Thomas Sattelberger

Wir müssen die Machokultur in Unternehmen aufbrechen

Thomas Sattelberger, ehemaliger Personalvorstand Telekom, sitzt am 22.03.2015 in Berlin im Gasometer in der ARD-Talkreihe Günther Jauch. Das Thema der Sendung lautete: Der ungerechte Lohn - warum verdienen Frauen weniger?
Thomas Sattelberger am 22.3.2015 bei Günther Jauch zum Thema "Der ungerechte Lohn – warum verdienen Frauen weniger?" © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Thomas Sattelberger im Gespräch mit André Zantow |
Über Jahrzehnte sei die Unternehmenskultur in Deutschland eine reine Männerkultur gewesen. Dabei können Frauen "richtig gut führen", meint Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger.
Deutschlandradio Kultur: Wieder keine Gehaltserhöhung, wieder umsonst Überstunden geschoben, wieder kriegen die anderen besondere Aufmerksamkeit! Der Chef ist Hassobjekt und gewünschte Führungsfigur zugleich. Aber wie tickt dieser Mensch und wie sollte er ticken? Das fragen wir nun einen, der sich auskennt mit der Personalarbeit, Thomas Sattelberger, langjähriger Personalchef bei Continental, Lufthansa, der Deutschen Telekom, davor auch bei Daimler Benz – alles nachzulesen in seiner Autobiographie, die im Frühjahr erschienen ist mit dem Titel "Ich halte nicht meine Klappe".
Das trifft sich sehr gut, Herr Sattelberger, denn wir haben jetzt eine gute halbe Stunde Zeit in Tacheles hier. Willkommen.
Thomas Sattelberger: Herzlich willkommen und danke für die Einladung.
"Hunderte Frauen sind in Führungspositionen aufgerückt"
Deutschlandradio Kultur: Ich möchte Sie am Anfang auf einen Ihrer größten Erfolge ansprechen, die Frauenquote bei der Telekom, die Sie im Jahr 2010 durchgesetzt haben. Mindestens 30 Prozent im oberen und mittleren Management sollten weiblich sein. Das wurde damals als kleine Revolution gefeiert. Jetzt, fünf Jahre später, habe ich mir nochmal die Liste angeschaut mit dem aktuellen Vorstand der Telekom. Sieben Personen sind das und eine Frau darunter. Eine von sieben sind etwa 15 Prozent. Da haben Sie damals wohl etwas viel versprochen?
Thomas Sattelberger: Ich würde mir erstens noch eine weitere Frau in dem Kollegenkreis wünschen, aber ich habe ja damals nicht eine Selbstverpflichtung abgegeben für die Quote im Vorstand, das kann nur der Aufsichtsrat machen, sondern für den Führungskörper, für das Führungsteam der Telekom. Und das besteht aus 4000 Menschen. Und wir haben im Grunde seit 2010 bis heute die Zahl der internationalen Führungskräfte um absolute acht bis neun Prozent erhöht. Das heißt, es sind Hunderte von Frauen, die in Führungspositionen aufgerückt. In Deutschland ist der Erhöhungswert, von einem niedrigen Niveau übrigens, genauso hoch.
Deutschlandradio Kultur: Nun ist es so, dass in der Politik der Frauenanteil inzwischen fast schon etwas besser ist als in der Wirtschaft. Im Bundestag sind 36 Prozent weiblich. Warum gelingt es denn in der Männerwelt Unternehmen schlechter als in der Politik?
Herrscht in Unternehmen eine reine Männerkultur?
Thomas Sattelberger: Ich glaube, die Wirtschaftskultur ist über viele Jahrzehnte eine reine Männerkultur gewesen. Die Rituale, die Gebräuche, die Witze, das Umgehen miteinander, der Stil ist sozusagen fast über Seilschaften in großen Konzernen entstanden. Die Tatsache, dass der Mittelstand etwas mehr Frauen in Führungspositionen hat, liegt eigentlich weniger an der Qualität des Mittelstandes, sondern das sind mehr Familienangehörige, die dort in verantwortungsvollen Positionen sind und gleichzeitig Frauen sind.
