Thomas Brussig: Erinnerung an die Wende braucht kein Denkmal

Thomas Brussig im Gespräch mit Jürgen König · 13.07.2009
Der Schriftsteller Thomas Brussig bezweifelt, dass das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal wirklich benötigt wird. Was das Denkmal leisten solle, habe jetzt schon die Debatte um das Denkmal bewirkt. Außerdem könne ein Denkmal nicht das besondere Lebensgefühl der Revolutionszeit wiedergeben. Das könnten eher Bücher und Filme leisten.
Jürgen König: Eine große, gelbe Banane sollte auf einem Sockel vor dem Berliner Reichstag die deutsche Einheit symbolisieren. Sie erinnern sich, das war der spektakulärste von insgesamt 532 Entwürfen für ein deutsches Freiheits- und Einheitsdenkmal. Alle 532 Entwürfe wurden schließlich von der Jury mehr oder weniger kommentarlos abgelehnt. Letzten Mittwoch beschloss nun der Bundestagsausschuss für Kultur und Medien einen neuen Wettbewerb für ein solches Freiheits- und Einheitsdenkmal, diesmal mit einem neuen und deutlich einfacheren Verfahren. In einer ersten Runde sollen sich Fachleute bewerben, besonders qualifizierte Architekten und Künstler. Ein Gremium soll dann die besten Bewerber auswählen, die gehen dann in den Wettbewerb. Das Ganze muss vom Bundestag noch beschlossen werden, dieser Beschluss gilt aber als sicher. Ein Mitglied der Jury des ersten Wettbewerbs ist jetzt bei uns, der Schriftsteller Thomas Brussig. Schön, dass Sie da sind!

Thomas Brussig: Guten Tag!

König: In einem Artikel im "Tagesspiegel" haben Sie am 8. Mai geschrieben: "Nicht die Künstler, wir haben versagt." Wir, die Jury. Das war nun damals, wie man so sagt, zeitnah, inzwischen sind mehr als zwei Monate vergangen. Sehen Sie das immer noch so eindeutig: Wir, die Jury, haben versagt?

Brussig: Ja, ich finde, wenn 532 Entwürfe vorliegen, dann muss einer doch dabei sein, der gut genug ist, dieses Denkmal abzugeben. Und dann war der Wettbewerb auch so gehalten, dass die Jury Künstler, die vielversprechende Ansätze geliefert haben, auch quasi verkuppeln konnte, also dass sie verpflichtet wurden, in einer weiteren Stufe des Wettbewerbs zusammenzuarbeiten. Und es wurde immer gesagt, also diese 532, die seien alle schlecht gewesen. Ich finde, es spielt keine Rolle, wie schlecht die meisten sind, sondern es kam einfach darauf an, die Guten und die Besten, die Vielversprechendsten herauszufiltern.

Und dass bei 532 Entwürfen, die ja teilweise auch von renommierten Künstlern gekommen sind, dass da nichts gefunden wurde, das halte ich für ein Versagen der Jury. Man muss aber auch sagen, dass die ganze Debatte oder die Art der Abstimmung, dass uns da auch viel zu wenig Zeit zur Verfügung stand beziehungsweise dass sie uns da viel zu wenig Zeit für gegeben haben. Das war pro Entwurf ungefähr eine halbe Minute, also ...

König: Die berühmte halbe Minute, die damals ja in der Presse auch immer zitiert wurde.

Brussig: ... ja, diese berühmte halbe Minute. Und ich finde, auch gegenüber den Künstlern war es nicht fair, so schnell drüber abzustimmen, aber es wäre auch nicht fair gegenüber den anderen Jurymitgliedern, die natürlich auch begründen können, also so, wie auch ich begründen kann, warum ich was getan habe, so können die es auch begründen. Und jetzt so darüber herzuziehen, wäre auch nicht fair, obwohl's natürlich, der Voyeur in Ihnen will's natürlich hören.

König: Ja, alle wollen es hören, selbstverständlich. Es wurden ja dann die Entwürfe im Kronprinzenpalais ausgestellt, und wieder hat es nie eine Diskussion gegeben, ein Podium mit einzelnen der beteiligten Künstlern. Das hat, glaube ich, auch viele wirklich empört und, wie ich auch finde, zu Recht empört, dass es überhaupt keine Auseinandersetzung gegeben hat, dass auch die Ablehnung der Entwürfe nie begründet wurde - inhaltlich nicht, ästhetisch nicht oder, weiß ich, geschichtspolitisch hätte man das tun können, sondern dass nur sozusagen in toto gesagt wurde: Alles Mist, neuer Wettbewerb.

Brussig: Also, alles Mist wurde auch nicht gesagt, sondern keiner war gut genug, um ...

König: och, also …

Brussig: Und man hat so damit gerechnet, dass 60 Entwürfe ungefähr die nächste Runde erreichen, kein einziger hat's erreicht, einige haben es knapp verpasst. Also das, finde ich, würde dann auch zu weit gehen, dass dann die Jury gegenüber jedem einzelnen Abgelehnten jetzt auch noch sagt, warum ihr nicht.

