Thomas Quasthoff: Lied ist "die schönste Form des Musizierens"
Für den Sänger Thomas Quasthoff gehört das Lied "zum Schönsten, was es überhaupt gibt". Er fände es schade, "wenn diese Gattung wirklich ausstirbt", sagte Quasthoff. Deshalb hat er einen Lied-Wettbewerb ins Leben gerufen, der morgen beginnt. Die Sieger sollen nachhaltig in Form eines Stipendiums gefördert werden.
Katrin Heise: Das deutsche Lied in der Romantik war so bekannt, dass die Bezeichnung "Lied" auch ins Französische und Englische übernommen wurde, also das Wort "Lied". Ein Lied sollte so beschaffen sein, dass auch jemand ohne Ausbildung es singen konnte. Allerdings singen wir heutzutage kaum noch im Alltag.
Vielleicht ist es eine Folge davon, jedenfalls führt das Lied, das Kunstlied, auch in Konzertsälen inzwischen ein Schattendasein. Es ist zu einer seltenen Musikgattung geworden, liest man.
Einer, der für seine Liedinterpretationen international berühmt ist, das ist der Bariton Thomas Quasthoff. Er möchte das Genre Lied neu beleben und hat einen Wettbewerb, "Das Lied - International Song Competition" ins Leben gerufen. Ab morgen wird dieser Wettbewerb erstmals in der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin ausgetragen. Herr Quasthoff ist dort Professor und selbst künstlerischer Leiter des Wettbewerbs. Ich begrüße Sie recht herzlich hier in Deutschlandradio Kultur!
Thomas Quasthoff: Hallo!
Heise: Hallo! Was ist es eigentlich, Herr Quasthoff, was Sie so fasziniert am Lied?
Quasthoff: Erstens mal ist es die Kunstform - Lieder haben sozusagen die direkteste, kleinste, intimste und wie ich dadurch auch finde schönste Form des Musizierens, also jetzt von Quartett und kleinen Ensembles mal abgesehen. Man hat keine Möglichkeit, sich hinter irgendetwas zu verstecken, kein Bühnenbild, es sei denn, sie stehen hinter dem Flügel, aber das machen die Wenigsten. Man hat kein Kostüm, man hat keinen Regisseur, über den man sich ärgern oder freuen muss. Man hat kein Orchester, was einen begleitet, sondern wirklich nur Klavier und Gesang. Dazu noch die Möglichkeit, die schönsten, wunderschönsten Gedichte, in diesem Falle jetzt der deutschen Romantik, also mit Robert Schumann und Franz Schubert, singen zu dürfen.
Ich glaube wirklich, dass es zum Schönsten gehört, was es überhaupt gibt, und ich finde es schade und fände es sehr schade, wenn diese Gattung wirklich ausstirbt. Wenn Sie sich nur überlegen, dass eine große Konzertdirektion wie Adler hier in Berlin in dieser Saison keinen einzigen Liederabend im Programm hat, dann finde ich das schon sehr bedenklich.
Heise: Da wollte ich eben nachhaken. Sie treten international auf mit Liedern, es gibt große Sängerinnen wie Christa Ludwig und Christine Schäfer, die Lieder interpretieren. Ist es also keine falsche Wahrnehmung, die Lieder sind trotzdem in ein Schattendasein geraten?
Quasthoff: Na ja, man muss es jetzt immer so sehen, für die etablierten Künstler, also ein Matthias Goerne, ein Christian Gerharer, eine Christine Schäfer, eine Juliane Banse - wir gehören schon wieder zu einer Generation, die sehr etabliert ist im Musikgeschäft. Ich glaube nicht, dass wir, die ich eben genannt habe, große Probleme haben, ein Publikum dafür zu kriegen. Ich denke aber vor allem jetzt an diese Generation, die jetzt nachrückt, die noch keinen so großen Namen haben.
Ich habe mir meine Meriten in kleinen Theatern - und ich meine das jetzt ganz positiv - in Diepholz oder auf wirklich kleinen Bühnen die Möglichkeit erhalten, Liederabende-Programme auszuprobieren, um dann in großen Sälen diese Konzerte zu geben. Und diese Möglichkeit gibt es heute nicht mehr.
