Theologe: Der Überwachungswahn Roms muss schleunigst aufhören

Moderation: Klaus Pokatzky · 02.10.2013
Papst Franziskus gilt längst als Revoluzzer, nun hat er sich die Reform der Kurie, Roms mächtigster Behörde, vorgenommen. Damit er seine Ziele dauerhaft durchsetzen kann, muss er schnellstmöglich auch juristisch greifbare Regelungen festlegen, sagt der katholische Theologe Hermann Häring.
Klaus Pokatzky: "Der Hof ist die Lepra des Papsttums", das hat Papst Franziskus jetzt in seinem jüngsten Interview über den Vatikan gesagt. Gerade trifft sich eine Beratergruppe in Rom und soll darüber nachdenken, wie die Kurie reformiert werden kann. Heute erscheint auch auf Deutsch das Buch mit einem anderen aufsehenerregenden Interview, das der Papst im Sommer seinem Jesuitenorden gegeben hat. Wir haben den katholischen Theologen Hermann Häring nach den revolutionären Tönen aus Rom gefragt; gleich hören wir ihn.

Was im Moment im Vatikan passiert, das klingt eher nach einem Thriller von Dan Brown als nach dem Bild, das die katholische Kirche von sich üblicherweise gibt. Da ist ein Papst ein knappes halbes Jahr im Amt – und er gibt den Revoluzzer, als wäre er eine Figur aus einem Roman: Schwule sollen Barmherzigkeit erfahren, Geschiedene auch. Das erste Mal in ihrer 125-jährigen Geschichte veröffentlicht die Vatikanbank einen Geschäftsbericht, als wäre sie ganz von dieser Welt. Und bis morgen sitzen in Rom acht Kardinäle zusammen, darunter der Münchner Erzbischof Reinhard Marx, und brüten an Plänen für eine Reform der Kurie, also der mächtigen Vatikanbehörden. Wenn das nicht revolutionär ist! Für viele Katholiken klingt das alles zu schön, um wahr zu sein. Hermann Häring ist emeritierter katholischer Theologieprofessor. Guten Tag, Herr Häring!

Hermann Häring: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Herr Häring, wenn Ihnen vor einem Jahr jemand gesagt hätte, dass wir heute, im Oktober 2013, einen solchen Papst hätten, hätten Sie das geglaubt oder als Spinnerei abgetan?

Häring: Nein, wir hätten uns das alle sehr, sehr gewünscht, aber dass es so schnell sich realisiert, das hätte niemand von uns gedacht.

Pokatzky: Genau zu der Beratung der acht Kardinäle hat Papst Franziskus jetzt ausgerechnet der eher links geltenden italienischen Tageszeitung "La Repubblica" ein Interview gegeben, und da hat er härteste Worte für die Kurie als "Höflinge" gefunden. "Die Führer der Kirche waren oft narzisstisch, von Höflingen umschmeichelt und zum Üblen angestachelt. Der Hof ist die Lepra des Papsttums", hat er gesagt. Das klingt nach einer eindeutigen Kriegserklärung an den Vatikan. Ist das klug, ein knappes halbes Jahr nach Amtsantritt?

Häring: Man kann es ja auch umdrehen. Und das Problem bis jetzt war, dass wir jetzt immer sagten: Dieser Papst hat sehr große Worte, aber konkret sind die noch nicht geworden. Er hat noch nicht genau gesagt, was er will. Er hatte noch nicht genau bestimmte Regelungen getroffen. Jetzt aber zeigt sich, dass er doch mit größerer Entschiedenheit als bis jetzt Kritik übt, auch an der Kurie. Er gilt schon in seiner Zeit als Kardinal in Buenos Aires als ein sehr machtbewusster Mensch, als jemand, der weiß, wie man mit Machtfragen umgehen kann, deshalb ist das sehr ernst zu nehmen, und ich vermute, dass er weiß und viel Intuition hat, dass er sich solche Worte inzwischen leisten kann.

