Therapie statt Sicherungsverwahrung für Sexualstraftäter

Max Stadler im Gespräch mit Christopher Ricke · 29.10.2010
Heute berät der Bundestag den Gesetzesentwurf zur Sicherungsverwahrung. Max Stadler (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium, sagte, der Entwurf biete den Tätern die Chance, sich durch Therapie auf die Freiheit vorzubereiten.
Christopher Ricke: Max Stadler von der FDP ist der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Guten Morgen, Herr Stadler!

Max Stadler: Guten Morgen!

Ricke: Also Bundesverfassungsgericht nächste Station – ist denn das alles schon im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt worden? Sind Sie optimistisch, wenn Sie nach Karlsruhe schauen?

Stadler: Ja, man könnte sagen, die nächste Station ist jetzt der Bundestag, denn die Koalitionsfraktionen, die Bundesregierung haben sich ja auf eine umfassende Neuregelung der Sicherungsverwahrung geeinigt. Das geht jetzt durch das parlamentarische Verfahren, und dabei ist besonders bedeutsam, dass diejenigen 80 Fälle, von denen gerade die Rede war, die aufgrund einer Entscheidung aus Straßburg möglicherweise in Freiheit entlassen sind, dass wir hierfür eine neue gesetzliche Möglichkeit der therapeutischen Unterbringung schaffen, wenn nämlich Straftäter eine psychische Störung aufweisen, aus der sich die erhebliche Gefahr und Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sie weiterhin schwere Straftaten begehen. Das knüpft an an einen Begriff in der Europäischen Menschenrechtskonvention und soll helfen, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, eben in denjenigen Fällen, in denen der Europäische Menschenrechtsgerichtshof anders entschieden hatte als früher das Bundesverfassungsgericht und eine Entlassung bevorsteht.

Ricke: Das beruhigt sicherlich die Gesellschaft, wenn viele Menschen nicht mehr auf die Straße kommen, allerdings haben diese Menschen auch Rechte, und das Wegsperren in psychiatrischen Anstalten, das hat einen üblen Geruch. Oder ist es das gar nicht?

Stadler: Ja, deswegen wird es auch kein Wegsperren in psychiatrischen Anstalten geben, sondern es werden völlig neue Einrichtungen für diese spezielle Personengruppe geschaffen mit dem Ziel der Therapierung. Denn Sie sagen zu Recht: Selbstverständlich haben auch inhaftierte Straftäter Rechte, und es muss ein Ziel bleiben, darauf hinzuwirken, dass sie ihr Leben wieder in Freiheit führen können, aber dazu bedarf es eben aufgrund von Persönlichkeitsdefiziten, psychischen Störungen erst einmal therapeutischer Anstrengungen. Und darauf wird diese neue Form der Unterbringung ausgerichtet sein, denn wir stehen ja vor dem Problem, dass der betroffene Personenkreis jetzt Straftaten zwar begangen hat und dafür Strafe verbüßt hat, dann in Sicherungsverwahrung gekommen ist und praktisch nicht auf eine Entlassung hingearbeitet worden ist oder auf eine Entlassungssituation vorbereitet worden ist. Das wollen wir ändern, und dann kann im jeweiligen Einzelfall entschieden werden, ob und wann der Betreffende wieder in Freiheit kommt, wann das zu verantworten ist.

Ricke: Jetzt müssen Sie diesen Gesetzentwurf aus Ihrem Haus natürlich mit Werf verteidigen, aber, das ist jetzt die Einladung zur selbstkritischen Betrachtung: Ist das Gesetz jetzt wirklich wetterfest, das die Abgeordneten überzeugt, womit auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einverstanden ist und was die Bevölkerung versteht?

Stadler: Wir haben uns ja genau an eine Formulierung in der Europäischen Menschenrechtskonvention gehalten, und das, was von der Rechtsprechung aus Straßburg uns als Hausaufgabe aufgegeben worden ist, das haben wir nach unserer Meinung wirklich gelöst, denn die Entscheidung vom letzten Dezember beruhte ja darauf, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof gesagt hat: Sicherungsverwahrung ist eine Art zweite Strafe. Das darf daher nicht rückwirkend verschärft werden. Und wir schaffen ja jetzt ein neues Institut der therapeutischen Unterbringung, das ist eben gerade keine Bestrafung, und deswegen sind wir sicher, dass wir damit das Rückwirkungsverbot nicht verletzen, sondern etwas tun für die Sicherheit der Bevölkerung, aber auch den Tätern eine Chance bieten, durch therapeutische Maßnahmen auf Freiheit vorbereitet zu werden.

Ricke: Eine grundsätzliche Verständnisfrage, die ich mir schon seit geraumer Zeit stelle: Warum braucht es eigentlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, um aktiv zu werden? Dass das möglicherweise im deutschen Recht nicht so ganz stimmig ist und mit dem europäischen Menschenrechtsverständnis etwas ins Gehadere kommt, das hätte man doch vorher merken können.

Stadler: Ja, deswegen muss man hier zwei Punkte unterscheiden. Die Koalition, die jetzt seit einem Jahr im Amt ist, hatte ja unabhängig von der Rechtsprechung aus Straßburg bereits vereinbart, das Regelwerk für die Sicherungsverwahrung völlig neu zu gestalten. Dafür hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ja einen Entwurf schon vor einiger Zeit vorgelegt, der eben jetzt ins Gesetzgebungsverfahren kommt. Diese Vereinbarung, dass wir von uns aus die Sicherungsverwahrung reformieren wollten, haben wir eben im letzten Oktober getroffen. Das Urteil aus Straßburg kam im Dezember. Das Straßburger Urteil betraf den speziellen Fall, ob bei der alten Gesetzgebung ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vorlag, und da war die Situation eben so, dass das Bundesverfassungsgericht einen solchen Verstoß noch verneint hatte mit der Begründung, Sicherungsverwahrung sei eben etwas anderes als Strafe, es sei eine maßregelnde Sicherung, sodass man immerhin den Segen der Karlsruher Richter hatte bei der alten Gesetzgebung. Und deswegen war das ein wenig überraschend, dass Straßburg anders entschieden hat, aber wir haben darauf selbstverständlich reagiert.

Ricke: Max Stadler von der FDP, er ist der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Vielen Dank, Herr Stadler!

Stadler: Ich danke!
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