Und das war Anlass genug, einfach zu sagen, wenn wir jemanden finden, der uns das finanziert und eben nicht mit staatlichen Mitteln - das stand für mich eigentlich von vornherein fest -, dann würde ich gerne etwas tun, um dem Lied wieder auf die Beine zu helfen, klingt so ein bisschen platt, aber einfach aufmerksam zu machen, dass es eben nicht nur die Oper gibt, sondern eben wirklich auch Liederabende und dass das einfach wunderschön ist, zu hören.
Heise: Da würde ich gerne aber noch ein bisschen weiter dabeibleiben. Ist das Lied vielleicht zu ruhig, um in unserer Zeit gehört zu werden?
Quasthoff: Ach, wissen Sie, wenn Sie den "Erlkönig" nehmen oder den "Zwerg" oder andere Stücke, auch von Hugo Wolf, das ist alles andere als ruhig. Ich glaube, dass man vielleicht etwas aufmerksamer zuhören muss. Und das ist sicherlich auch ein Phänomen, was zeitbedingt ein bisschen verlernt wird, die Möglichkeit und die Fähigkeit, wirklich zuzuhören, sich anderthalb Stunden auf etwas einzulassen, auf eine Reise zu begeben, die auch ein bisschen Konzentration verlangt, selbstverständlich.
Aber in Zeiten, wo wir wirklich mit Allerweltsmusik berieselt werden, von André Rieu über Herrn Lotti über Herrn Bocelli, denke ich, ist es auch an der Zeit, vielleicht wieder mal sich ein bisschen auch auf Qualität zu besinnen. Und das ist höchste Qualität, absolut.
Heise: Bei der deutschen Liedtradition - Sie haben Schubert, Schumann genannt, Brahms, Hanns Eisler kann man nennen -, wie ist es mit dem modernen Lied eigentlich bestellt? Oder ist das Lied gar nicht der Mode unterworfen?
Quasthoff: Es gibt schon auch eine ganze Reihe von Komponisten, die sich auch mit der Gattung Lied befassen. Einer der berühmtesten, wenn nicht der berühmteste deutsche Komponist, noch lebend, der sehr viel Liedliteratur geschrieben hat, auch als Pianist übrigens begleitet hat, Herrn Fischer-Dieskau begleitet hat, ist Aribert Reimann, der auch für mich ein Solostück übrigens geschrieben hat, was ich dieses Jahr bei den Salzburger Festspielen singen werde. Ich weiß, dass Jörg Widmann, auch einer der Komponisten der jüngeren Generation, sich sehr intensiv mit dieser Kunstform befasst. Er wird in zwei Jahren auch sozusagen Composer in Residence sein, wie man das so schön auf Deutsch sagt.
Mir ist auch sehr wichtig, dass die neue Musik auch absolut dort ihren Platz hat und findet. Zu Beginn wollten wir einfach zwei Komponisten nehmen, die sozusagen federführend sind für das romantische Lied, und das ist nun mal, glaube ich jedenfalls, oder sind in dem Fall Franz Schubert und Robert Schumann. Aber generell ist mir das schon sehr wichtig, dass die neue Musik da auch Platz hat.
Heise: Der Bariton Thomas Quasthoff hat einen Lieder-Wettbewerb ins Leben gerufen. Ab morgen wird der an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin ausgetragen, übrigens öffentlich. Das Finale wird am Samstag sein. Herr Quasthoff, lassen Sie uns jetzt mal über den Nachwuchs reden. Es haben sich immerhin 130 internationale Sängerinnen und Sänger beworben, 40 davon sind jetzt in die Auswahl gekommen und werden ab morgen antreten. Wie zufrieden sind Sie mit dem bisher Gehörten, wie ist die Qualität?