Dieses, was man so Machokultur nennt, wo im Grunde auch in den Top-Talent-Programmen der großen Unternehmen überwiegend junge Männer waren, diese Kultur, die gilt es aufzubrechen. Und das ist kein leichtes Unterfangen.
Deutschlandradio Kultur: Eine Methode, um das aufzubrechen, sind Quoten. Im Frühjahr hat der Bundestag eine Frauenquote von 30 Prozent für die Aufsichtsräte verabschiedet. Die gilt dann ab nächstem Jahr, ab 2016, und zwar für 100 börsennotierte Unternehmen. – Ist das für Sie mehr als ein symbolisches Zeichen?
Thomas Sattelberger: Es ist zuerst mal ein symbolisches Zeichen. Übrigens, die Telekom hat die Quote ja längst erreicht.
Eine Quote für Aufsichtsräte ändert die Unternehmenskultur nicht
Deutschlandradio Kultur: Die Telekom ist bei 35 Prozent und damit in Deutschland bei den DAX-Unternehmen führend.
Thomas Sattelberger: So ist es. Es ist aber im Kern eine Symbolpolitik. Denn man kann nicht erwarten, dass – weil jetzt 30, 35 Prozent Frauen im Aufsichtsrat sind – sich die Kultur eines Unternehmens verändert. Der Aufsichtsrat ist ja nicht die operative Führung eines Unternehmens. Der Aufsichtsrat berät und kontrolliert. Da wird vielleicht dann die Meinungsbildung ein Stück vielfältiger, aber die Kultur des Unternehmens ändert sich dadurch nicht. Das muss durch harte Graswurzelarbeit, durch Quotierung im Führungskörper, wie wir das gemacht haben, erreicht werden.
Deutschlandradio Kultur: Warum haben Sie sich denn damals als Personalleiter bei der Telekom für so eine Frauenquote von 30 Prozent im mittleren und oberen Management eingesetzt? Was war der Erfolg, den Sie erzielen wollten?
Thomas Sattelberger: Ich habe das Thema Vielfalt oder neudeutsch Diversity seit Mitte der 90er Jahre schon bei Lufthansa begonnen, weil ich finde, das ist einfach eine Frage der Moral und der Chancen-Fairness gerade in der Personalentwicklung, dass alle die gleichen Chancen haben. Das gilt übrigens dann auch für Menschen mit Migrationshintergrund. Das gilt genauso für das Verhältnis jüngere zu älteren Führungskräften und vieles andere mehr. Aber natürlich hat die Unterrepräsentanz der Frauen am deutlichsten hervorgestochen.
Frauen können "richtig gut führen"
Und zum Zweiten hatte ich zwei, drei Erlebnisse, die für mich deutlich machten, dass Frauen richtig gut führen. Nach dem 11. September 2011, nachdem ja die Lufthansa massivste Einbrüche hatte im Geschäft, über 30 Prozent, waren es die Frauen im Kabinenmanagement der Lufthansa, die sichergestellt haben, dass die vielen Flugbegleiter, die Angst hatten, wieder zu fliegen, tatsächlich geflogen sind und sich der Krankenstand auf ein normales Level wieder eingependelt hat. Das waren für mich natürlich Erlebnisse. Ich hätte das damals angeordnet. Und die Kolleginnen sagten, 'Herr Sattelberger, das machen wir nicht, wir haben einen anderen Stil.'
Das sind so Erlebnisse, die dazu führen, dass man sagt: Jenseits der Moral kommt da im Grunde auch nochmal eine andere Form von Führungsqualität rein. Das hat mich dann bei Continental begleitet in Hannover. Ich habe damals Orientierungswerte eingeführt. Ich habe mich noch geniert, das Quote zu nennen 2004, 2005. Und dann habe ich das Orientierungswerte genannt für Frauen in Führungspositionen. Und als ich zur Telekom kam 2007 habe ich gesagt: Wenn wir nicht besser werden in drei Jahren, dann führe ich die Quote ein.
Nach einem Treffen von Personalvorstände von 30 Dax-Unternehmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen geben Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (r-l, FDP), Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Bundesfrauenministerin Kristina Schröder (CDU), BMW AG -Vorstandsmitglied Harald Krüger, Regine Stachelhaus (Vorstandsmitglied E.ON AG) und Thomas Sattelberger, Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom AG, am Montag (17.10.2011) in Berlin eine Pressekonferenz.
