Theologischer Disput in Opernarien

Rezensiert von Rainer Zerbst |
Der Humanist und erste Hebraist Johannes Reuchlin setzte sich in einem theologischen Streit Anfang des 16. Jahrhunderts dafür ein, dass jüdische theologische Schriften nicht verbrannt werden. Dafür wurde er vor die Inquisition zitiert. Reuchlins Streiten für mehr Toleranz fand nun Eingang in ein Opernprojekt in Stuttgart.
Besser hätte man einen Aufführungsort nicht mehr wählen können, denn in der Stuttgarter Leonhardskirche wurde 1522 Reuchlin begraben, ein Humanist zwischen den Fronten, nicht zuletzt, weil er sich für den Erhalt jüdischer theologischer Schriften aussprach - und dafür vor Gericht zitiert wurde. Goethe nannte ihn deswegen "Wunderzeichen seiner Zeit".

Sergio Morabito lässt eine Schauspielerin in Männergewand aus diesen Schriften zitieren und kombiniert das mit der Musik von Mark Andre, einer Musik, die an die Grenze des Verstummens gerät, die die Grenze zum Geräusch virtuos auflöst. Da wird das Schlagzeug zum Streichinstrument, das Saxofon dagegen klanglich zum Schlagzeug. Musik tritt als Fremdkörper entgegen - und passt insofern vorzüglich zu Morabitos Vorhaben, denn letztlich geht es an diesem Abend um das Fremde aus Reuchlins Sicht: die jüdische Überlieferung.

Morabito kleidet das Text-Musikgeschehen behutsam in eine Rahmenhandlung, inszeniert den Gelehrten mit seinen Argumenten als Gutachter in einem Prozess, der von Sicherheitsbeamten bewacht wird, in Uniformen von heute, schließlich geht es bei Reuchlin um das durchaus aktuelle und immer noch nicht überholte Plädoyer für Toleranz.

Die Musik übernimmt dabei die Rolle der fremden Texttraditionen, weshalb der Klarinettist denn auch gekleidet wie ein Rabbiner auftritt. Am Ende sammeln die Polizisten die Noten, sprich: die jüdischen Schriften ein, wie weiland der Papst, obwohl Reuchlin vor Gericht freigesprochen wurde, dem Gelehrten Schweigen auferlegte, ihn mundtot machte. Freilich: Um derlei Anspielungen zu verstehen, sollte man ein wenig Vorwissen mitbringen oder das Programmheft vor der Aufführung lesen.

Wunderzeichen - ein Zeitopernprojekt der Staatsoper Stuttgart
Premiere: 13.11.2007
Aufführungsort: Leonhardskirche Stuttgart
Konzept und Regie: Sergio Morabito