Quasthoff: Ich gebe unumwunden zu, wenn man 140 Aufnahmen hört, dann ist es an einem Wochenende sehr schwer, irgendwie alles aufzunehmen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Niveau. Erstens mal fand ich wunderbar, dass es aus 24 verschiedenen Ländern Bewerbungen gab. Das finde ich schon mal für einen Debütwettbewerb sozusagen, bei der Flut an Wettbewerben, die es sowieso gibt, etwas ganz Wunderbares. Also es zeigt ja doch, dass ein großes Interesse besteht, sich mit dieser Gattung und dieser Kunstform auseinanderzusetzen. Also wenn es eine Katastrophe gewesen wäre, was das Niveau betrifft, dann hätten wir vielleicht diesen Wettbewerb noch gecancelt.
Nein, ich glaube, dass es wirklich auch Nachwuchs gibt, auch international. Und man soll vielleicht auch nicht den Fehler machen und so sagen, heute gibt es keinen Nachwuchs mehr. Wenn Sie mal überlegen, dass in einer Zeit, als Dietrich Fischer-Dieskau sozusagen der führende Liedsänger war, wie viel gab es denn noch? Es gab Hermann Prey, es gab Christa Ludwig, gut, Brigitte Fassbinder, aber Brigitte Fassbinder ist schon fast eine Generation später. Es gab nicht die Massen an Liedsängerinnen und -sängern, was wir heute angeblich so beklagen. Richtig gute gab es nie so viel. Gott sei Dank, sage ich mal. Es ist ja auch ganz schön, wenn es ein paar sind, auf die sich dann die Menschen auch konzentrieren können.
Heise: Was unterscheidet Sie von den anderen Wettbewerben? Sie sagten ja, Sängerinnen, Sänger haben eigentlich eine ganze Auswahl an Wettbewerben.
Quasthoff: Ich denke, was wirklich anders ist und was mir persönlich auch sehr, sehr wichtig war, ist nicht, dass die Leute irgendwie einen Geldbetrag in die Hand bekommen und dann gehen, so nach dem Motto, so, nun seht mal zu, wie ihr klarkommt, sondern mir persönlich war sehr wichtig, alle Preise werden als Stipendium ausgezahlt. Also es findet in wesentlich intensiverem Maße eine auch finanzielle Förderung statt.
Und ich glaube, das sehr Besondere dieses Wettbewerbes ist, dass es Anschlusskonzerte gibt, die ich zum Teil auch selber begleite. Also ich werde die jungen Sängerinnen und Sänger auch vorstellen. So wird es Konzerte geben im Musikverein in Wien, es wird Konzerte geben beim Verbier Festival, beim Luzern Festival. Es ist die Kölner Philharmonie involviert, das Festspielhaus Baden-Baden ist involviert, und auch international, also Österreich hatte ich schon genannt.
Eines der renommiertesten Konzerthäuser für Liederabende überhaupt auf der Welt ist die Wigmore Hall in London, die von dem Projekt hörend sofort gesagt haben, das wollen wir sehr, sehr gerne unterstützen. Mit John Gilhooly haben die dort einen Intendanten, der sich in wirklich wunderbarster und liebevollster Weise für das Lied einsetzt, und da findet auch ein Austausch statt. Es gibt auch einen Wigmore-Hall-Wettbewerb, wo ich dann in zwei Jahren in der Jury sitzen werde, und umgekehrt in zwei Jahren sitzt der John Gilhooly, also der Intendant, bei mir in der Kommission beim Wettbewerb.
Heise: Das heißt, Sie haben längerfristig gedacht, längerfristig auch für den Nachwuchs gedacht, wollen da den Nachwuchs auch hinbringen und sich langfristig ...
Quasthoff: Absolut. Uns ist wirklich einfach wichtig, dass in dem Sinne eine Förderung stattfindet und nicht ein Scheck in die Hand gedrückt wird und danach nichts mehr passiert. Also es ist uns schon wichtig, auch begleiten und mit zu beobachten, was wird draus. Und es würde mich natürlich und uns alle, die bei diesem Wettbewerb beteiligt sind, wahnsinnig freuen, wenn vielleicht wirklich auch wieder Karrieren auch auf dem Genre Lied basierend passieren könnten, das wäre toll.
