Theologie und Tanz

Glaube in Bewegung

Eine Frau und ein Mann tanzen modernen Tanz auf einer dunklen Bühne.
Tanzen kann eine Sprache sein, die manchmal verständlicher ist als theologische Rede, ist Atemtherapeutin Antje Röckemann überzeugt. © imago/stock&people/drama-berlin.de
Moderation: Kirsten Dietrich · 27.12.2015
Wer seinen Atem spürt, der betet mit dem ganzen Körper. Daher möchte die Atemtherapeutin Antje Röckemann Theologie und Tanz miteinander verbinden. Sie glaubt, tänzerische Bewegung sei "besser verständlich ist als die theologische Rede".
Kirsten Dietrich: Ums Atmen geht es heute im Schwerpunkt in dieser Sendung, und die Auseinandersetzung mit dem Atem ist immer auch eine erste Auseinandersetzung mit dem Körper. Wer seinen Atem spürt, der denkt eben nicht nur nach, sondern denkt – oder betet – mit dem ganzen Körper. Ich möchte mit Ihnen dabei jetzt noch einen Schritt weitergehen: nämlich sozusagen diesen Körper nicht nur denken, sondern auch noch in Bewegung setzen. Ich möchte über den Zusammenhang von Tanzen und Theologie reden, und das mit einer Theologin, die ausgebildete Atemtherapeutin ist und dazu eine leidenschaftliche Tänzerin.
Antje Röckemann ist Gender-Referentin im evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen-Wattenscheid, sie hat schon als Jugendliche leidenschaftlich gern getanzt, ohne dabei Profi zu sein, und sie hat lange nach einem Weg gesucht, diese beiden Dinge zu verbinden: Theologie und Tanz. Obwohl das von ihrer kirchlichen Tradition her gar nicht einfach war, wie sie in dem Gespräch erzählt, das wir vor dieser Sendung aufgezeichnet haben.
Antje Röckemann: Ich komme auch aus einer Familie, wo ... Väterlicherseits kommt die Familie aus Ostwestfalen, das ist, sagen wir, eine sehr fromme Region. Und für meine Großmutter war klar: Tanzen ist Sünde! Und sie wäre beinahe nicht zur Hochzeit ihrer ältesten Tochter gegangen, weil sie befürchtete, dass dort getanzt wird. Also, das ist so ein Teil auch meiner familiären Vergangenheit und religiösen Vorbildung, was das Verhältnis von Tanz und Theologie und Tanz und Kirche betrifft. Und irgendwie dachte ich aber, das kann es ja nicht sein! Ich springe jetzt zu dem, wo ich jetzt heute vielleicht stehe, und wenn ich es ganz kurz auf den Punkt bringen sollte, geht es für mich in der Theologie darum, Antworten zu finden auf die Frage nach Gott und aber auch auf die Frage nach mir selbst, wo bin ich, wer bin ich, wo soll es hingehen, wie kann ich mein Leben gut gestalten. Und eigentlich geht es für mich beim Tanz auch genau darum.
Beim Tanzen beschäftige ich mich mit mir selbst, ich lerne mich gut kennen, habe aber auch ... Also, ich tanze eigentlich immer in Gruppen, ich bin immer auch in Beziehung zu anderen, zu anderen Menschen und muss mich da ja auch ständig fragen: Wie ist da mein Verhältnis zu anderen Menschen, zu dem Raum, in dem ich mich bewege, und muss das ständig durch meinen Körper neu beantworten oder stelle mir die Frage und versuche, wieder eine neue Antwort dazu zu finden. Und das ist für mich durchaus ähnlich der theologischen Suchbewegung, nur mit einem anderen Medium.
Dietrich: Das heißt: Tanz als eine Form von Sprache?
Röckemann: Tanz ist ganz klar eine Sprache und vielleicht auch in diesen Zeiten manchmal eine Sprache, die besser verständlich ist als die theologische Rede.
Dietrich: Gibt es irgendeinen Text oder irgendeinen Auslöser, wo Sie gedacht haben, das passt auch auf einer inhaltlichen Ebene zusammen? Also, es wird dann ja immer gern Miriam erzählt, die Schwester von Mose, die da die Pauke schlagend und tanzend vor dem Volk Israel einherzog. Gab es solche Aha-Erlebnisse oder Aha-Texte?