Pressekonferenz nach einem Treffen der Personalvorstände von 30 Dax-Unternehmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen am 7.11.2011, (Linksaußen: Thomas Sattelberger)© picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Deutschlandradio Kultur: Und Sie haben es dann gemacht. Aber gibt es noch mehr, als eine Quote einzuführen in der Personalarbeit, um eben den Anteil der Frauen zu erhöhen?
Thomas Sattelberger: Wir haben ja relativ schnell gemerkt, dass es drum geht, die Arbeitskultur zu verändern. Die Frage, werden Besprechungen an die Randzeiten gelegt, also frühmorgens und spätabends, wo berufstätige Mütter vielleicht ihr junges Kind in die Kinderkrippe bringen, die Frage, wie sieht es aus mit Auszeit, die nicht nur vom Unternehmen genehmigt wird, sondern wo Führungskräfte ein Recht haben für dringende Fälle wie Pflege von Angehörigen, und natürlich die ganze Frage des Arbeitens aus dem Homeoffice, 2010 war ja die Diskussion noch total unterentwickelt in diesem Lande. Und heute beherrscht sie nicht nur die Gazetten, sondern auch die Betriebe. Auch Karrieren mit Teilzeit oder zum Teil Homeoffice, als solche Modelle, die dann die Arbeitswelt schon fundamentaler verändern, sind Voraussetzung, dass Frauen die doppelte oder zum Teil dreifache Belastung ein Stückchen besser hinbekommen.
Die Unternehmenskultur der Telekom hätte radikaler reformiert werde müssen
Deutschlandradio Kultur: Thomas Sattelberger, zu Gast in Tacheles hier im Deutschlandradio Kultur, Sie sind jetzt 66 Jahre alt. Jahrzehnte als Personalvorstand in großen deutschen Konzernen haben Sie hinter sich. Sie kennen das Metier und haben auch öfter mal unbequeme Äußerungen in der Öffentlichkeit kundgetan. – Aber was waren denn Ihre größten Fehler, also Ihre persönlichen in der Personalarbeit?
Thomas Sattelberger: Also, ich habe einmal, als ich Personalchef bei Continental war und es um eine sehr, sehr schwierige Situation in einem Werk ging und eine Werkschließung anstand, da haben wir und habe ich nicht den partnerschaftlichen Weg des Klärens und des Verhandelns mit den Gewerkschaften zuerst gewählt, sondern einen relativ rüden Weg. Das hab ich bitter bereut und konnte es zum Glück spät und nicht zu spät wieder ein Stück bereinigen. Das war ein großer Fehler von mir.
Ein zweiter Fehler war vielleicht, dass wir nach der großen Bespitzelungsaffäre bei Telekom, die ja zum Glück nicht die aktuelle Führungsriege betraf, dass wir nicht noch radikaler die Kultur reformiert haben im Sinne, was ist gute Führung, was ist Offenheit, was ist Respekt und Wertschätzung untereinander. Das waren Themen, die haben wir zwar weit getrieben, aber vielleicht noch nicht radikal genug.
In Deutschland hapert es am kooperativen Führungsstil
Deutschlandradio Kultur: Und wenn Sie jetzt über den Tellerrand hinausgucken, woran hapert es in deutschen Firmen aus Ihrer Sicht im Umgang mit den Mitarbeitern?
Thomas Sattelberger: Das sagen übrigens auch viele internationale Führungskräfte über die deutschen Führungskräfte, dass die außerordentlich nüchtern, zahlenorientiert, ingenieurmäßig oder ökonomisch sozusagen Menschen führen und dass das, was man so eigentlich den Aufbau von guter Beziehung nennt, dass die Behandlung, der Umgang miteinander auf Augenhöhe, dass der nicht sonderlich gut entwickelt ist in Deutschland. Das wird übrigens auch durch wissenschaftliche vergleichende Studien bestätigt.
Wir haben eine zweite sehr, sehr schlimme Entwicklung, dass der kooperative Führungsstil selbst in der Wahrnehmung der Führungskräfte signifikant zurückgeht.
Deutschlandradio Kultur: Was meinen Sie damit?
