Thierry Chervel über "Anti-Abschiebe-Industrie"

"Hier wird eigentlich politische Polemik sanktioniert"

Nina Janich, Professorin für Germanistische Linguistik und Jurysprecherin, präsentiert am 15.1.2019 in Darmstadt das Unwort des Jahres 2018: "Anti-Abschiebe-Industrie".
"Anti-Abschiebe-Industrie": Das Unwort des Jahres 2018 kommt von CSU-Landesgruppenchef Dobrindt. © picture alliance / Andreas Arnold / dpa
Moderation: Anke Schaefer · 15.01.2019
Die Wahl von "Anti-Abschiebe-Industrie" zum Unwort des Jahres gefällt dem Journalisten Thierry Chervel nicht: Man sollte der politischen Polemik nicht zu enge Grenzen setzen. Die Formulierung stammt von dem CSU-Politiker Alexander Dobrindt.
Es war im Mai 2018, als CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in einem Zeitungsinterview wetterte: "Es ist nicht akzeptabel, dass durch eine aggressive Anti-Abschiebe-Industrie bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert wird." Wer mit Klagen versuche, die Abschiebung von Kriminellen zu verhindern, arbeite nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellschaftlichen Frieden, sagte Dobrindt.
Heute brandmarkten Sprachexperten diese Wortschöpfung als "Unwort des Jahres 2018". Die Formulierung sei von Dobrindt "als offensichtlicher Kampfbegriff in die politische Diskussion eingeführt worden", erklärte die Jury des Sprachwettbewerbs in Darmstadt.

"Demokratie braucht Scharmützel"

Der Journalist Thierry Chervel kritisierte diese Entscheidung in unserem Programm. Die "Unwort"-Jury habe eine "polemische Formel" ausgewählt. Ob diese "überhaupt ein Wort sei", stellte er fragend in den Raum. "Ich finde, man kann auch Sachen, die grammatikalisch falsch sind, mal zu einem Unwort des Jahres erklären", meinte er.
Er sei wahrlich inhaltlich nicht auf der Seite von Herrn Dobrindt, doch solle man der politischen Polemik nicht zu enge Grenzen setzen. Demokratie brauche Scharmützel − ab und zu müsse man auch mal rhetorisch ausrutschen dürfen, ohne dass man gleich in die eine oder andere Schublade gesteckt werde. "Das tut auch manchmal ein bisschen weh." Hier werde eigentlich politische Polemik sanktioniert.
"Wissen Sie, in der Debatte ist das heute so", meinte Chervel: "Die Rechte ist hämisch und sie versucht immer zu verletzen. Und die Linke ist zensorisch. Und die Mitte befindet sich auf einem schmalen Grat und permanent in der Gefahr abzurutschen, weil sie von rechts und links belauert wird."
(huc/kna)
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