König: Wenn man daraus ein Theaterstück machen würde, was würde es? Eine Farce.

Brussig: Wahrscheinlich, ja. Und vielleicht gar nicht mal so uninteressant, denn wie so diese Verquickungen im Kunstbetrieb sind und wen es immer so trifft, also ich, als Literatur, weiß, dass das mit Preisen da ein völlig undurchschaubares Feld ist, aber es ist ein Thema von einiger Relevanz.

König: Jetzt soll ein zweiter Anlauf genommen werden, wieder ist von einem Gremium die Rede, das nun besonders qualifizierte Architekten und Künstler aussucht. Wissen Sie, wer in diesem Gremium sitzen wird? Sie zum Beispiel?

Brussig: Nein, ich kann's mir auch nicht vorstellen. Ich bin jetzt keiner von denen, also die jetzt in so 'ne Jury einfach gehören. Ich hab einen gewissen Bezug zu dem Thema, aber mit Bildender Kunst, da bin ich einfach kein Experte, da gehöre ich nicht hin ….

König: Mehr der Freiheits- und Einheitsexperte sozusagen?

Brussig: Ja, eher so was. Und Experte ist da auch hochgestochen. Also vielleicht hat man sich gesagt, ach, ein Schriftsteller wär auch nicht schlecht, wen nehmen wir denn da? Und dann den. Und wenn man sich eben jetzt sagt wieder, Schriftsteller können wir auch nehmen, dann wird man sich vielleicht auch für einen anderen entscheiden, was auch völlig in Ordnung ist.

König: Könnten Sie Ratschläge geben, was man aus den Fehlern des ersten Durchgangs lernen könnte?

Brussig: Ich find's auf jeden Fall erst mal richtig, dass das nicht mehr so inhaltlich überfrachtet wird. Das, was da thematisch alles vorgegeben wurde - es sollten ja die Freiheits- und Einheitsbestrebungen der Deutschen und eigentlich der ganzen Welt von den, jetzt mal übertrieben gesagt, aber bei den Deutschen, doch, ich glaube, die Varusschlacht, die hat schon 'ne Rolle gespielt.

König: Also auch das ganze Problematische des deutschen Einigungsverfahrens über die Jahrhunderte hinweg?

Brussig: Ja, es war vollkommen überfrachtet, und natürlich die europäische Dimension und so weiter. Und da ist dann auch viel gekommen, was vor Symbolik nur strotzte, also immer diese 16 Stelen, die die 16 Bundesländer symbolisieren, und dann waren es mal 16 Türen. Also wie oft da was mit 16, die Zahl 16 vorkam, mittlerweile kann kein Jurymitglied mehr von sich behaupten, er wüsste nicht, wie viel Bundesländer es gibt. Und dann ist natürlich der Wettbewerb auch an so einer ganz einfachen Fragestellung gescheitert. Man will natürlich hier, also so ein offener Wettbewerb, jeder kann und die Anonymität bleibt gewahrt, also da war keiner in der Jury, der wirklich wusste, von wem der Entwurf ist, und das war auch eine große Angst der Jury: Haben wir vielleicht jetzt aus Versehen wirklich eine richtige Koryphäe ...

König: Einen der ganz großen Namen abgewatscht.

Brussig: ... mit keiner Stimme abgestraft, also ist uns das vielleicht passiert? Also dass man so was sehr Demokratisches und die totale Chancengleichheit wollte. Und dann hatte man eben doch ein Niveau, was sehr mittelmäßig war und teilweise auch wirklich schlecht. Wenn man nun aber eben sagt, nein, wir gehen den anderen Weg, also wir sprechen jetzt hier die üblichen Verdächtigen an, also hier die Koryphäen, dann sagt man wieder: Ach, abgekartete Sache, und hier als kleiner Künstler hast du ja keine Chance, die lassen dich da nie ran an die Fleischtöpfe und so. Also in diesem Zwiespalt steckte das ganze Projekt und steckt es auch jetzt noch.

Und das Verfahren, das jetzt angedacht ist oder das jetzt auf den Weg gebracht ist, das geht diesem Dilemma so halbwegs aus dem Weg. Also dass man da schon ... und dass man auch so ein bisschen versucht Wiedergutmachung. Es steht ja auch dem Ausrichter, also dem Bundestag, nicht gut an, dass man da so einen offenen Wettbewerb ausgerufen hat, und dann haben da viele Leute, auch gute Leute, eben Zeit und Mühe investiert und dann geht das so aus. Da will man natürlich auch Wiedergutmachung, das verstehe ich.

König: Es geht jetzt der Plan, ein Denkmal zu errichten, erst mal nur noch in Berlin, ein anderes in Leipzig, und in Berlin "nur noch" in Anführungsstrichen in Erinnerung an die friedliche Revolution in der DDR von '89. Finden Sie's richtig, dennoch immer vom Freiheits- und Einheitsdenkmal zu sprechen, also diese beiden Begriffe miteinander zu verknüpfen? Es haben ja viele gesagt, nein, die Freiheit, also die Revolution, in der DDR ist das eine, und die Einheit ist etwas völlig anderes, weil sich damit ganz andere Dinge noch verknüpfen.

