Hitzlsperger: "Mutproben"

Sein Leben als Profifußballer und sein Outing

05:46 Minuten
Thomas Hitzlsperger, ehemaliger deutscher Fußballprofi, spricht bei einem Podiumsgespräch auf der Branchenkonferenz SpoBis.
Thomas Hitzlsperger holte mit dem VfB Stuttgart die Meisterschaft und war im EM-Finale 2008. © dpa / picture alliance / Christian Charisius
Von Maximilian Rieger · 10.03.2024
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Vor mehr als zehn Jahren brach Thomas Hitzlsperger mit einem Tabu: Er machte seine Homosexualität öffentlich. Jetzt hat er ein Buch über seine Erfahrungen vor und nach dem Coming-out geschrieben – und über seine Erfahrungen im Profifußball.
Thomas Hitzlsperger hat mit dem VfB Stuttgart am letzten Spieltag 2007 die Meisterschaft geholt, stand mit der Nationalmannschaft im EM-Finale 2008 und ist der erste deutsche Profifußballer, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hat – ein Buch zu veröffentlichen, lässt ihn aber trotzdem nicht kalt.

Ich bin nervös. Ich habe großen Respekt vor den nächsten Tagen und Wochen, weil es mir schon wichtig ist, dass das, was ich jetzt so aufgeschrieben habe, dass das auch Leute interessiert, sie vielleicht inspiriert, dass es ihnen hilft.

Nicht zu wissen, wie genau es weitergeht – und trotzdem etwas durchziehen: Diese Haltung passt gut zum Titel des Buches. „Mutproben“ heißt es, und Hitzlsperger reflektiert auf etwas mehr als 200 Seiten über seine Karriere als Fußballer, sein Coming-out und den aktuellen Profifußball.

"Es sollte keine gewöhnliche Autobiografie sein"

"Es sollte keine gewöhnliche Autobiografie sein mit: Da hab‘ ich das Tor geschossen in Stuttgart, dann die Vorlage in der Nationalmannschaft, dann war ich einmal Kapitän und alles im Detail beschreiben, sondern schon abdecken: Ich war Fußballprofi und habe danach noch viele andere Sachen gemacht und habe noch andere Gedanken zum Geschäft und alles unterzubringen, das ist glaube ich gut gelungen", fasst Hitzlsperger den Inhalt zusammen.
Ein paar der Geschichten und Anekdoten, die im Buch vorkommen, hat Hitzlsperger so oder so ähnlich bereits in Interviews geschildert. Wie er als Jugendspieler des FC Bayern eine Woche Training schwänzt, um bei Aston Villa vorzuspielen und dann auch dorthin zu wechseln, trotz Standpauke von Bayern-Boss Uli Hoeneß.
Wie er in der Meistersaison beim VfB Stuttgart erst auf der Bank sitzt – und dann das entscheidende Tor schießt. Oder wie sich einer seiner Mitspieler in der Umkleidekabine von West Ham United schwulenfeindlich äußert – was Hitzlsperger zunächst darin bestärkt, seine Sexualität zu verstecken.
Aber nicht nur beim Thema Homophobie gelingt es Hitzlsperger sehr gut, seine persönlichen Erfahrungen mit den großen Fragen des modernen Fußballs – und auch wichtigen gesellschaftlichen Fragen – zu kombinieren.
Das war auch Co-Autor Holger Gertz wichtig, der für die „Süddeutsche Zeitung“ seit vielen Jahren über das Fußballgeschäft schreibt.

Ich fände es falsch, dieser Tendenz nachzugehen, wie ich sie im Moment ein bisschen spüre, aus Sport und Sportberichterstattung so eine Art Zirkusnummer zu machen, eine reine Unterhaltungskiste. Das ist mehr als das. Und dafür steht dieses Buch sicherlich auch.

Co-Autor Holger Gertz

Schwere Entscheidungen als junger Fußballer

Und so sind die stärksten Passagen von „Mutproben“ auch die, wo es nicht um das Geschehen auf dem Platz geht, sondern wenn Hitzlsperger über die Zustände der Branche reflektiert, die ihn berühmt gemacht hat.
Ein Thema, das sich durch das ganze Buch zieht, ist: Wie können Profi-Fußballer und Vereine eine Haltung zu gesellschaftlichen Fragen entwickeln?
Aus seiner eigenen Erfahrung beschreibt Hitzlsperger, wie schwer es als junger Fußballer ist, Entscheidungen zu treffen, die wertebasiert sind.

Seine Erfahrungen bei Lazio Rom

Als er um einen Platz im Kader für die WM 2010 kämpft, wechselt Hitzlsperger zum Beispiel für ein halbes Jahr zu Lazio Rom - obwohl der Verein viele rechte, teils faschistische Fans hat.
Damals sei er noch nicht soweit gewesen, deswegen nicht bei Lazio zu spielen, schreibt er. An diese Episode denke er jetzt zurück, wenn er von Spielern fordere, sich klar zu positionieren – so, wie er das vor und während der Weltmeisterschaft in Katar getan hat.

„Ich habe mich auch im Vorfeld der WM in Katar zu Wort gemeldet und ich hatte eine klare Überzeugung. Und die Überzeugung habe ich heute schon noch, aber ich habe gemerkt, dass wir von der Mannschaft das nicht verlangen können, wenn sie sich darüber nicht im Klaren und nicht einig ist.“

Widersprüchlichkeit und Doppelmoral

Hitzlsperger benennt die Widersprüchlichkeit des Profifußballs, auch die Doppelmoral, die teils vorherrscht. Wenn zum Beispiel die Regenbogenfahne an den Eckfahnen weht, ein Klub aber trotzdem einen Spieler verpflichtet, der homophobe Äußerungen auf Instagram teilt.
Oder wenn Jordan Henderson, der sich als Liverpool-Spieler für die Rechte Homosexueller eingesetzt hat, nach Saudi-Arabien wechselt, wo Homosexualität verboten ist.

Mit seinen Aussagen wird Hitzlsperger in der sogenannten Fußball-Familie auch mal wieder anecken. Aber für Holger Gertz macht genau das die Person so interessant.

„Dieser sehr kritische Blick, natürlich auf der einen Seite den Fußball sehr gerne haben, ihm auch viel zu verdanken haben, aber auf der anderen Seite auch einen kritischen Blick auf die Umstände zu haben - den hat er entwickelt und den hat er sich auch in verschiedenen Situationen bewahrt, das fand ich ganz bemerkenswert.“

Buch zeigt gesellschaftliche Wirkung des Fußballs

Durch seine klare, schnörkellose Sprache schafft es Gertz, diesen kritischen Blick aus zu buchstabieren, ohne viel Pathos, aber dafür mit der an manchen Stellen notwendigen Wucht.
Aber nicht nur wegen der Sprache hat Hitzlsperger mit Gertz als Co-Autor eine gute Wahl getroffen. Beide vereint, dass sie den Fußball ernst nehmen, sowohl das Spiel als solches, aber auch die gesellschaftliche Wirkung, die der Fußball hat. „Mutproben“ ist ein gelungenes Zeugnis davon.  

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