Thomas Piketty: "Eine kurze Geschichte der Gleichheit"

Es gibt einen historischen Fortschritt

06:02 Minuten
Das Cover von Thomas Pikettys Buch "Eine kurze Geschichte der Gleichheit" zeigt Autorenname und Buchttitel auf hellblauem Grund.
© C.H. Beck

Thomas Piketty

Übersetzt von Stefan Lorenzer

Eine kurze Geschichte der GleichheitC.H. Beck, München 2022

264 Seiten

25,00 Euro

Von Jens Balzer · 25.08.2022
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Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty erzählt die Geschichte der Demokratie als allmähliche Überwindung der Ungleichheit – und erklärt, was zu tun ist, um diesen Fortschritt auch in Zeiten der Krise zu verteidigen.
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich: Das ist ein Kernsatz demokratischer Gesellschaftsordnungen. Den Demokratien westlicher Prägung ist das Versprechen gemein, dass alle Bürgerinnen und Bürger in ihnen gleich behandelt werden – dass sie unabhängig von Geschlecht, Religion oder Herkunft gleiche Aufstiegs- und Entfaltungsmöglichkeiten besitzen.
Zugleich sind diese Demokratien kapitalistisch organisiert. Der Kapitalismus produziert unaufhörlich alle Arten von Ungleichheit und lebt von ihnen, insbesondere in ökonomischer Hinsicht.
Thomas Piketty blickt freundlich in die Kamera
Der französische Ökonom Thomas Piketty© imago images / El Mundo / Alberto Di Lolli
Wie hat sich das Verhältnis zwischen Gleichheit und Ungleichheit in der Geschichte der kapitalistischen Demokratien entwickelt? Und wieviel Widerspruch zwischen Anspruch und Realität hält eine Gesellschaft aus, bevor es sie zerreißt – insbesondere in Krisenzeiten, wie wir sie gegenwärtig erleben?
Das sind die Fragen, denen sich der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty seit zwei Jahrzehnten widmet, umfassend zuletzt in zwei rund 1000-seitigen Büchern, „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ und „Kapital und Ideologie“.

Welche Gründe gibt es für Optimismus?

Sein neues Buch hat er deutlich knapper gehalten. „Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ kommt mit nicht einmal 300 Seiten aus. Piketty versteht es ausdrücklich als Einführung in seine Forschungen, aber es bietet auch neue Erkenntnisse für diejenigen, die sein Hauptwerk schon durchgearbeitet haben.
Und es hat einen optimistischeren Ton: Bislang beschrieb Piketty vor allem die wachsende Ungleichheit in den kapitalistischen Staaten der Gegenwart. Weil in diesen die Einkünfte aus Kapitaleigentum stärker wachsen als die Wirtschaft im Ganzen, so seine These, verfestigt sich der Reichtum kleiner Eliten, während die restlichen 90 Prozent der Gesellschaft immer geringere Chancen haben, um zu diesen aufzuschließen oder sich überhaupt aus der Armut zu befreien.
In der „kurzen Geschichte der Gleichheit“ weitet er den Blick bis zurück zum Ende des 18. Jahrhunderts und stellt fest: „So ungerecht sie scheinen mag, die Welt der beginnenden 2020er-Jahre ist egalitärer als die von 1950 oder 1900, die ihrerseits in zahlreichen Hinsichten egalitärer war als die Welt von 1850 oder 1780.“

Wie kann man Gleichheit überhaupt messen?

Wie sich dieser Zugewinn an Gleichheit vollzogen hat und welche historischen Einschnitte dabei hilfreich waren - das rekonstruiert er mit einer Fülle an statistischem Material. Er beobachtet die Entwicklung von Lohn- und Eigentumsverhältnissen; er stellt aber auch immer wieder die Frage, woran man Gleichheit eigentlich misst.
Wesentlich gehört etwa auch der Zugang zur Bildung dazu und dass genauso viel Geld in die Bildungsinstitutionen der unteren Gesellschaftsklassen fließt wie in jene für die Eliten. Das ist ein Anspruch, der in Pikettys Heimatland Frankreich offenkundig nicht eingelöst ist. Aber auch in Deutschland ist die Kluft eklatant.

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Als wichtigstes Instrument für die Beförderung ökonomischer Gleichheit sieht Piketty das Steuersystem. Seit Ende des 19. Jahrhunderts seien Gesellschaften immer dann gleicher geworden, wenn sie progressive Steuersysteme durchsetzen konnten.
Für die Gegenwart sei es die wichtigste Aufgabe, den neuerlichen Kampf der Eliten gegen die progressive Besteuerung zurückzuschlagen – sowie Einkünfte aus Kapitalbesitz international gleichmäßig abzuschöpfen. Darum müsse man internationale Institutionen schaffen, die die Flucht des Kapitals in die steuerlich jeweils günstigsten Staaten verhindern.

Was lässt sich aus der Geschichte lernen?

Dass sich dabei um eine geradezu utopische Idee handelt, weiß Piketty natürlich selber: Von politischen und wirtschaftlichen Kooperationen in internationalem Maßstab sind wir heute weiter entfernt denn je.
So bleibt ihm nur das - wiederum historisch detailliert begründete - Fazit, dass wirtschaftliche Gleichheit auch in demokratischen Staaten immer nur in zum Teil erbitterten Kämpfen erstritten wurde, insbesondere nach Kriegen und in Krisenzeiten.
Für diese Kämpfe sei es wichtig, dass Wissen um wirtschaftliche Zusammenhänge nicht im Besitz der profitierenden Eliten verbleibe. Das ist ohne Zweifel richtig, und darum liest man sein Buch mit Gewinn, auch dort, wo es zum Widerspruch reizt oder wo einem die praktische Umsetzung seiner Erkenntnisse eher utopisch erscheint.
Man erhält hier eine bündige, aber zugleich detaillierte und historisch aufgeschlüsselte Betrachtung der Frage, was Gleichheit eigentlich bedeutet; welches die Felder sind, auf denen man um Gleichheit zu kämpfen hat; und was man aus der Jahrhunderte währenden Geschichte dieses - oft auch erfolgreichen - Kampfs für die Gegenwart und die kommenden Krisen lernen kann.
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