Heise: An Sängerinnen- und Sängerkarrieren arbeiten Sie als Professor an der Hanns-Eisler-Hochschule ja sowieso mit. Sie haben es vorhin gesagt, der Sänger, die Sängerin eines Liedes ist eigentlich mehr oder weniger auf sich selbst angewiesen, das ist ja eine besondere Herausforderung. Was bringen Sie Ihren Studenten da Besonderes bei, auf was legen Sie besonderen Wert?
Quasthoff: Ich glaube, dass die Schwierigkeit natürlich immer ist, dass man die ganze Ausdruckspalette, die man als Sänger zur Verfügung hat und die im Vergleich zu jedem anderen Instrument, das es überhaupt gibt, natürlich immens groß ist, auf drei bis vier Minuten beschränken muss. Irgendjemand hat mal gesagt, Lieder sind kleine Miniopern, und da ist was dran. Also es ist sozusagen die Miniaturform einer Oper.
Wenn Sie sich überlegen, der "Erlkönig" dauert, je nachdem, wie schnell man ihn spielt oder singt, vier bis fünf Minuten. In diesen vier bis fünf Minuten haben Sie vier Rollen zu singen: den Erzähler, den Erlkönig, den Vater und den Sohn. Gott sei Dank ist uns das Singen des Pferdes erspart geblieben, also insofern, aber es sind vier Rollen, die natürlich auch, wenn möglich, unterschiedlich klingen sollen. Und darin besteht die Kunst: Bilder zu schaffen. Also sie geben oder ich gebe zum Beispiel eben auch Liederabende auf Deutsch in Ländern, wo man die deutsche Sprache nicht unbedingt kann.
Heise: Und trotzdem soll man es verstehen können.
Quasthoff: Also so imaginativ zu singen, dass die Leute eigentlich, ohne dass sie die Sprache wirklich verstehen, wissen, worüber man singt. Es ist der Ausdruck in der Stimme, es ist der Ausdruck im Gesicht, all das spielt eine ganz große Rolle, ohne die große Operngestik. Und das macht dieses Genre auf der einen Seite so schwer, aber auf der anderen Seite eben auch so wunderbar.
Heise: Das Lied, besungen sozusagen von Thomas Quasthoff. Morgen beginnt der Wettbewerb, "Das Lied - International Song Competition", ins Leben gerufen von Thomas Quasthoff. Ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Quasthoff: Sehr gerne, vielen Dank!
Heise: Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner und nimmt das Abschlusskonzert am 22. Februar auf. Gesendet wird es dann hier im Deutschlandradio Kultur am 9. März um 20 Uhr.
Vielleicht ist es eine Folge davon, jedenfalls führt das Lied, das Kunstlied, auch in Konzertsälen inzwischen ein Schattendasein. Es ist zu einer seltenen Musikgattung geworden, liest man.
Einer, der für seine Liedinterpretationen international berühmt ist, das ist der Bariton Thomas Quasthoff. Er möchte das Genre Lied neu beleben und hat einen Wettbewerb, "Das Lied - International Song Competition" ins Leben gerufen. Ab morgen wird dieser Wettbewerb erstmals in der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin ausgetragen. Herr Quasthoff ist dort Professor und selbst künstlerischer Leiter des Wettbewerbs. Ich begrüße Sie recht herzlich hier in Deutschlandradio Kultur!
Thomas Quasthoff: Hallo!
Heise: Hallo! Was ist es eigentlich, Herr Quasthoff, was Sie so fasziniert am Lied?
Quasthoff: Erstens mal ist es die Kunstform - Lieder haben sozusagen die direkteste, kleinste, intimste und wie ich dadurch auch finde schönste Form des Musizierens, also jetzt von Quartett und kleinen Ensembles mal abgesehen. Man hat keine Möglichkeit, sich hinter irgendetwas zu verstecken, kein Bühnenbild, es sei denn, sie stehen hinter dem Flügel, aber das machen die Wenigsten. Man hat kein Kostüm, man hat keinen Regisseur, über den man sich ärgern oder freuen muss. Man hat kein Orchester, was einen begleitet, sondern wirklich nur Klavier und Gesang. Dazu noch die Möglichkeit, die schönsten, wunderschönsten Gedichte, in diesem Falle jetzt der deutschen Romantik, also mit Robert Schumann und Franz Schubert, singen zu dürfen.