Thomas Sattelberger: Kooperativ führen heißt, Menschen einbinden in Entscheidungen über ihr Arbeitsfeld, über ihre Arbeitsinhalte, über die Art der Zusammenarbeit, also das, was man auch Teilhabe nennt. Das ist von 80 Prozent noch aus dem Anfang er 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts heute aus Sicht von Führungskräften auf gerade mal 35 bis 40 Prozent gesunken, die einen kooperativen Führungsstil praktizieren.
Das sind natürlich schlechte Entwicklungen. Denn eigentlich brauchen wir innovationsfähige Unternehmen und brauchen wir fortschrittliche Führungskulturen. Denn nur so können wir auf der einen Seite der chinesischen Wirtschaft, die ja im Maschinen- und Anlagenbau immer besser wird, und auf der anderen Seite der digital getriebenen oder der Internetökonomie der USA durch eigene Innovationsfähigkeit Paroli leisten.
Mitarbeiter müssen offen sagen dürfen, was sie denken
Deutschlandradio Kultur: Sie haben auch mal gesagt, Herr Sattelberger, dass Ehrlichkeit in der Unternehmenskultur Ihnen besonders wichtig ist. In welchen Situationen haben Sie das gemeint – Ehrlichkeit?
Thomas Sattelberger: Ich halte es für ungeheuer wichtig, dass man mit Dingen nicht hinterm Berg hält, jetzt nicht, dass man jede Kleinigkeit raus posaunt. Darum geht's nicht, aber in wichtigen Fragen. Ich habe beispielsweise, was für mich sehr schmerzlich war, Daimler Benz verlassen 1994, weil ich mit dem Kurs des damaligen Vorstandsvorsitzenden nicht einverstanden war und es dem Herrn Schrempp auch klar und deutlich und zum Teil öffentlich gesagt habe.
Das meine ich mit Ehrlichkeit, dass man sozusagen sich im Spiegel angucken kann am Tag danach und sagt: Ja, es war zwar eine schwierige Situation und du hast deinen ganzen Mut zusammennehmen müssen, aber du hast die Wahrheit gesagt. – Das sind so Themen, die wichtig sind, dass gerade auch jüngere Menschen, zu ihrem Chef oder ihrer Chefin sagen, was ihnen nicht gefällt, wie sie sich Führung vorstellen, so dass man gemeinsam sozusagen nicht jeweils über den anderen klagt, sondern dass man gemeinsam bespricht, wie man insgesamt eine bessere Führungskultur gestalten kann.
Also, Ehrlichkeit, ins Gesicht gucken, ins Gesicht schauen und offen sagen, was man denkt, halte ich für ein Schlüsselthema der Führung. Denn nur das schafft ja auch übrigens Glaubwürdigkeit.
"Will ich eine angepasste Kreatur sein oder ein selbstbewusstes Individuum?"
Deutschlandradio Kultur: Aber Ehrlichkeit braucht ja auch einen gewissen Mut. Man kann ja auch manchmal damit rechnen, wenn man zu ehrlich ist, dass dann eine Retourkutsche kommt, wenn man in diesem Chef- und Untergebenenverhältnis ist. – Wie nehmen Sie denn diese Angst den Mitarbeitern, da ehrlich zu sein auch ihrem Chef gegenüber?
Thomas Sattelberger: Den Zahn muss ich Ihnen ziehen. Die Angst kann man sich nur selber nehmen. Das ist im Grunde wie die Angst des Torschützen vor dem Elfmeter. Da muss man sich selber eine saubere Rechnung aufmachen. Was ist besser, wenn ich mich konformistisch anpasse und den Mund halte, und übrigens, einmal gehalten heißt, es wird immer leichter ihn zu halten, oder ob ich sozusagen auch mal bereit bin, etwas zu ertragen? Es war für mich nicht immer in meiner Karriere eine Freude, nicht die Klappe zu halten. Ich wurde einmal sogar mit Karriereentzug bestraft.
Deutschlandradio Kultur: Wann war das?