Röckemann: Also, diese Geschichte kenne ich natürlich und vom Tanz – manchmal mit dem Wort Reigen – wird ja öfter in der Bibel berichtet. Ich bin darauf gekommen, dass Tanz als eine körperliche Ausdrucksform, eine Körpersprache doch ganz eng verbunden ist mit der Bibel, zum Beispiel über diesen Psalmvers: "Du stellst" – also du, Gott – "stellst meine Füße auf weiten Raum." Ich habe, wie viele, das immer eher abstrakt auch verstanden und dann habe ich irgendwann mal gedacht, Moment mal, das ist doch auch eigentlich was ganz Konkretes, da geht es um Füße und ich habe ja auch welche, und um den Raum, auf dem die Füße stehen. Und dann fing ich auf einmal an, die Bibel auch mit ganz anderen Augen zu lesen, und habe gemerkt, dass da ganz viel von Körperausdruck, von Körperteilen die Rede ist. Ich kann das abstrakt deuten und ich kann das aber auch sehr konkret nehmen und dann wirklich mal ausprobieren: Wie stehe ich denn zum Beispiel mit meinen Füßen auf dem Raum? Stehe ich mit den ganzen Füßen da, stehe ich breitbeinig, stehe ich eher eng, habe ich guten Kontakt, fühlt sich das gut an oder schwierig?
Dietrich: Ist man dann schon beim Tanzen oder bei der Körpererfahrung oder was macht man dann?
Tanz als eine Form von Sprache
Röckemann: Das kann schon ein Tanz werden. Es ist vielleicht erst mal die Körpererfahrung und Körperübung. Tanz ist ja eine Ausdrucksform, die wir wie vielleicht jede andere Sprache, jede andere Ausdrucksform auch üben können. Tanz kann aber sehr klein beginnen und kann zum Beispiel durchaus ja auch im Stehen sein, wenn ich mit meinen Füßen einen Tanz mit dem Boden mache.
Dietrich: Wie sieht denn das ganz praktisch aus, wenn Sie tanzen oder wenn man überhaupt so tanzt mit dem Gedanken, das ist jetzt ein spirituelles Erlebnis oder es kann in spirituelle Dimensionen führen? Findet das in einem normalen Tanzstudio statt, gibt es da diesen üblichen wandgroßen Spiegel, vor dem sich alle ständig ihren Körper korrigieren und betrachten und beobachten? Gibt es einen Choreografen? Wie läuft das ab?
Röckemann: Es gibt ja wahrscheinlich so viele Tanzstile, wie es Sprachen gibt, und jede Tanzform hat ihre eigenen Bedingungen. Wenn ich jetzt bei Tanz und Theologie bin, denke ich eher nicht an Ballett oder, sagen wir mal, Tanz im Studio in diesem Sinne, sondern für mich geht es vor allem auch darum, dass ich die Chance habe, in einem geschützten Raum auch Erfahrung mit mir selbst zu machen. Und da ist ein Spiegel nicht unbedingt förderlich. Es ist auch sehr hilfreich, wenn ich meine Augen sogar schließe, damit ich mich nicht so von außen beobachte, sondern wirklich die Chance habe, Erfahrungen mit mir selbst zu machen wie sonst bei der Meditation, aber eben bewegt.
Dietrich: Und braucht das dann eine Anleitung? Also, tanzt man dann nach einer Choreografie, die ja dann auch Freiheiten wieder einschränkt?
Röckemann: Also, eine Choreografie im Sinne, dass es dann auch zu einer Aufführung vielleicht kommen kann, das ist, glaube ich, nicht förderlich. Aber Anleitung, glaube ich, ist eine ganz große Hilfe, vor allem wenn ich noch nicht so viel Erfahrung habe, weil mir Anleitung ja auch einen Rahmen gibt, in dem ich mich bewegen kann. Auch andere spirituelle Wege geben ja bestimmte Übungswege vor oder geben Anregungen, wie ich etwas auch für mich umsetzen kann.
Dietrich: Sie würden sich ja durchaus auch solchen anderen spirituellen Wegen anschließen oder nahefühlen, wenn ich das richtig verstanden habe, nur eben zu sagen, Sie wollen eine, ja, europäisch-christliche Tradition der Körperarbeit begründen. Kann man das so sagen?
Röckemann: Also, ich finde total spannend zu sehen, wie unterschiedlich wir mit dem Körper umgehen können und wie viel verschiedene Traditionen sich da entwickelt haben. Das Yoga ist eine Tradition aus Indien, Qigong, Tai-Chi kommt aus China, es haben sich in der neueren Zeit auch viele Wege der Körperwahrnehmung entwickelt im Westen. Und die Übereinstimmungen sind irgendwie verblüffend, aber eigentlich ja auch gar nicht verblüffend, denn wir haben überall ja den gleichen Körper, der eigentlich nach ganz ähnlichen Regeln ja immer funktioniert. Wir haben nur verschiedene Wege, uns dem anzunähern. Ich glaube, wir brauchen nicht so sehr andere Stile oder andere Bewegungen, aber wir brauchen vielleicht andere Zugänge.