Ich glaube wirklich, dass es zum Schönsten gehört, was es überhaupt gibt, und ich finde es schade und fände es sehr schade, wenn diese Gattung wirklich ausstirbt. Wenn Sie sich nur überlegen, dass eine große Konzertdirektion wie Adler hier in Berlin in dieser Saison keinen einzigen Liederabend im Programm hat, dann finde ich das schon sehr bedenklich.
Heise: Da wollte ich eben nachhaken. Sie treten international auf mit Liedern, es gibt große Sängerinnen wie Christa Ludwig und Christine Schäfer, die Lieder interpretieren. Ist es also keine falsche Wahrnehmung, die Lieder sind trotzdem in ein Schattendasein geraten?
Quasthoff: Na ja, man muss es jetzt immer so sehen, für die etablierten Künstler, also ein Matthias Goerne, ein Christian Gerharer, eine Christine Schäfer, eine Juliane Banse - wir gehören schon wieder zu einer Generation, die sehr etabliert ist im Musikgeschäft. Ich glaube nicht, dass wir, die ich eben genannt habe, große Probleme haben, ein Publikum dafür zu kriegen. Ich denke aber vor allem jetzt an diese Generation, die jetzt nachrückt, die noch keinen so großen Namen haben.
Ich habe mir meine Meriten in kleinen Theatern - und ich meine das jetzt ganz positiv - in Diepholz oder auf wirklich kleinen Bühnen die Möglichkeit erhalten, Liederabende-Programme auszuprobieren, um dann in großen Sälen diese Konzerte zu geben. Und diese Möglichkeit gibt es heute nicht mehr.
Und das war Anlass genug, einfach zu sagen, wenn wir jemanden finden, der uns das finanziert und eben nicht mit staatlichen Mitteln - das stand für mich eigentlich von vornherein fest -, dann würde ich gerne etwas tun, um dem Lied wieder auf die Beine zu helfen, klingt so ein bisschen platt, aber einfach aufmerksam zu machen, dass es eben nicht nur die Oper gibt, sondern eben wirklich auch Liederabende und dass das einfach wunderschön ist, zu hören.
Heise: Da würde ich gerne aber noch ein bisschen weiter dabeibleiben. Ist das Lied vielleicht zu ruhig, um in unserer Zeit gehört zu werden?
Quasthoff: Ach, wissen Sie, wenn Sie den "Erlkönig" nehmen oder den "Zwerg" oder andere Stücke, auch von Hugo Wolf, das ist alles andere als ruhig. Ich glaube, dass man vielleicht etwas aufmerksamer zuhören muss. Und das ist sicherlich auch ein Phänomen, was zeitbedingt ein bisschen verlernt wird, die Möglichkeit und die Fähigkeit, wirklich zuzuhören, sich anderthalb Stunden auf etwas einzulassen, auf eine Reise zu begeben, die auch ein bisschen Konzentration verlangt, selbstverständlich.
Aber in Zeiten, wo wir wirklich mit Allerweltsmusik berieselt werden, von André Rieu über Herrn Lotti über Herrn Bocelli, denke ich, ist es auch an der Zeit, vielleicht wieder mal sich ein bisschen auch auf Qualität zu besinnen. Und das ist höchste Qualität, absolut.
Heise: Bei der deutschen Liedtradition - Sie haben Schubert, Schumann genannt, Brahms, Hanns Eisler kann man nennen -, wie ist es mit dem modernen Lied eigentlich bestellt? Oder ist das Lied gar nicht der Mode unterworfen?
Quasthoff: Es gibt schon auch eine ganze Reihe von Komponisten, die sich auch mit der Gattung Lied befassen. Einer der berühmtesten, wenn nicht der berühmteste deutsche Komponist, noch lebend, der sehr viel Liedliteratur geschrieben hat, auch als Pianist übrigens begleitet hat, Herrn Fischer-Dieskau begleitet hat, ist Aribert Reimann, der auch für mich ein Solostück übrigens geschrieben hat, was ich dieses Jahr bei den Salzburger Festspielen singen werde. Ich weiß, dass Jörg Widmann, auch einer der Komponisten der jüngeren Generation, sich sehr intensiv mit dieser Kunstform befasst. Er wird in zwei Jahren auch sozusagen Composer in Residence sein, wie man das so schön auf Deutsch sagt.
