Themensetzung der Talkshows in der Kritik

Die Sache mit dem Framing

Fotomontage: Der Moderator Frank Plasberg und die Moderatorinnen Anne Will, Sandra Maischberger und Maybrit Illner
Eine einjährige Auszeit für Talkshows bei ARD und ZDF? Die Forderung äußerte der Deutsche Kulturrat. © dpa / picture alliance
Von Nils Markwardt · 10.06.2018
Alarmistische Thesen über Flüchtlinge und Muslime bestimmen das Agenda-Setting der AfD – und der Talkshows von ARD und ZDF. Diese Kritik wurde jüngst unüberhörbar laut. Journalisten müsse klar sein, dass sie Wirklichkeit durch ihre Deutungsmuster mitgestalten, kommentiert Nils Markwardt.
Die Polit-Talks der Öffentlich-Rechtlichen sind eine besonders deutsche Institution. Ähnlich wie bei der Bahn, dem "Tatort" oder Ikea-Besuchen bildet der antizipierte Frust einen Teil des Lustgewinns. Schließlich kommt die Bundesrepublik nirgendwo so zu sich selbst, wie in der kollektiv geteilten Beschwerde.
Der anhaltende Erfolg von Plasberg, Maischberger und Co. ließe sich deshalb dialektisch deuten: Erwartungen und Enttäuschungen sind deckungsgleich geworden. Gab es wieder mal die gleichen Themen, die gleichen Gesichter, die gleichen Debatten, kann man sich im Anschluss gepflegt – oder eben auch ungepflegt – darüber aufregen. Und beim nächsten Mal schaltet man nicht trotzdem, sondern gerade deswegen wieder ein.
Nun scheint jedoch eine Schmerzgrenze in dieser sadomasochistischen Liaison erreicht, zumindest lässt es die ungewöhnlich heftige Kritik vermuten, die diese Woche an der Themensetzung einiger Sendungen geübt wurde. Zum gefühlt einhundertsten Male, so der Vorwurf, folgten die Öffentlich-Rechtlichen mit alarmistischen Thesen über Flüchtlinge und Muslime dem Agenda-Setting der AfD. Vor allem aber würden sie dabei auch das Framing der Rechtspopulisten übernehmen. Die angegriffene "Hart aber Fair"-Redaktion ließ daraufhin verlauten, dass sie mit dem Begriff des Framings "wenig anfangen" könne. Vielmehr versuche man, "das, was Menschen beschäftigt, so darzustellen, wie es ist". Das ist eine, nun ja, erstaunliche Replik. Denn zum einen betrifft das Konzept des Framings einen Kern journalistischer Arbeit. Gemeint ist damit nämlich die Einbettung – oder wörtlich übersetzt: die Rahmung – von Themen in bestimmte Deutungsraster. Etwa durch die Wortwahl oder die Art der Fragestellung.

Zeichen und Symbole bilden die Realität keineswegs nur ab

Zum anderen wissen wir spätestens seit Kant, dass nichts einfach "so ist". Das Ding an sich stellt sich uns nie unvermittelt dar. Vielmehr ist jede Wahrnehmung von Wirklichkeit bereits durch unsere Sinne und unsere Sprache strukturiert. Deshalb gehört es zu den Grundeinsichten der modernen Sprachphilosophie, dass Zeichen und Symbole die Realität keineswegs nur abbilden, sondern sie mitgestalten, ja buchstäblich konstruieren. Dass etwa die Ausgrenzung von Menschen fast immer mit bestimmten Benennungen beginnt, dafür sollte man gerade in Deutschland ein Sensorium haben.

Die Talkshow-Kritiker haben deswegen auch in beiden Punkten recht. Nicht nur sind die Themen Islam und Flüchtlinge im Vergleich zu anderen – etwa: soziale Gerechtigkeit, Pflege oder Umweltschutz – in den Sendungen extrem überrepräsentiert. Auch die Frames kommen oft in AfD-Manier daher. Wer wie "Maischberger" den Islam schon in der Frage aus dem "wir" ausschließt, spielt das Spiel der Rechten.

Desintegration nicht nur beschwören

Dabei hatte der amerikanische Linguist George Lakoff, einer der führenden Theoretiker des Framings, bereits in seinem 2004 erschienenen Buch "Don't Think of an Elephant – Know your Values and Frame the Debate" vorgeschlagen, wie man es anders machen kann. Anstatt rechter Rhetorik hinterherzulaufen gelte es alternative Bezugssysteme und Programme zu formulieren. Das heißt: Man könnte bei Plasberg und Co. tatsächlich auch mal über Integration sprechen – und nicht nur die Desintegration beschwören.

Natürlich darf und soll es dabei auch kontrovers zugehen. Schließlich ist eine Gesellschaft, so formulierte es einmal Peter Sloterdijk, "nichts anderes als eine von medial induzierten Stress-Themen in Schwingung versetzte Sorgengemeinschaft". Sprich: Es ist nicht zuletzt der Streit, der eine Demokratie zusammenhält. Aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass dieser profund und fair geführt wird – und nicht den Denkmustern des rechten Ressentiments folgt.

Nachdem der ARD-Talkshow "Hart aber Fair" am Montag unter der Überschrift "Flüchtlinge und Kriminalität" über die Frage diskutierte, ob Asylsuchende aus "archaischen Gesellschaften" überhaupt noch integriert werden können, regte sich vergangene Woche in den sozialen Netzwerken ungewohnt heftiger Protest gegen die öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows. Der sich auch nicht beruhigte, als kurz darauf "Maischberger" ebenfalls in der ARD mit der Frage nachlegte "Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?" Für die Kritiker war klar: Hier werden rechtspopulistische Weltsichten und Deutungen unkritisch übernomme

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