah vor, dass bis zum Herbst vergangenen Jahres die Verständigung untereinander bei den Ländern stattfinden sollte, dass die Finanzministerkonferenz zunächst um ein Meinungsbild gebeten wurde. Das Meinungsbild ist im Juni diesen Jahres vorgelegt worden, und zwar über alle Fragen, die in finanzieller Hinsicht zwischen den Ländern, aber auch zwischen Bund und Ländern eine Rolle spielen. Diese Vorlage soll von der Finanzministerkonferenz dann bis zum Dezember diesen Jahres mit einem Votum versehen werden, sodass wir dann auf Basis dieses Votums die Gespräche mit dem Bund aufnehmen können, wie wir thematisch, zeitlich, aber auch strukturell mit dem Bund über diese Finanzbeziehungen, über eine Finanzreform 2020, wie wir es genannt haben, also 2020, beraten können.

Brink: Und was ist der Inhalt, was ist die Verständigung, die Sie gefunden haben?

Lieberknecht: Ja, wir haben uns auf einen ganzen Aufgabenkatalog verständigt, was ja nicht einfach war. Zunächst einmal die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, die untersucht werden soll, dann die Lastenverteilungsgrundsätze, das heißt, es gibt Länder, die mit schwierigen wirtschaftlichen Situationen, die nicht das hohe Steuereinkommen haben wie andere, verbunden sind. Es gibt die Frage von Altschulden, die zu regeln sind, da hat Hamburg ein interessantes Modell vorgelegt; es ist die Frage der Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern erneut auf die Tagesordnung zu nehmen. Wir hatten eine Föderalismuskommission eins, die hat zum Beispiel im Hochschulbereich uns einmal das Kooperationsverbot aufgegeben, das heißt, Mischfinanzierung aufgelöst, wir sind aber jetzt doch nach einigen Jahren zu der Erkenntnis gekommen, dass die Mischfinanzierungen durchaus in manchen Bereichen Sinn machen.

Brink: Darf ich Sie noch mal packen, Sie sind ja auch Ministerpräsidentin eines ostdeutschen Bundeslandes. Der Solidarpakt 2002 läuft aus, es soll ja keinen direkten Ersatz geben, aber trotzdem müssen Sie doch dafür sorgen, dass die Ostländer nicht hinten wegkippen, auch bei diesem Thema!

"Problemzonen im Osten wie im Westen"
Lieberknecht: Es geht nicht mehr nach Himmelsrichtungen in diesen Fragen. Wir haben im Osten Problemzonen, wo wir weiter auch strukturelle Nachteile haben, aber bei Weitem nicht nur im Osten, die gibt es auch in westdeutschen Flächenländern. Und deswegen sage ich: Nicht mehr Verteilung der Gelder nach Himmelsrichtung, sondern ich habe einen Deutschland-Fonds vorgeschlagen, einen Deutschland-Fonds, der genau da hilft, wo diese Strukturschwächen auftreten. Auch nicht dauerhaft, sondern als eine Art Hilfe zur Selbsthilfe in zum Beispiel ländlich-strukturschwachen Gebieten, die von demografischer Entwicklung besonders betroffen sind, oder auch Gebiete, wo eine schwere Erreichbarkeit nur ist, wo wir im Blick auf die Breitbanderschließung mehr tun müssen, als bisher der Fall ist, auch ein Thema, was der Bund sich im Übrigen vorgenommen hat. Und dafür gibt es auch schon ganz beachtliche Mitstreiter, ich nenne den Deutschen Städte- und Gemeindebund, der sich hier positioniert hat, und auch einige Länderkollegen, die sagen, ja, eine Neuordnung mit einem Deutschland-Fonds oder einem Strukturausgleichsfonds, temporär angesetzt für strukturschwache Gebiete, unabhängig von Himmelsrichtungen, wäre ein guter Weg.

Brink: Gerade auch bei diesem Thema, bei diesem wirtschaftlichen Thema, spielt ja auch das andere große Thema eine Rolle, nämlich der Mindestlohn. Auch natürlich für die Koalitionsgespräche, auch bei Ihnen heute, dem Treffen der Ministerpräsidenten. Sie haben ja schon das Thüringer Modell entworfen, ganz kurz, es soll einen Mindestlohn geben, aber von einer Kommission von Arbeitgebern und -nehmern ausgehandelt, ohne Angabe einer Lohnhöhe. Ist das jetzt des Rätsels Lösung?

Lieberknecht: Das ist etwas, was wir in Thüringen für sehr vernünftig gehalten haben und was ich auch weiter für sehr vernünftig halte, dass wir diejenigen, die die Experten für Wirtschaft sind – das sind die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer –, diesen Lohn auch bestimmen lassen. Das Problem in Deutschland ist ja nicht, dass die Tarifparteien das nicht tun würden, aber sie sind zu wenig organisiert. Wir haben zu viele weiße Flecken, an denen eben keine Lohnuntergrenze besteht, und dass man diese Lohnuntergrenze verbindlich verhandeln lässt von den Tarifpartnern, deren ureigenster Part das ja auch ist, für ganz Deutschland. Das war uns wichtig, dass wir hier keine Differenzierung nach Ost/West mehr haben wollen. Es gibt nämlich genügend Branchen, die gezeigt haben, dass es geht.

Einheitlich, es geht um Mindestlohn, es geht hier nicht um Obergrenzen, sondern einen Mindestlohn. Dann weiß ich selbstverständlich, dass es Regionen gibt wie München, Stuttgart oder Frankfurt, die wirtschaftspolitisch anders aufgestellt sind, aber dennoch ein Mindestlohn, wo Spreizen nach oben dann natürlich möglich sind, je nach regionaler Gegebenheit. Aber ein Mindestlohn, durch die Tarifpartner festgelegt, weil wir uns nicht als Politiker anmaßen sollten, besser Bescheid zu wissen als diejenigen, die dann vor Ort auch die Arbeitsplätze sichern müssen, die wirtschaftlich, aber eben auch unter sozialen Kriterien das miteinander aushandeln. Das ist bei den Tarifpartnern in guten Händen und deswegen ist das Thüringer Modell: Mindestlohn ja, aber in einer sogenannte Low Pay Commission nach britischem Vorbild festgelegt. Darauf hatten wir uns im vergangenen Jahr mit der SPD auch einigen können, CDU und SPD. Wie das jetzt auf Bundesebene aussieht, da wage ich mal die Prognose, ist es wohl ein bisschen komplizierter geworden.

Brink: Die CDU-Ministerpräsidentin von Thüringen Christine Lieberknecht, schönen Dank für das Gespräch!

Lieberknecht: Bitte sehr!

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