Mir ist auch sehr wichtig, dass die neue Musik auch absolut dort ihren Platz hat und findet. Zu Beginn wollten wir einfach zwei Komponisten nehmen, die sozusagen federführend sind für das romantische Lied, und das ist nun mal, glaube ich jedenfalls, oder sind in dem Fall Franz Schubert und Robert Schumann. Aber generell ist mir das schon sehr wichtig, dass die neue Musik da auch Platz hat.
Heise: Der Bariton Thomas Quasthoff hat einen Lieder-Wettbewerb ins Leben gerufen. Ab morgen wird der an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin ausgetragen, übrigens öffentlich. Das Finale wird am Samstag sein. Herr Quasthoff, lassen Sie uns jetzt mal über den Nachwuchs reden. Es haben sich immerhin 130 internationale Sängerinnen und Sänger beworben, 40 davon sind jetzt in die Auswahl gekommen und werden ab morgen antreten. Wie zufrieden sind Sie mit dem bisher Gehörten, wie ist die Qualität?
Quasthoff: Ich gebe unumwunden zu, wenn man 140 Aufnahmen hört, dann ist es an einem Wochenende sehr schwer, irgendwie alles aufzunehmen. Ich bin sehr zufrieden mit dem Niveau. Erstens mal fand ich wunderbar, dass es aus 24 verschiedenen Ländern Bewerbungen gab. Das finde ich schon mal für einen Debütwettbewerb sozusagen, bei der Flut an Wettbewerben, die es sowieso gibt, etwas ganz Wunderbares. Also es zeigt ja doch, dass ein großes Interesse besteht, sich mit dieser Gattung und dieser Kunstform auseinanderzusetzen. Also wenn es eine Katastrophe gewesen wäre, was das Niveau betrifft, dann hätten wir vielleicht diesen Wettbewerb noch gecancelt.
Nein, ich glaube, dass es wirklich auch Nachwuchs gibt, auch international. Und man soll vielleicht auch nicht den Fehler machen und so sagen, heute gibt es keinen Nachwuchs mehr. Wenn Sie mal überlegen, dass in einer Zeit, als Dietrich Fischer-Dieskau sozusagen der führende Liedsänger war, wie viel gab es denn noch? Es gab Hermann Prey, es gab Christa Ludwig, gut, Brigitte Fassbinder, aber Brigitte Fassbinder ist schon fast eine Generation später. Es gab nicht die Massen an Liedsängerinnen und -sängern, was wir heute angeblich so beklagen. Richtig gute gab es nie so viel. Gott sei Dank, sage ich mal. Es ist ja auch ganz schön, wenn es ein paar sind, auf die sich dann die Menschen auch konzentrieren können.
Heise: Was unterscheidet Sie von den anderen Wettbewerben? Sie sagten ja, Sängerinnen, Sänger haben eigentlich eine ganze Auswahl an Wettbewerben.
Quasthoff: Ich denke, was wirklich anders ist und was mir persönlich auch sehr, sehr wichtig war, ist nicht, dass die Leute irgendwie einen Geldbetrag in die Hand bekommen und dann gehen, so nach dem Motto, so, nun seht mal zu, wie ihr klarkommt, sondern mir persönlich war sehr wichtig, alle Preise werden als Stipendium ausgezahlt. Also es findet in wesentlich intensiverem Maße eine auch finanzielle Förderung statt.
Und ich glaube, das sehr Besondere dieses Wettbewerbes ist, dass es Anschlusskonzerte gibt, die ich zum Teil auch selber begleite. Also ich werde die jungen Sängerinnen und Sänger auch vorstellen. So wird es Konzerte geben im Musikverein in Wien, es wird Konzerte geben beim Verbier Festival, beim Luzern Festival. Es ist die Kölner Philharmonie involviert, das Festspielhaus Baden-Baden ist involviert, und auch international, also Österreich hatte ich schon genannt.
