Thomas Mann in Düsseldorf

06.08.2013
Ausgehend von den Tagebüchern Thomas Manns, in denen er eines seiner homoerotischen Treffen schildert, hat Hans Pleschinski hier eine abenteuerliche Geschichte entwickelt, der den schon gealterten Doyen zu einer Lesung nach Düsseldorf führt. Dort kommt es zu einem nicht erwarteten Wiedersehen.
Im August 1954 kehrt der Exilant Thomas Mann nach Deutschland zurück. Genauer: nach Düsseldorf, für eine Lesung aus dem "Felix Krull". Die Stadt hat in seinem Leben Epoche gemacht; nicht zufällig spielt seine letzte große Novelle ("Die Betrogene") dort. Aus Düsseldorf stammte Klaus Heuser, die große Liebe Manns aus dem Sylter Sommer 1927. Vielleicht ist der Schriftsteller einem jungen Mann nie näher gekommen. Heuser stimulierte sein Werk und wurde Vorbild für den Josef der biblischen Tetralogie.

"Königsallee" gestaltet den Düsseldorf-Besuch nach dem Vorbild von Manns Roman "Lotte in Weimar", wo die Wiederbegegnung des gealterten Goethe mit der Jugendliebe Charlotte Kestner inszeniert wird. Zeitgleich mit Thomas Mann hat sich im Hotel Breidenbacher Hof auch Klaus Heuser mit seinem Lebensgefährten Anwar einquartiert: ebenfalls eine Rückkehr, nach langen Jahren in Fernost. Klaus in Düsseldorf! Die Wiederbegegnung scheint unausweichlich.

"Lotte in Weimar" basiert auf der komödienhaften Drehung der Perspektive. Bevor Goethe selbst im siebten Kapitel auftritt, wird er ins Visier genommen von mehr oder weniger geniegeschädigten Figuren seines Umkreises, etwa dem Sekretär Riemer oder Sohn August, die sich bei Lotte vorstellig werden. So ergeben sich reizvoll ambivalente Blicke auf den großen Mann.

Ganz ähnlich geben sich bei Pleschinski nun Erika Mann, Ernst Bertram und Golo Mann die Klinke von Heusers Hotelzimmer in die Hand: Erika, die unermüdliche politische Kämpferin, die sich im Dienst am Vater aufreibt und Heuser von ihm fernhalten will: die Wiederbegegnung würde dem alten, gesundheitlich angeschlagenen Herrn nicht gut tun. Professor Bertram, Thomas Manns Freund und Helfer aus den Tagen als "Der Zauberberg" entstand, der sich politisch für die falsche Seite entschied und mit den Nazis sympathisierte, versucht, Heuser zu seinem Fürsprecher bei Thomas Mann zu machen. Schließlich der tief melancholische Golo, den die Zurücksetzung durch den Vater sogar zu Mordgedanken treibt.

Am Ende kommt es zu einer kurzen, traumhaften Wiederbegnung Thomas Manns mit Klaus Heuser. Tatsächlich wiedergetroffen hat er in Düsseldorf nur dessen Eltern; mit Bertram hatte es schon wenige Tage vorher eine Art Versöhnungsbegegnung gegeben.

"Königsallee" ist ein mit Thomas-Mann-Zitaten gespicktes Buch – ein Wiedererkennungsspaß für Fans und solche, die es werden möchten. Der Roman bietet darüber hinaus das Sittenbild einer Zeit, die zwischen demokratischer Zukunft und diktatorischer Vergangenheit manchen Balanceakt zu vollbringen hatte. Der Nobelpreisträger soll in Düsseldorf eine Art Exorzismus betreiben: Wo er eine Rede hält, da ist der Segen der Demokratie präsent, und auch die Handelsbeziehungen profitieren. Pleschinski trifft den Geist der Fünfziger Jahre: Aufbau und Bemühung, Verdrängung und Fauxpas.

Ein bisschen weniger Bildungsschwere hätte dem Roman gut getan. Trotzdem bietet er eine angenehme, kluge, erheiternde Lektüre und ist der humorlosen Breloerisierung der Familie Mann vorzuziehen.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Hans Pleschinski: Königsallee
C. H. Beck, München 2013
393 Seiten, 19,95 Euro
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