Pokatzky: Wie erfolgreich schätzen Sie sein Wirken ein, wenn es um die ja wirklich richtig mächtige Vatikanbehörde geht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kardinäle da das einfach so mit sich machen lassen.

Häring: Ja, man muss schon wissen, … Wenn er genau weiß, was er will, wenn er willensstark ist – und als solcher gilt er –, dann ist er natürlich ein Fürst. Rein staatsrechtlich gesehen ist das purer Absolutismus: Er kann sagen, er kann befehlen, was er will. Wenn er will, sind alle sehr machtlos gegenüber ihm.

Pokatzky: Vor 50 Jahren gab es schon einmal Reformbestrebungen – während des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962 bis 1965. Woran sind diese Bestrebungen gescheitert?

Häring: Die sind steckengeblieben, gescheitert, und genau das ist das Problem. Man hat, ich nenne das jetzt mal spirituell, in der Mentalität, in der Grundhaltung große Reformgedanken gehabt, man hat beste Absichten gehabt, man wollte Menschen zugewandt sein, die Ortskirchen ernst nehmen – aber man hat nicht hinreichend juridische Regelungen getroffen. Man hat gesagt: Wir sagen jetzt, was wir wollen, und wenn wir jetzt nach dem Konzil nach Hause gegangen sind, dann muss die Kurie das umsetzen. Und die hat sich nichts drum geschert. Die ganze Frage ist, ob der Papst, der bis jetzt in der Tat mit einmal ganz anderen Grundhaltungen an die Fragen rangeht als seine Vorgänger, ob er jetzt die Klugheit hat, dafür zu sorgen, dass schnellstmöglich auch juristisch habbare, greifbare Regelungen kommen, sodass die Sache bleibt – denn man darf nicht unterschätzen, dass, sobald er irgendwann mit seinem Amt aufhören muss, durch Rücktritt oder durch Tod, dass dann natürlich die ganze Rückschrittswelle wieder mächtig wird, die sich jetzt wohl oder übel zurückhalten muss.

Pokatzky: Was meinen Sie genau mit juridischen oder juristischen Regelungen, die er jetzt im Vatikan erlassen müsste?

Häring: Man kann viele Vollmachten, Befugnisse Roms dezentralisieren. Es ist ein Unsinn zum Beispiel, dass Rom, die Kurie – was im Augenblick geschieht – deutsche Gesangbücher kontrolliert und jeden Text dann ändern will. Das ist Sache der deutschen Kulturräume. Es ist ein Unsinn, dass Rom klären will, wie die Liturgie in Sri Lanka aussehen muss. Es gibt nichts im Augenblick, was nicht in Rom kontrolliert würde. Es ist ein Überwachungswahn, der schleunigst aufhören muss, und das geht nur, indem man heute zum Beispiel kontinentale Bischofskonferenzen einrichtet, zum einen Zentraleuropa, Lateinamerika, Nordamerika, Zentralafrika, um Beispiele zu nennen. Die müssen mit bestimmten Rechten institutionalisiert werden, so, dass sie so stark sind, dass hinterher keine Kurie mehr kommen kann, um ihnen die Rechte zu nehmen.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur Hermann Häring, emeritierter katholischer Theologieprofessor. Wie Papst Franziskus den Vatikan reformieren will ist unser Thema. Aber, Herr Häring, wenn Sie sagen, die katholische Kirche soll dezentralisieren, damit dem Vatikan als der allmächtigen auch Glaubensbehörde viel von der Macht nehmen – unterscheidet das nicht gerade die katholische Kirche von den reformierten, von den lutherischen Kirchen, die ja so dezentralisiert sind? Würde es dann nicht ans Eingemachte der katholischen Kirche gehen?

Häring: Nur wenn man den Katholizismus als antireformatorisch begreift. Es gibt ja ungeheuer viele Nuancen. Im Übrigen ist das gar nicht so schlimm, wenn man etwas protestantischer wird. Aber nein, das große Modell, nach dem man das ausrichten kann, natürlich mit entsprechender Modifikation, ist die Struktur der alten Kirche im ersten Jahrtausend. Da gab es fünf Patriarchate, und da hat sich der Patriarch von Alexandrien eigentlich nie reinreden lassen in der Gestaltung der Kirche vom Patriarchen von Rom. Das wäre nicht unkatholisch, im Gegenteil, das wäre Rückgang zur ursprünglichen, durch und durch katholischen Kirchenstruktur.