Also, wenn man in Indien vielleicht damit beginnen kann, dass man sich auf den Boden setzt und im Schneidersitz oder gar im Lotussitz meditiert, das würde hier ja gar nicht funktionieren, wir sind das einfach nicht gewöhnt, wir sitzen nicht auf dem Boden, wir sitzen stunden-, tagelang auf den Stühlen. Und dann würde ich Menschen eben auch da abholen und erst mal etwas auf Stühlen machen. Es geht ja langsam und ich kann mit dem arbeiten, was eben gerade da ist. Und das finde ich am Tanz auch so eine ganz besonders schöne Möglichkeit, an der Tanzimprovisation, dass ich nicht ein festes Ziel haben muss, wo die Menschen am Ende ankommen sollen, sondern ich kann wirklich mit dem arbeiten, was da ist. Und jede Tänzerin, jeder Tänzer kann auch das entwickeln und schauen, so, wo stehe ich gerade, was für Bewegungsmöglichkeiten habe ich gerade und wo kann ich vielleicht auch meine Bewegungsspielräume irgendwie weiter erweitern, entwickeln?
Das finde ich total spannend. Vielleicht gibt es da weltweit ganz ähnliche Wege, aber wir müssen einfach immer dann auch schauen, nicht nur was brauchen wir hier in Europa oder im Westen, sondern auch was braucht jetzt die konkrete Gruppe, mit der ich es zu tun habe.
Dietrich: Die normale Kirchengemeinde tut sich wahrscheinlich eher schwer mit dem Tanzen, würde ich denken. Wo ist denn im Alltag, im Gemeindealltag Platz für den Tanz?
Wie Tanzen in den Gottesdienst passt
Röckemann: Also, ich muss sagen, wenn ich jetzt in einen Gottesdienst gehe, dann würde ich auch ja nicht erwarten, dass ich zum Tanz aufgefordert werde. Das ist seit Jahrhunderten nicht üblich. Das kann vielleicht mal geschehen und kann in kleinen Schritten passieren. Tanz geschieht aber viel in Gemeindegruppen und auch in besonderen Angeboten. Ich habe da lange ein bisschen mit gehadert, weil ich selber auch einfach furchtbar gerne tanze. Und habe aber dann merken können, dass zum einen natürlich gar nicht alle diese Leidenschaft für den Tanz teilen. Die Hemmschwelle, das auch auszuprobieren, ist für verschiedene Menschen ja unterschiedlich hoch. Und es braucht auch einen geschützten Raum. Also, wenn ich mich dann anmelde zu einem Seminar, wo ich weiß, da habe ich mit Tanz zu tun, dann weiß ich ja schon, ich lasse mich darauf ein und dann kann ich damit umgehen. Da merke ich, das sind aber Angebote, die auch zunehmen und die ganz gut gelingen, da auch Menschen abzuholen und sie wirklich in die Bewegung zu bringen und da auch Räume zu schaffen, dass ich mich in dieser Weise ausprobieren kann.
Dietrich: Wenn Sie sagen, Tanz ist eine Sprache, in der sich religiöse Erfahrung auch ausdrücken lässt, ist dann eigentlich jeder Tanz eine spirituelle Erfahrung?
Röckemann: Also, ich glaube, jeder Tanz kann zu einer spirituellen Erfahrung werden. Aber das ist jetzt die Frage natürlich, wie wir Spiritualität verstehen. Also, vielleicht antworte ich mit einem kleinen Comic von den "Peanuts", da gibt es eine wunderbare Geschichte, wo dieser Hund mit einem Blatt tanzt, das vom Baum fällt. Es ist ein Tanz aus der Situation. Dieses Blatt bewegt sich und der Hund tanzt mit diesem Blatt und bedankt sich anschließend für diesen gemeinsamen Tanz.
Dietrich: Beim Blatt oder beim Gott oder wem auch immer, der das Blatt fallen ließ?
Röckemann: Also, das ist, glaube ich, jetzt frei für uns zu interpretieren. Und mich hat das sehr gefreut, weil es darauf verweist, dass ich ja in jeder Situation natürlich auch meinen Empfindungen Ausdruck geben kann in einem Tanz. Ich brauche da keine lange Vorbereitung, ich mache es einfach im Hier und Jetzt. Und solche Momente sind aber geschenkte Momente, das ist ja auch etwas, was ich nicht machen kann. Wunderbar ist es aber auch, in einer Gruppe zu tanzen, in einem Kreistanz, das ist etwas, dazu muss ich mich natürlich verabreden, muss mich abstimmen mit den anderen, was ihnen wichtig ist, dass wir einen gemeinsamen Rhythmus haben, miteinander etwas tun. Ich glaube, es gibt beides!
Dietrich: Wie passen Theologie und Tanzen zusammen? Darüber habe ich gesprochen mit der Pfarrerin und Tanzpädagogin Antje Röckemann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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