Thomas Sattelberger: Da war ich ein ganz junger Mann, da war ich gerade mal 33 in München. Da habe ich offene und ehrliche Fragen in Gesprächskreisen für Nachwuchstalente gestellt. Und der Vorstandsvorsitzende sagte damals: 'Herr Sattelberger, ich werde Sie nicht befördern, weil Sie schlicht und einfach ungebührende Fragen stellen.' – Aber das muss jeder mit sich selber ausmachen. Bin ich am Schluss eine angepasste Kreatur, die sagt, ich habe es allen Recht gemacht, nur mir nicht? Oder bin ich ein selbstbewusstes Individuum, bin ich eine Persönlichkeit, die sagt, ich hab was riskiert, bin mal auf die Schnauze geflogen, aber in Summe war es gut für mein Leben?
Ohne eine neue Führungskultur bleibt das Handwerk für junge Menschen unattraktiv
Deutschlandradio Kultur: Sie haben vor ein paar Monaten getwittert: "Solange miserable Arbeitskulturen insbesondere im Handwerk nicht verbessert werden, werden die Betriebe keine Azubis finden." – Was meinen Sie denn mit den miserablen Arbeitskulturen?
Thomas Sattelberger: Kununu.com ist ja ein Onlineportal, wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Unternehmung, in der sie tätig sind, einschätzen und bewerten. Und Kununu hat eine Auswertung gemacht über die letzten Jahre. Und da ist das Handwerk ganz kurz nach der Textilindustrie die schlechteste Branche aus Sicht der geführten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Gleichzeitig jammert das Handwerk massiv über den Mangel an Auszubildenden. Ist doch eines klar: Junge Menschen oder auch ältere Menschen erzählen doch, wie sie behandelt werden. Vieles, was heute an Bewerbungsprozessen läuft, läuft ja im Grunde auf Hörensagen und auf guten Kontakten mit Kollegen und Kolleginnen, die einem sagen, wie der Arbeitgeber ist oder jener Arbeitgeber. Deswegen ist für mich eines klar: Das Handwerk muss seine Führungskultur verändern, damit es wieder attraktiv wird für junge Menschen.
Deutschlandradio Kultur: Im Handwerk haben Sie allerdings, wenn ich richtig informiert bin, Herr Sattelberger, nie gearbeitet. Aber ihre beiden Großväter, die waren da sehr aktiv in verschiedenen Bereichen im Handwerk.
Thomas Sattelberger: Ja.
Ausbildungschancen für Flüchtlinge verbessern
Deutschlandradio Kultur: Ihnen liegen besonders die MINT-Fächer am Herzen, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Seit sieben Jahren sind Sie Vorsitzender des Berliner Vereins „MINT – Zukunft schaffen". International, würde ich sagen, ist Deutschland doch relativ weit vorne. Warum engagieren Sie sich so stark für die MINT-Fächer?
Thomas Sattelberger: Technik und Informatik und Naturwissenschaften sind schon seit 200 Jahren das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Jetzt könnte man sagen, das ist doch nicht so wichtig, aber die deutsche Wirtschaft sichert den Wohlstand in diesem Lande. Wenn wir da Nachwuchssorgen haben, und wir hatten lange Jahre Nachwuchssorgen im Bereich der Hochschulabsolventen, das ist inzwischen beherrschbar durch die gute Arbeit der vielen MINT-Initiativen, die es gibt. Und wir haben natürlich heute massive Sorgen im Bereich der Fachkräfte, der beruflich qualifizierten Fachkräfte. – Mechantroniker, Mechaniker, Elektriker, wie auch immer, und insbesondere dann auch im Bereich der Meister und Techniker.
Immer mehr Unternehmen in Bayern bieten Flüchtlingen Praktika oder einen Ausbildungsplatz an.
Immer mehr Unternehmen in Bayern bieten Flüchtlingen Praktika oder einen Ausbildungsplatz an.© dpa/picture alliance/Sven Hoppe
Wenn wir hier nicht Abhilfe schaffen, und das heißt, alle Talentquellen nutzen, jungen Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlingen so schnell wie möglich die Chance geben, eine Ausbildung zu machen, jungen Menschen mit Hartz-4-Hintergrund vielleicht über Übergänge und Brücken den Weg in die Berufsausbildung zu ermöglichen – wenn wir hier nicht Hand anlegen, dann gibt es im Bereich der Fachkräfte ein böses Erwachen für Deutschland.