Eines der renommiertesten Konzerthäuser für Liederabende überhaupt auf der Welt ist die Wigmore Hall in London, die von dem Projekt hörend sofort gesagt haben, das wollen wir sehr, sehr gerne unterstützen. Mit John Gilhooly haben die dort einen Intendanten, der sich in wirklich wunderbarster und liebevollster Weise für das Lied einsetzt, und da findet auch ein Austausch statt. Es gibt auch einen Wigmore-Hall-Wettbewerb, wo ich dann in zwei Jahren in der Jury sitzen werde, und umgekehrt in zwei Jahren sitzt der John Gilhooly, also der Intendant, bei mir in der Kommission beim Wettbewerb.
Heise: Das heißt, Sie haben längerfristig gedacht, längerfristig auch für den Nachwuchs gedacht, wollen da den Nachwuchs auch hinbringen und sich langfristig ...
Quasthoff: Absolut. Uns ist wirklich einfach wichtig, dass in dem Sinne eine Förderung stattfindet und nicht ein Scheck in die Hand gedrückt wird und danach nichts mehr passiert. Also es ist uns schon wichtig, auch begleiten und mit zu beobachten, was wird draus. Und es würde mich natürlich und uns alle, die bei diesem Wettbewerb beteiligt sind, wahnsinnig freuen, wenn vielleicht wirklich auch wieder Karrieren auch auf dem Genre Lied basierend passieren könnten, das wäre toll.
Heise: An Sängerinnen- und Sängerkarrieren arbeiten Sie als Professor an der Hanns-Eisler-Hochschule ja sowieso mit. Sie haben es vorhin gesagt, der Sänger, die Sängerin eines Liedes ist eigentlich mehr oder weniger auf sich selbst angewiesen, das ist ja eine besondere Herausforderung. Was bringen Sie Ihren Studenten da Besonderes bei, auf was legen Sie besonderen Wert?
Quasthoff: Ich glaube, dass die Schwierigkeit natürlich immer ist, dass man die ganze Ausdruckspalette, die man als Sänger zur Verfügung hat und die im Vergleich zu jedem anderen Instrument, das es überhaupt gibt, natürlich immens groß ist, auf drei bis vier Minuten beschränken muss. Irgendjemand hat mal gesagt, Lieder sind kleine Miniopern, und da ist was dran. Also es ist sozusagen die Miniaturform einer Oper.
Wenn Sie sich überlegen, der "Erlkönig" dauert, je nachdem, wie schnell man ihn spielt oder singt, vier bis fünf Minuten. In diesen vier bis fünf Minuten haben Sie vier Rollen zu singen: den Erzähler, den Erlkönig, den Vater und den Sohn. Gott sei Dank ist uns das Singen des Pferdes erspart geblieben, also insofern, aber es sind vier Rollen, die natürlich auch, wenn möglich, unterschiedlich klingen sollen. Und darin besteht die Kunst: Bilder zu schaffen. Also sie geben oder ich gebe zum Beispiel eben auch Liederabende auf Deutsch in Ländern, wo man die deutsche Sprache nicht unbedingt kann.
Heise: Und trotzdem soll man es verstehen können.
Quasthoff: Also so imaginativ zu singen, dass die Leute eigentlich, ohne dass sie die Sprache wirklich verstehen, wissen, worüber man singt. Es ist der Ausdruck in der Stimme, es ist der Ausdruck im Gesicht, all das spielt eine ganz große Rolle, ohne die große Operngestik. Und das macht dieses Genre auf der einen Seite so schwer, aber auf der anderen Seite eben auch so wunderbar.
Heise: Das Lied, besungen sozusagen von Thomas Quasthoff. Morgen beginnt der Wettbewerb, "Das Lied - International Song Competition", ins Leben gerufen von Thomas Quasthoff. Ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Quasthoff: Sehr gerne, vielen Dank!
Heise: Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner und nimmt das Abschlusskonzert am 22. Februar auf. Gesendet wird es dann hier im Deutschlandradio Kultur am 9. März um 20 Uhr.