"There's a Riot Goin' On" von Sly Stone

Düstere Songs vom Niedergang der Black Power

06:29 Minuten
Der US-Musiker Sly Stone sitzt 1974 in einem weißglänzenden Anzug bei einem Auftritt auf einer Bühne.
Das Album "There’s a Riot Goin’ On" von 1971 war eine schlagartige Abkehr von Sly Stones übermütigen Psychedelic-Funk-Liedern der 60er. © picture-alliance / kpa | 90061
Von Laf Überland · 01.11.2021
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Der Aufstand der schwarzen Bevölkerung in Detroit 1967 und der Mord an Martin Luther King 1968 veränderten Sly Stones Musik: Sein desillusionierendes Album "There's a Riot Goin' On" inspirierte auch andere Soulkünstler, über die Realität zu singen.
Mit seiner fröhlichen und Grenzen sprengenden Musik wollte Silvester Stewart, der sich Sly Stone nannte, nichts weniger als die Menschen zum Besseren verändern. Und allein die Besetzung seiner Family Stone war bereits ein politisches Statement: schwarz und weiß und latino, Männer und Frauen in einer Band.
Das war Sly Stones Utopia: "We've got to live together!" Lebt in Eintracht und reißt die Grenzen ein! Und die 300.000, die noch zwei Jahre zuvor in Woodstock nachts um halb vier den Gospel "Call & Response" mit ihm geteilt hatten, hatten das doch genau so gesehen.
Aber dann, plötzlich, nachdem Detroit gebrannt hatte und der Reverend Dr. King und Bobby Kennedy erschossen worden waren, brach all dies weg. "There’s a Riot Goin’ On", das Album von 1971, war die schlagartige Abkehr von Slys übermütigen Psychedelic-Funk-Operetten-Liedern der 60er.
"There’s a Riot Goin’ On" antwortete ihm also Sly Stone, und er wirkte dabei ziemlich desillusioniert und deprimiert. Den Verlust der herzensvollen Hoffnung kleidete er in die Rhythmusmaschine, die seelenlos den Beat aus den Stücken heraus tuckerte. Manche Songs tauchten eher schemenhaft aus dem Stillstand auf. Die Bläser waren jetzt nicht mehr fetzig, sondern stießen einzelne kollektive Rufe hervor. Slys Gitarre lag meist im Fundament vergraben. Und der Funk – das Motorengeräusch der schwarzen Seele – war nur noch als Gerüst zu erahnen in dem schlurfigen Tempo, dem alle Energie geraubt schien.

Kritik verstand "Riot" nicht

Nur die Gesangsstimmen drückten ihre jeweiligen Seelenzustände aus: Soul eben. Während Sly sich auf seinem Sofa zurücklehnte und über den Niedergang des Hippietums, der Black Power, der Liebe und des Friedens dichtete.
Die meisten Kritiker verstanden "Riot" nicht, hielten das Album für leblos und düster und sinnlos: Kein Wunder, auf einem Stück jodelte Sly endlos, und die Musik klang matschig und verrauscht, weil Sly dauernd einzelne Passagen aus den Spuren löschte und neu aufnahm auf demselben Band. Denn die meisten Instrumente hatte er ja allein eingespielt. Nur manchmal durften Bandmitglieder mitmachen oder Gäste wie Billy Preston, Ike Turner und Bobby Womack.

Songs über reale Zustände

Nach "Riot" machten Sly & The Family Stone dann noch ein paar weitere Alben, aber er verlor sich zusehends in seinem eigenen Drogensumpf und verschwand in einem Nebel aus Crack und Koks und finanziellem Desaster. 2011 entdeckte ihn jemand in einem kleinen Wohnmobil fest abgestellt am Rand einer Vorstadtstraße vor dem Haus eines alten Ehepaars, bei dem er duschen und einmal am Tag warm essen konnte.
Aber ein halbes Jahr nach seinem erschütternden Protestalbum von 1971 waren immer mehr Stücke von Soulkünstlern aufgetaucht, die die realen Zustände besangen und nicht die blumigen Träume von einer besseren Zukunft: "Superfly", "Respect Yourself", "The World Is a Ghetto" und, ganz vorne: "Papa Was a Rolling Stone".
Sie alle groovten gesetzten Schrittes durch die Tür, die Sly Stone der schwarzen Popmusik geöffnet hatte – und damals schon mit weinendem und lachendem Auge. "Du hast mich wieder beim Lächeln erwischt", sang er inmitten der Düsternis des Albums in "(You Caught Me) Smilin’".
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