Pokatzky: Für wie realistisch halten Sie es denn, dass in diesem Achter-Kardinalsgremium solche Themen der Dezentralisierung, bei der es ja wirklich um große Macht und Machtverlust dann gehen würde für den Vatikan, dass die da angesprochen werden, und dass der Papst es tatsächlich dann umsetzt?

Häring: Es ist sehr schwer zu sagen. Ich habe meine Zweifel. Punkt eins: Es ist, glaube ich, ziemlich unklar, was da eigentlich reformiert werden soll. Ein bisschen wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt: Man kann ja eigentlich nicht mit einer großen Strukturreform der Kirche anfangen, indem man die Regierungsorgane reformiert. Da muss ja erst klar werden, was der Unterbau ist. Das ist der erste Punkt. Und der zweite ist: Ich habe doch einige Zweifel, ob ausgerechnet Kardinäle, die schon immer als Insider dieses Machtapparats agiert haben und wohl auch jetzt noch agieren, ob die bereit sind zu radikalen Reformen. Ich hätte es besser gefunden, der Papst hätte eine unabhängige Kommission von Fachleuten, von wissenschaftlich versierten Leuten eingesetzt, um sich zunächst mal einen Rapport, ein Urteil, ein Gutachten machen zu lassen, um dann die Frage zu stellen nach innen gegenüber Kardinälen und Bischöfen, was jetzt geschehen muss.

Pokatzky: Was bedeutet das alles und besonders natürlich auch dieser Papst als Person mit seinen revolutionären Ansichten, die er öffentlich vertritt, was bedeutet das für die katholischen Bischöfe in Deutschland, für die katholische Kirche in Deutschland? Und was erwarten Sie von künftigen Bischofsbenennungen bei uns?

Häring: Es gibt Anzeichen dafür, dass bei den künftigen Bischofsbenennungen der Wille und die Absicht der Bistümer selber ernster genommen wird. Bis jetzt war ja das nicht so, das war ein relativ rigides System, in dem man Leute nach römischem Wohlverhalten ausgewählt hat. Boshafterweise sagt man noch dazu: Bei Johannes Paul II. musste er noch ein großer Marienverehrer sein. Ich glaube, die Zeit ist vorbei. Das Zweite: Das Verhalten der Bischöfe … Im Moment ist eine relativ große Verunsicherung unter den Bischöfen zu beobachten. Einerseits wird sehr schnell reagiert – mit einigem Amüsement habe ich gestern Abend noch im Fernsehen gesehen, dass die acht Kardinäle, die vom Papst empfangen wurden oder ihn begrüßt haben, keine goldenen Ketten mit Kreuz mehr tragen, sondern silberne.

Pokatzky: Also die katholische Kirche rüstet modemäßig ab.

Häring: Ja. Also dann würde ich sagen, das ist ganz schön, das will ich nicht lächerlich machen. Aber wenn es dabei bleibt, ist es natürlich oberflächlich. Die ganze Frage ist, ob die Bischöfe bereit sind und willig sind, auch ihre Mentalität zu ändern, also die Menschen ernst zu nehmen, sich zu sagen, nicht, ich habe den anderen den Glauben vorzuschreiben, sondern ich habe zunächst wahrzunehmen, was bei den Leuten lebt, was ihre Probleme, was ihre Fragen sind. Ich glaube, es gibt einige Bischöfe, die das dankbar annehmen und bereit sind, auch so weiterzugehen. Es gibt aber auch andere, die dabei ganz große Schwierigkeiten haben.

Pokatzky: Sagt Hermann Häring, emeritierter katholischer Theologieprofessor, zu den Reformbestrebungen von Papst Franziskus.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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