Thriller mit Echtheitsfaktor

In England bezeichnet man das Genre als "true crime story", als "Geschichte eines wahren Verbrechens". Von einem Serienmörder handelt "Tod in Belmont". Der amerikanische Journalist Sebastian Junger, der mit seinem Erstling "Der Orkan" die Bestsellerlisten eroberte, ist ihm sogar selbst begegnet: Er verkehrte eine Zeit lang als Handwerker in seinem Haus.
1997 veröffentlichte der amerikanische Journalist Sebastian Junger sein erstes Buch "Der Sturm", die Geschichte eines Orkans – so spannend beschrieben, dass sich das Buch über zwei Jahre in der der amerikanischen Bestsellerliste hielt. In die amerikanischen Top-Ten schoss nun auch Sebastian Jungers neues, drittes Buch "Tod in Belmont", die Geschichte eines Serienmörders, des "Würgers von Boston", der 1962/63 in Boston und Umgebung sein Unwesen trieb.

"Tod in Belmont" ist weder ein Roman noch ein Sachbuch, es repräsentiert ein Genre für sich, im Englischen "true crime story" genannt, also "die Geschichte eines wahren Verbrechens"; den ersten literaturwissenschaftlichen Tabubruch dieser Art rechnet man Truman Capote zu, der 1966 seinen berühmten Roman "Kaltblütig" herausbrachte, in dem er einen wahren Mord beschrieb.

Eigentlich gebührt die Ehre allerdings dem argentinischen Schriftsteller Rodolfo Walsh, der schon 1957 den Begriff "Non-Fiction-Roman" mit seinem Roman "Operation Massaker" prägte. Diese Neuentwicklung eines eigenen Genres entsprach dem damaligen Zeitgeist. Schriftsteller drängte es, den engen Rahmen schöngeistiger Literatur zu überschreiten, mit der Maxime, dass die Realität immer spannender ist als jede Phantasie. Und es steckte gerade in den 60ern immer auch ein politischer Anspruch dahinter: Der Schriftsteller wollte aufklären.

Es gibt zwei Hauptfiguren in "Tod in Belmont", einmal den Serienmörder Albert DeSalvo, der Anfang der 60er Jahre 13 Frauen ermordete; die zweite Hauptfigur, die die eigentliche Hauptrolle spielt, ist ein Schwarzer namens Roy Smith. Dieser Roy Smith wird ebenfalls wegen eines Frauenmordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Jungers Theorie ist, dass jener Roy Smith aber nicht der Täter war, sondern dass der Mord eigentlich auch von dem Serientäter DeSalvo begangen wurde; soweit zur kriminalistischen Grundsituation, die Junger in dem Buch aufklären will, aber aufklären will Junger darüber hinaus noch etwas anderes, und zwar die Geschichte und die Praxis amerikanischer Rassenjustiz gegenüber der schwarzen Bevölkerung in den letzten 150 Jahren, bis in jene Zeit hinein, die das Buch in erster Linie portraitiert, also die 60er Jahre.

Sebastian Junger hat in seinem ersten Buch einen Orkan, in seinem zweiten Kriegsschauplätze im Kosovo und in Kaschmir beschrieben. Dafür, dass er sich für sein drittes Buch die Geschichte eines Serienmörders ausgesucht hat, gibt es einen Grund, besser gesagt: einen Anlass, denn tatsächlich verkehrte besagter Serienmörder DeSalvo eine Zeit lang als Handwerker im Haus der Familie Junger.

Das Buch beginnt: "An einem Morgen im Herbst des Jahres 1962, (…) schaute meine Mutter Ellen aus dem Fenster und bemerkte zwei Männer im Vorgarten." Der eine war, wie sich später herausstellte, der Serienmörder Al DeSalvo, - eine Szene wie aus einem Hitchcock-Film.

Sebastian Junger zeichnet sich durch einen sehr trockenen Stil aus, exakt beschreibend, sparsam, eher lakonisch, was die Spannung aber wiederum indirekt schürt; selten, dass Junger annähernd literarisch wird: "Sie gingen in der frühwinterlichen Abenddämmerung hinaus auf das grüne Rechteck."

Über weite Strecken liest sich "Tod in Belmont" wie ein Sachbuch, zum Beispiel wenn Junger sich durch Gerichtsakten und Verhörprotokolle arbeitet, atmet dann allerdings wiederum auch die Atmosphäre eines Gerichtsromans. Besonders fesselnd sind einmal die Einblicke in die Psyche eines Sexualmörders, und auf der anderen Seite die Aufarbeitung der Lynch- und Rassenjustiz in den USA.

"Tod in Belmont" ist ein knochentrockner Thriller, an "Der Sturm" kommt er zwar nicht ganz heran, aber nichtsdestotrotz ein wirklich packendes, berührendes, äußerst empfehlenswertes Buch.

Rezensiert von Lutz Bunk

Sebastian Junger: "Tod in Belmont".
Blessing Verlag 2007, 320 Seiten, 19.95 €.
Übersetzt von Jürgen Bürger.