Deutschlandradio Kultur: Sagt einer der bekanntesten Personalmanager in Deutschland, Thomas Sattelberger. Sie sind jetzt zwar offiziell im Ruhestandsalter, trotzdem mussten Sie sich die Zeit für diese Sendung schon etwas freischaufeln. Sie sind ja noch in vielen Organisationen tätig, zum Beispiel der "European Foundation for Management Development", ein Verein in Brüssel zum internationalen Austausch über Unternehmensführung.
Nur ein Bruchteil der Aufsichtsräte verfügen über digitale Kompetenz
Lassen Sie uns mal teilhaben. Wie wird denn Deutschland da international diskutiert?
Thomas Sattelberger: Also, mit Sorge wird in internationalen Zirkeln gesehen, dass Deutschland im Bereich der Digitalisierung und der digitalen Kompetenz auch des Managements nicht sonderlich gut ist. Ich habe vor kurzem eine Diskussion mit internationalen Kollegen gehabt, nachdem eine Studie rauskam, dass nur ein Bruchteil der Aufsichtsräte großer deutscher Unternehmen digital kompetent sind. Und dann sagten die zu mir: 'Wie wollen denn die, diese Kontrolleure und Berater, wie wollen denn die den Unternehmen, den mittleren und großen Unternehmen helfen, die Digitalisierung zu bewältigen, also den Weg in das ganze Thema Aufbau von Onlinevertrieb, der Aufbau digitaler Plattformen und vieles andere mehr?'
Da wird kritisiert, dass Deutschland ein Stück verhaftet ist im erfolgreichen Alten, Maschinen- und Anlagenbau, und zu wenig kreativ ist und zu wenig grundlageninnovativ ist für das ganze Thema Biotechnologie und Informatik.
Ein zweites Thema, ich habe das vorher kurz angesprochen: Eigentlich wird gesagt, passt bitte auf. Da, wo ihr heute stark seid, da werden andere auch stark.
Exportweltmeister im Maschinenbau ist inzwischen China
Deutschlandradio Kultur: Welche Bereiche meinen Sie?
Thomas Sattelberger: Maschinen- und Anlagen- und Autobau. Jetzt haben die Chinesen zwar noch keine tollen Autos, aber sie haben ein tolles SUV schon selber gebaut. Und sie sind inzwischen Exportweltmeister im Maschinenbau. Und wer sich Afrika anguckt und schaut, wer exportiert da überwiegend hin, dann sind das die Chinesen – übrigens in Teilen von Südamerika auch. Das heißt, da wächst eine Konkurrenz heran auf den Feldern, wo wir gut sind.
Und auf den Feldern, wo wir nichts haben, bewegen wir uns nicht. Es gibt gerade eine Studie von Roland Berger und dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dass sich fast 60 Prozent der deutschen Unternehmen nur eine geringe bis mäßige digitale Reife bescheinigen. Das bereitet mir Sorgenfalten.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben sogar gesagt, Herr Sattelberger, dass die digitale Kompetenz der Personaler in Deutschland gegen Null tendiert. Ich dachte, Sie müssen vor allen Dingen mit Menschen umgehen können.
Thomas Sattelberger: Das war ein typischer Sattelberger. Natürlich ist die Welt viel grauer als weiß-schwarz. Aber zumindest ist das richtig gut getwittert worden. Und Menschen haben sich mit diesem Thema dann auseinandergesetzt.
Nehmen Sie beispielsweise: Es gibt heute Apps, die messen die psychische Belastung von Mitarbeitern, erheben Daten zur Führungsqualität in einem Unternehmen und zur Betriebskultur und können sozusagen fast aus dem Stand heraus eine Diagnose abgeben, warum Organisationseinheiten so belastet sind und in welchem Umfang gute oder schlechte Führung dazu beiträgt oder nicht beiträgt.
Personalführung via App
Deutschlandradio Kultur: Wo haben Sie das schon mal gesehen?
Thomas Sattelberger: Soma Analytics ist ein Startup, der leider wegen Geldmangel jetzt nicht mehr in München sitzt, sondern in London, und den ich seit anderthalb Jahren berate und dessen Applikationen natürlich in britischen Firmen schon eingesetzt werden, während wir hier noch drüber diskutieren, inwiefern damit das Individuum Subjekt der Bespitzelung durch Krankenkassen und andere wird.
