Theologe über Vandalismus in Kirchen

„Das kann zu psychischer Traumatisierung führen“

07:21 Minuten
Eingeworfene Scheiben der Leipziger Thomaskirche
Mit Pflastersteinen haben Unbekannte in der Silvesternacht rund zwei Dutzend Scheiben der Leipziger Thomaskirche und des angrenzenden Thomashauses eingeworfen. © imago images / epd-bild / Jens Schulze
Jakob Johannes Koch im Gespräch mit Andrea Gerk · 28.01.2020
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Jährlich gibt es über 2.000 Diebstähle und Einbrüche in Kirchen. Der Kulturreferent der Deutschen Bischofskonferenz erkennt darin eine neue Form des Bildersturms. Jakob Koch betrachtet den Vandalismus auch als psychische Gewalt gegen Gläubige.
25 Fenster der Leipziger Thomaskirche wurden in der Silvesternacht eingeschlagen. In der Woche zuvor wurden mehrere Jesuskinder aus den Weihnachtskrippen gestohlen. Und im Jahr davor wurden in diversen Bamberger Kirchen Kruzifixe und Heiligenbilder von der Wand gerissen und beschädigt.
"Seit 2010 liegen die Zahlen für Diebstähle und Einbrüche in Kirchen laut Katholischer Nachrichtenagentur jährlich immer über der 2.000er-Marke. Der bisherige Höchstwert wurde 2015 mit 2.598 verzeichnet. Hinzu kommt ein Dunkelfeld polizeistatistisch nicht erfasster Fälle", schreibt der Kulturreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Jakob Johannes Koch, in einem Artikel für die Herder Korrespondenz. Der Bericht trägt den Titel "Die neuen Formen des Bildersturms".

"Offensichtlich ideologische Motive"

Dazu erklärt Koch im Gespräch, im Laufe der Jahrtausende habe es unterschiedliche Formen des Ikonoklasmus, des Bildersturms, gegeben - aus weltanschaulichen, religiösen, antireligiösen oder auch interreligiösen Motiven. Den Begriff für die aktuelle Zerstörungsserie zu gebrauchen, sei legitim, "weil es eine neue Form von Vandalismen in Kirchen gibt, wo nicht nur blindwütig sakrale Bildwerke zerstört werden, sondern wo ganz gezielt und übereinstimmend Tatmuster zu erkennen sind", sagt Koch.

So berichtet er von enthaupteten Heiligen- und Christus-Statuen, von Kruzifixen, die auf den Boden geworfen und zerstört und einer Christus-Figur, deren Augen mit einem Feuerzeug ausgekohlt wurden. All das deute auf "offensichtlich ideologische Motive" hin. Doch nur selten gebe es direkte Hinweise auf die Täter, etwa wenn Hakenkreuze oder satanische, okkultistische Symbole an die Wände gesprüht würden.
Wenn es um "psychopathische oder irgendwelche religiös-fundamentalistischen Motive" gehe, müssten forensische Gutachter zu Rate gezogen, so Koch - die dann wie im beschriebenen Fall in Bamberg feststellten, "dass hier eine Art übersteigerte religiöse Fixierung zugrunde liegt oder eben auch ein übersteigerter Hass auf alles Religiöse".

Einbruch in einen intimen Raum

Für Koch handelt es sich bei dieser Form des Vandalismus auch um psychische Gewalt gegen Gläubige. Er vergleicht einen Einbruch in die Kirche mit einem Einbruch in die eigene Wohnung, bei dem "nicht unbedingt hohe Sachwerte gestohlen werden, manchmal fehlt nur wenig". Aber alleine das Gefühl, "dass in diesen intimen Raum, in dem ich zuhause bin, fremde Menschen eingedrungen sind, dass sie dort gewütet haben, dass sie persönliche Gegenstände in die Hand genommen haben, vielleicht zerstört haben, in gewisser Weise eben geschändet haben - das alleine ist dann für diese betroffenen Menschen eine Verletzung ihrer persönlichen Integrität."
Übertrage man dies nun auf Kirchenräume, würden Menschen ebenfalls in ihrer Integrität verletzt, denn: Kirchenräume seien über die Jahrhunderte "liturgisch durchwohnte und durchbetete Räume", in denen Menschen "ganz persönliche innere Vollzüge begehen und wo sie natürlich in der Gemeinschaft mit anderen des gleichen Glaubens ihren Kult ausüben".
Es sind also Identifikationsräume, wie Koch erklärt. Wenn jemand in diese gewaltsam eindringe, würden Menschen auch in ihrer Integrität verletzt: "Und das kann dann eben zu einer gravierenden psychischen Traumatisierung führen."

"Es geht um den öffentlichen Frieden"

Koch will aber mit seinem Artikel weder Alarmismus verbreiten noch die Polizei kritisieren, wie er betont. Er verstehe seinen Beitrag eher als Anstoß, sich mit der aktuellen Häufung und den ideologischen Motiven dahinter zu beschäftigen. Er plädiert dafür, solche Vandalismen in Zukunft anders zu ahnden. Sie sollen nicht mehr nur als Sachbeschädigung gelten, sondern unter den Blasphemie-Paragrafen im Strafgesetzbuch (StGB) fallen, wie er in seinem Artikel schreibt:
"Hier amtlicherseits stereotyp unmotivierte 'Sachbeschädigung' festzustellen, ist vielfach unangemessen, zumal die psychischen Folgen bei den betroffenen Gläubigen auch eine Bewertung als Religionsdelikt erlauben: Im viel diskutierten § 166 StGB (vulgo: 'Blasphemie-Paragraf') geht es um nichts weniger als um den öffentlichen Frieden."
Profiler der Polizei müssten genauer auf solche Fälle schauen und dann auch mal mit dem Staatsschutz zusammenarbeiten, fordert Koch.
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