Thomas Halliday: "Urwelten"

In einem Land vor unserer Zeit

06:44 Minuten
Das Cover zeigt die Illustration einer grünen urzeitlichen Pflanze auf schwarzem Grund.
© Hanser

Thomas Halliday

Aus dem Englischen von Hainer Kober

Urwelten. Eine Reise durch die ausgestorbenen Ökosysteme der ErdgeschichteHanser, München 2022

464 Seiten

28,00 Euro

Von Michael Lange · 14.10.2022
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Eine ewige, ursprüngliche Natur gibt es nicht. Die Erde und ihre Ökosysteme befinden sich in ständigem Wandel. Der Evolutionsbiologe Thomas Halliday lässt durch anschauliche Schilderungen längst vergangene Welten wieder lebendig werden.
Von Ökosystemen, in denen es noch keine Menschen gab oder in denen Menschen noch keine Rolle spielten, sind nur Fossilien, Spuren im Gestein oder ein paar Knochen übrig geblieben. Dennoch gelingt es Paläontologen heute vergangene Welten zu erforschen und sogar zu rekonstruieren, zumindest theoretisch.
Doch nur wenige Experten gelingt es wie Thomas Halliday, diese Urwelten mit einfachen Worten vor dem geistigen Auge neu zu erschaffen.

Safari durch die Vergangenheit

Ein Beispiel ist die Beringia-Steppe, die sich im Pleistozän vor 20.000 Jahren zwischen dem heutigen Alaska und Sibirien ausbreitete. Hier lebten in weiten Graslandschaften nicht nur die faszinierenden Mammuts, sondern auch große Pflanzenfresser, die wir bis heute kennen, wie Bisons, Karibus und Moschusochsen. Dazwischen lebten riesige Allesfresser wie der Arctodus, ein Kurznasenbär, so groß wie vier Grizzlys.
Halliday beschreibt diese Tiere als hätte er sie selbst gesehen - wissenschaftlich fundiert und ohne fantatsievolle Ausschmückungen. Als Leser:innen begleiten wir ihn wie auf einer Safari durch eine untergegangene Welt.

Wie eine Zeitmaschine

Dabei wird klar, dass sich die Erde schon lange vor dem Auftreten der ersten Menschen ständig verwandelte. Immer wieder fanden und finden neue Arten zusammen, reagieren aufeinander und bilden neue Lebensgemeinschaften. Geschehnisse, die viele Millionen Jahre zurückliegen, prägen bis heute unsere Landschaften und die Lebewesen unseres Planeten.
Der englische Originaltitel „Otherlands - World in the Making“ (Anderland - Welt in Produktion) veranschaulicht den Fokus des Buches auf den Entstehungsprozess besser als der deutsche Titel „Urwelten“, der das Vergangene betont.
Thomas Halliday dreht die Zeitlinie um und bewegt sich von heute ausgehend immer weiter zurück in die Vergangenheit. Ruckzuck erreichen wir die Welt der ersten menschenähnlichen Hominiden vor vier Millionen Jahren im heutigen Kenia. Um sie herum: Ungewöhnlich große Schweine, Otter mit einem Gewicht von über 200 Kilogramm, aber auch Mauersegler, die sich kaum von ihren heutigen Nachfahren unterscheiden.

Die Erde ist kein Menschenplanet

Das Buch vermittelt jede Menge Wissen über ausgestorbene Arten, aber auch über die Evolution. Es lehrt Respekt vor der Vielfalt des Lebendigen. Der Mensch steht bei Halliday nicht im Mittelpunkt. Er macht klar: „Die Erde war nicht immer ein Menschenplanet, und sie wird es in Zukunft nicht immer sein.“
Der Klimawandel erscheint vor diesem Hintergrund nicht als unabwendbare Apokalypse, sondern als menschgemachte humanitäre Katastrophe, die sich bewältigen lässt, wenn wir das vorhandene Wissen nutzen.
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