Also, wir verfangen uns zum Teil in Diskussionen und experimentieren nicht mehr.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, es fehlt Ihnen, dass man wirklich so Sachen wie Apps usw. dann auch in der Unternehmensführung, in der Personalarbeit mit einsetzt.
Thomas Sattelberger: Ja.
Deutschlandradio Kultur: Da fällt mir ein Termin, den Andrea Nahles demnächst hat ein. Die Bundesarbeitsministerin fährt Ende des Monats ins Silicon Valley nach Kalifornien. Was würden Sie sagen? Was kann man denn lernen von den Internetunternehmen in puncto Personalführung?
Thomas Sattelberger: Dann möchte ich zuerst mal der Frau Nahles mitgeben, was ich auch schon anderen Vorstandsvorsitzenden mitgegeben habe, dass man durch Silicon-Valley-Tourismus sozusagen vielleicht gerade mal ein bisschen eine Brise in die Nase bekommt, aber man muss eigentlich wirklich fundamental verstehen, wie das Geschäft dort gemacht wird, so wie das der Bild-Chefredakteur mal gemacht hat über fast ein ganzes Jahr.
Ein stolzer, selbstbewusster Personalbauch steht dem Unternehmen gut
Man sieht eines, dass das zwar hochgradig feudal geführte Unternehmen sind. Steve Jobs war bei Gott kein Demokrat, geschweige denn ein kooperativer Vorstandsvorsitzender. Aber im großen Bauch der Organisation geht es sehr frei zu. Das Thema Souveränität in der Arbeit, wann ich arbeite, wo ich arbeite, wie ich arbeite, mit wem ich arbeite, die Entscheidungen über Produkte, das sind alles Themen, wo Menschen eine Stimme haben in vielen dieser Internetunternehmen.
Ganz oben wird dann natürlich die Entscheidung über Strategie und Geld gemacht, aber zumindest ist der Personalbauch des Unternehmens ein sehr stolzer, selbstbewusster. Und übrigens, das Management dieser Unternehmen weiß, wie schwierig es ist, gute Leute zu kriegen, und dass das Thema gute Behandlung das A und O ist neben der Frage, dass man innovative Themen hat.
Deutschlandradio Kultur: Und gute Beratung ist sicherlich auch wichtig, zum Beispiel von Ihnen. Sie werden in Artikeln, Herr Sattelberger, oft als Workaholic dargestellt, dauernd unter Strom. Wir haben es auch so ein bisschen gehört. Sie brennen wirklich für die Themen.
Thomas Sattelberger: Ja.
Deutschlandradio Kultur: Sie schreiben selbst in Ihrem Buch, dass auch Ihr Vater extrem viel gearbeitet hat, selten Zeit hatte für die Familie. Bei ihm war der Antrieb, dass er nicht studieren konnte und sich deshalb auf anderem Weg sehr stark und sehr hart dann hochgearbeitet hat. – Was ist denn Ihr Antrieb?
Thomas Sattelberger: Also, mit Sicherheit habe ich da ein Stück von meinem Vater mitbekommen. Denn natürlich komme ich aus nichtakademischer Familie und musste mich auch ein Stückchen wirklich hoch arbeiten. Ich hatte keine Netzwerke, keine Seilschaften, keine guten Beziehungen, kein Vitamin B. Ich wollte eigentlich schon zeigen, dass ich gut bin und Talente habe.
Talententwicklung als zentrale Aufgabe
Und seelisch hat mich eigentlich das Thema Talententwicklung angetrieben. So wie ich sagte, ich möchte das Recht dazu haben, habe ich gesagt, ich muss dafür kämpfen, dass angelernte Reifenarbeiter bei einer Continental zur Fachkraft für Kunststoff- und Kautschuktechnologie ausgebildet werden können oder dass Stewardessen und Stewards bei einer Lufthansa eine ordentliche Berufsausbildung erwerben können und nicht nur angelernt sind. Ich möchte eigentlich sicherstellen, dass junge Facharbeiterinnen und Fachangestellte die Möglichkeit haben, berufsbegleitend zu studieren. Bei Telekom haben über tausend junge Menschen und übrigens auch ältere Mitarbeiter, bis zu 30 Prozent, das wahrgenommen.