Brussig: Ja, ich bin auch auf Seiten derer, die sagen, dass Freiheit und Einheit trennbare Dinge sind, also die, die sagen, das ist untrennbar miteinander verbunden, da sage ich, nö, ist es nicht. Also es hat mal eine deutsche Einheit gegeben, die war in Unfreiheit, das Dritte Reich war höchst unfrei, aber doch ein einiger Staat oder ein geeinter Staat, und umgekehrt lässt sich das eben auch sagen, also dass es ein Freiheits- und Einheitsdenkmal sein wird. Ich denke auch, dass sich das langfristig, dieser Begriff, auch nicht durchsetzen wird, wenn man da ein Denkmal haben wird, dann werden die Berliner dafür dann auch wieder was finden, dann werden sie eben von der Schüssel reden, wenn's eben eine Schüsselform hat.

König: Ja, ja, gut, aber offiziell haben wir ja schon dieses, wie siamesische Zwillinge sind die Begriffe jetzt schon zusammengewachsen: Freiheits- und Einheitsdenkmal, spricht sich sogar auch ganz schön. Also ich habe schon den Verdacht, dass das jetzt schon so sprachlich zumindest zusammengefügt wird, und dann braucht's vielleicht wirklich den Berliner Volksmund, der das wieder mit einem Extrabegriff versieht.

Brussig: Das Schöne an diesen Denkmalen ist ja auch die Debatte, die um sie geführt wird. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass, wenn die Debatte geleistet ist um dieses Denkmal, dann ist das geleistet, was dieses Denkmal leisten kann, dann muss man's eigentlich auch nicht mehr bauen. Vielleicht ist es hier auch so. Und dass wir uns eben in dieser Debatte darum verständigen, also wie es nun mit der Freiheit und der Einheit ist und ob dann nun zusammengehört oder nicht, das werden wir sehen.

Natürlich ist das Selbstverständnis der Bundesrepublik oder - böse formuliert - aus ideologischen Gründen ist eben das Freiheits- und Einheitsdenkmal eben etwas, was zusammengehört. Ich finde es nicht, und die Frage können wir offenhalten.

König: Wie sähe Ihr Denkmal für die Revolution in der DDR aus?

Brussig: Ich finde, ich weiß gar nicht, ob man dafür ein Denkmal braucht. Ich finde ...

König: Stellen Sie die Grundsatzfrage am Ende des Gesprächs?

Brussig: Ja, also das ist ... gut, also dann fragen Sie, warum ich dann überhaupt in diese Jury gegangen bin. Ach, na zum Teil aus 'ner Neugier, also wie läuft denn das so in Jurys, wie geht's da ab, und natürlich dann auch als Berliner, also um so ein bisschen Schadensbegrenzung zu betreiben, also dass ich zumindest versuche, dass da auch ein Entwurf herausgefunden wird, mit dem auch die Stadt gut leben kann.

Ich finde, das Gedenken - ja, Gedenken ist nun auch schon wieder so ein problematisches Wort -, also das Denken an diese Revolution von 89, dass das ein freudiges Gedenken sein soll. Dummerweise ist die Mauer zu einem Zeitpunkt gefallen, wo so Open-Air-Veranstaltungen sich nicht gut machen. Aber ich glaube auch, dass so etwas wie Filme und Bücher auch geeignet sind, diese Zeit wach zu halten.

Es ist leider so, dass wir, wenn wir die Fernsehbilder sehen - und das ist ja wirklich eine bildermächtige Zeit, dieser Herbst '89 und überhaupt auch die ganze Einheit -, dass man eben denkt, wenn man die Fernsehbilder kennt, dann weiß man alles über diese Zeit. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn man die Fernsehbilder kennt, weiß man noch gar nichts über diese Zeit. Also dieses Gefühl ...

König: Sie zeigen die Mauer immer vom Westen her?

Brussig: ... dass die Karten neu gemischt wurden, dass sich alle auf einem schwankenden Boden bewegen, also dass eine Revolutionszeit wirklich eine Zeit ist, die ihr ganz eigenes Lebensgefühl hat, das kann ein Denkmal nicht zeigen, und das haben auch diese Fernsehbilder nicht gezeigt. Das fällt natürlich dann wieder auf meine Gilde zurück, also auf die Schriftsteller und auf die Drehbuchautoren beziehungsweise die Filmemacher. Das sind Dinge, die in Erzählungen geleistet werden, also das Besondere einer solchen Zeit, einer solchen Revolution zu erzählen.

König: Vor einem zweiten Versuch zu einem Wettbewerb für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal ein Gespräch mit dem Schriftsteller Thomas Brussig. Herr Brussig, danke schön!
Der Autor Thomas Brussig
Der Autor Thomas Brussig© AP Archiv