"Partygate" in Großbritannien

Die Queen und Mr. Johnson

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Boris Johnson und die Queen stehen sich gegenüber und sprechen miteinander.
Die Queen feiert ihr 70-jähriges Thronjubiläum, während Premierminister Boris Johnson versucht seine „Partygate“-Affäre politisch zu überstehen. © picture alliance / empics
Ein Kommentar von Andrea Roedig · 06.02.2022
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Queen Elizabeth II. feiert ihr 70-jähriges Thronjubiläum. Indessen strauchelt ihr aktueller Premierminister Boris Johnson über sein „Partygate“. Die Amtsverständnisse der beiden lassen sich als zwei Seiten einer Medaille beschreiben, kommentiert Andrea Roedig.
In den Geisteswissenschaften gibt es die berühmte Formel von den „Zwei Körpern des Königs“ – sie geht zurück auf den Mediävisten Ernst Kantorowicz, der eine juristische Eigentümlichkeit aus dem England des elisabethanischen Zeitalters untersuchte. Damals schrieb man dem gekrönten König zwei Körper zu: einen leiblichen, sterblichen und einen ewigen, unsterblichen.

Wenn Menschen zu Ikonen werden

Diese Unterteilung in einen „natürlichen“ und einen „politischen Körper“ – einen „body natural“ und einen „body politic“ – habe dazu geführt, dass man schließlich die abstrakte Idee eines Staates entwickeln konnte, meint Kantorowicz. Die Metapher von den zwei Körpern wurde auch deshalb berühmt, weil sich mit ihr so schön erklären lässt, was passiert, wenn Menschen zu Ikonen werden oder wenn sie ein Amt verkörpern: Hinter der offiziellen Rolle tritt die private, natürliche Person zurück.
Schaut man derzeit nach Großbritannien, so scheint es, als repräsentierten die beiden amtierenden Oberhäupter exakt jeweils nur eine Seite der „zwei Körper des Königs“. Die Queen, schon immer ein Inbegriff royaler Würde, scheint fast zum unsterblichen Körper auf dem Thron erstarrt, und egal was ihre Familie tut, sie bleibt davon unberührt, ist die korrekte Herrscherin mit Hut und Handtasche seit 70 Jahren.

Der die Forellen küsst

Boris Johnson dagegen scheint nichts anderes zu sein als Privatperson. Daumen hoch und Witze machen, Forellen küssen und mit Würstchen um den Hals Reden schwingen: Er scheint, wie du und ich, gar kein offizielles Amt einzunehmen.
Kurzum: Es ist, als habe die Queen keinen sterblichen und Boris Johnson keinen ewigen Körper. Zwischen den beiden stehen natürlich mindestens drei Generationen gewandelten Politikverständnisses.

„Ich bin einer von euch“, sagt der Populist

Doch was Boris Johnson macht, ist auch eindeutig Populismus, und der besteht genau darin, die zwei Körper des Königs zu einem zu verschmelzen: „Ich bin einer von euch“, sagt diese Politik; „es gibt hier keine Unterscheidung zwischen Amt und Privatperson“. Dass dieses „einer von euch“ auch nur eine Rolle ist, wird leicht übersehen.
Porträt der Publizistin Andrea Roedig.
Ein Politiker, der vorgibt, nur Privatperson zu sein, macht uns etwas vor, meint Andrea Roedig.© Elfie Miklautz
Den Herrschenden wird oft Doppelmoral vorgeworfen, wenn sie die beiden Körper des Königs nicht zur Deckung bringen, wenn sie also offiziell Wasser predigen und privat Wein trinken. Doppelmoral müsste aber auch der Vorwurf lauten, wenn die Regierenden andersherum sagen: „Ich bin wie ihr, schwach und fehlbar, ich trinke Wein.“

Regierende handeln nie nur als Privatmenschen

So wie etwa der österreichische Oberpopulist Hans Christian Strache mit dem Satz „das war eine bsoffene G'schicht“ das Ibiza-Video erklären wollte, oder wie Boris Johnson jetzt nur einfach sagt: „Sorry.“ Als ließen sich die Partys in seinem Amtssitz wie ein dummer Patzer einfach wegwischen. Kann passieren. Ja, kann passieren, sollte aber nicht. Das anti-elitäre Versprechen der Unmittelbarkeit, dieses „Ich bin wie ihr“ ist eine Lüge, denn der Politiker hat ja das Amt, er hat die Macht, und er trägt dafür die Verantwortung.
Es ist wichtig, die zwei Körper des Königs, die streng genommen ja nur einer sind, auseinanderzuhalten. Natürlich steckt hinter der Rolle, dem Amt, ein Mensch. Aber gerade weil er dieser Funktion seinen Körper leiht, ist sein – oder ihr – Handeln niemals Privatsache; ein Fehlverhalten schädigt hier nicht nur die Person, sondern auch das Amt.

Noch nicht mal ein ordentliches Watergate

Wer so tut, als gebe es nur einen Königskörper – nur den natürlichen oder nur den ewigen – wird autokratisch. Deswegen dürfen und müssen wir von Regierenden persönliche Integrität verlangen und zugleich darauf beharren, dass sie in ihrer Rolle nicht zu persönlich werden.
Historisch gesehen konnten Politiker und Politikerinnen über so viele verschiedenartige Skandale stolpern, denn was als akzeptabel gilt, hängt von den jeweiligen Sitten und Gesetzen ab. Traurig ist es aber schon, dass zu Coronazeiten nicht wenigstens ein ordentliches „Watergate“ den britischen Premier zu Fall bringt, sondern ein jämmerliches „Partygate“ vielleicht schon ausreicht.
Das ist keine Entschuldigung für Boris Johnson, nur ein wehmütiger Befund. Die Queen überdies feiert ihr Jubiläum mit dem Volk ganz groß im Juni. Erwartet wird, dass über zehn Millionen Menschen mitmachen. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Party ganz legal stattfinden kann.

Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien ihr gemeinsam mit Sandra Lehmann verfasster Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" und zuletzt ihr Essayband "Schluss mit dem Sex", beide im Klever Verlag.

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