Also, neben mir selber, der was aus sich machen wollte, wollte ich ein Stückchen das für andere ermöglichen.
Deutschlandradio Kultur: Ich glaube, jetzt versteht man auch ein bisschen das Diversity-Management, das Sie am Anfang angesprochen haben, also, dass man eine bunte Mischung hat im Unternehmen, Frauen, Männer, Inländer, Ausländer, Jung, Alt. – Kann man das auch so verstehen, dass Sie die Ungerechtigkeiten, die Sie in der Gesellschaft gesehen haben, dann in einem Unternehmen wieder ausgleichen wollten?
Thomas Sattelberger: Also, ich glaube, wir müssen in allen Feldern handeln. So, wie zum Teil heute über Flüchtlinge diskutiert wird, ist eine Schande für dieses Land. Und genauso wie in Unternehmen – vielleicht nicht mehr so stark wie früher, aber immer noch – drüber diskutiert wird, dass Frauen nicht die Qualität haben oder dass man studiert haben muss, um irgendwas Kluges zu tun, da ist vieles an Diskriminierung und sozialer Undurchlässigkeit, und zwar nicht wegen mangelnder Qualität, sondern wegen Vorurteilen. Und da möchte ich geschlossene Systeme und Strukturen aufbrechen helfen, damit frischer Wind in die Wirtschaft reinkommt und frischer Wind in die Unternehmen, aber auch in die Gesellschaft.
Nerds und Außenseiter bringen Kreativität ins Unternehmen
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht kann man auch sagen, Sie haben so ein Herz für Außenseiter. Sie waren auch in engem Kontakt mit Joschka Fischer Anfang der 70er Jahre. Und jetzt kommt gleich die Abschlussfrage, Herr Sattelberger: Sie wurden ja aufgrund des Kontaktes mit Joschka Fischer auch aus dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands rausgeworfen. Wenn Sie jetzt an Joschka Fischer denken, damals Anfang der 70er Jahre, hätten Sie ihn eingestellt und wenn ja, an welcher Position?
Thomas Sattelberger: Also, ich hab in meinem Berufsleben etliche Joschka Fischers eingestellt und Frauen Fischers. Ich habe Philosophinnen von der Freien Universität eingestellt, genauso Menschen, die im zweiten oder dritten Bildungsweg sich hoch gekämpft haben, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass nur durch eine Vielfalt an Erfahrungshintergründen und gerade auch von Menschen, die man nicht auf den ersten Blick versteht und vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen komisch findet, dass erst durch die Vielfalt der Menschen kluge Entscheidungen in einem Unternehmen getroffen werden können.
Und gleichzeitig, schauen Sie sich die sogenannten Nerds an. Vor sieben, acht Jahren hat man die belächelt und hat Karikaturen gemacht, wie bleich die sozusagen nachts um vier noch hinter ihrem Rechner sitzen. Heute sind die Außenseiter, die Nerds diejenigen, die neue Geschäftsmodelle entwickeln. Also, die Kreativität kommt ja nicht von denen, die immer den gleichen Stiefel gemacht haben, immer die gleichen bekannten Routinen umgesetzt haben. Die Kreativität kommt ja von denen, die experimentieren und vielleicht auch mal den verbotenen grünen Rasen betreten.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie vielen Dank für das Interview.
Thomas Sattelberger: Dankeschön.
Thomas Sattelberger stammt aus Baden-Württemberg, ist Diplom-Betriebswirt und begann seine Laufbahn bei Daimler-Benz in Stuttgart. Später wechselte er zur Deutschen Lufthansa, nach Hannover zu Continental und nach Bonn zur Deutschen Telekom. Er setzt dort als Personalvorstand eine Frauenquote von 30 Prozent in den mittleren und oberen Managementebenen durch. 2012 schied er aus dem Konzern aus und betätigt sich nun in vielen internationalen Organisationen – wie der European Foundation for Management Development. Zuletzt erschien seine Autobiografie: "Ich halte nicht die Klappe – Mein Leben als Überzeugungstäter in der Chefetage".
Thomas Sattelberger, ehemaliger Telekom Personalvorstand
Thomas Sattelberger, ehemaliger Telekom Personalvorstand© picture-alliance/ dpa