Thomas Rid, Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik.
Aus dem Englischen von Michael Adrian
Propyläen Verlag, Berlin 2016, 496 Seiten, 24,99 Euro
Auf der Suche nach der Einheit zwischen Mensch und Maschine
Die Kybernetik ist die Lehre der Maschinensteuerung. Längst allerdings sind die Maschinen so schlau, dass unklar ist, wer hier wen steuert. Autor Thomas Rid untersucht die Chancen und Bedrohungen der "Maschinenwelt". Eine klare Einschätzung aber bleibt er schuldig.
Mit einem Thermostat lässt sich die Ursprungsidee der Kybernetik am besten vergleichen. Man stellt am Gerät ein, wie warm ein Raum sein soll. Weicht die Temperatur vom Wunschwert ab, gibt der Regler im Thermostat an die Heizung den Befehl zu arbeiten – und zwar solange, bis der Temperaturunterschied wieder ausgeglichen ist. Drei Gedanken spiegelt dieser Vorgang wider: Dass Maschine und Umwelt eine Einheit bilden, also miteinander kommunizieren. Dass die Maschine "lernt" und ein "negatives Feedback" gibt, das heißt, auf Informationen von außen reagiert. Und dass auf diese Weise immer wieder das (gewünschte) Gleichgewicht hergestellt wird. Warum dieser Ansatz – Vorgänge als ein kybernetisches, sich selbst steuerndes System zu betrachten – "eine der folgenschwersten Ideen des 20. Jahrhunderts" war, beschreibt Thomas Rid in seinem aktuellen Buch.
Sieben historische Stränge zeichnet der Politikwissenschaftler nach, in denen die Kybernetik den Ausgangspunkt für unterschiedlichste Ideologien bildete. Angefangen in den 1940er Jahren, als der US-Amerikaner Norbert Wiener die Disziplin begründete. Im Luftkrieg gegen die Deutschen ging es ihm darum, Flugbahnen von feindlichen Bombern zu berechnen. Die Folge seiner wissenschaftlichen Arbeit war der Aufstieg automatisierter Luftwaffensysteme.
Ein faszinierender Gesamtüberblick
Detailreich, mittels unzähliger Fakten und Geschichten beschreibt Thomas Rid, wie immer neue Vorstellungen davon aufkamen, was durch Technik alles möglich wird. In den 1950er Jahren etwa experimentierte die Armee mit der Idee, Mensch und Maschinen könnten zu einem System verschmelzen. Der Pedipulator – eine riesige Laufmaschine, die den Bediener trägt – sollten den Bodentruppen in Vietnam zum Sieg verhelfen. Gleichzeitig verglichen Vertreter der Gegenkultur Computer mit psychedelischen Drogen. Für die Hippies waren sie ein "mächtiges Werkzeug" zur Schaffung einer sozialen Gemeinschaft, mit der sich die Welt verbessern ließ – eine Vorstellung, die heute viele mit dem Internet verbinden.
Der Gesamtüberblick, den Thomas Rid bietet, ist faszinierend, auch weil er anschaulich macht, wie ein mathematisches Konzept zu einem Lebensstil führte, der uns heute an Smartphones und soziale Netzwerke fesselt. Beides scheint nichts miteinander gemeinsam zu haben.
Zwischen Machtinstrument und Sehnsuchtsapparatur
Doch Thomas Rid zeigt, dass die Kybernetik immer wieder als das optimale Mittel erschien sowohl um (militärische) Macht auszuüben, als auch für die Erfüllung menschlicher Sehnsüchte nach Selbstverwirklichung und Freiheit. Sie sei ein "Chamäleon", mit dem jeder etwas anderes verbinde.
Das in der Theorie angestrebte "Gleichgewicht" trat jedoch nie ein. Technologie war immer wieder Chance und Bedrohung zugleich, wie sich auch heute im Zeitalter der allgegenwärtigen Überwachung zeigt. Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet der Wissenschaftler nicht. Das ist eine Schwäche dieses Mammutwerkes. Sein lakonisches Fazit lautet: Unsere negativen wie positiven Vorstellungen von Maschinen seien immer überzeichnet. Das ist schade.