Theatralische Vergangenheitserkundung

Von Martina Nix |
Seit November 2007 findet an der Schaubühne in Berlin jeden Monat eine Premiere eines Kurzdramas statt. Unter dem Titel "Deutschlandsaga" geben Nachwuchsautoren in 20-minütigen Minidramen die vergangenen sechs Jahrzehnte deutscher Vergangenheit wider. Gespielt wird mit einem festen Schauspielerensemble und zwei festen Regisseuren: Jan-Christoph Gockel und Robert Borgmann.
Robert Borgmann: "Zu den meisten Proben geh ich mit einer relativ großen Angst hin, weil ich eigentlich immer denke, ich kann das gar nicht. Ich kann mich doch nicht irgendwie hinstellen und einem Schauspieler erzählen, dass das richtig ist, was ich sage oder das, was ich irgendwie mir ausgedacht habe."

Diese vorherigen Zweifel merkt man dem großen und äußerst schlanken Jungregisseur nicht an. Gelassen steht Robert Borgmann in schwarzen engen Jeans im Studio der Berliner Schaubühne. Er trägt ein kurzärmliges, cremefarbenes T-Shirt, darüber eine graue Weste.

In ruhigem Ton, aber wild wie ein Dirigent mit den Händen gestikulierend erklärt er jetzt der Schauspielerin die Szene. Er probt einen Teil der "Deutschlandsaga", die die Geschichte der jüngeren Bundesrepublik erzählen soll.

Robert Borgmann: "Eigentlich einem Land, mit dem ich gar nichts verbinde oder kaum was, oder nur aus Erzählungen, für mich aus dem Bauch gar nichts, null. Also wenn dann überhaupt nur DDR aus Familienerinnerungen."

Die Familienerinnerungen beziehen sich vor allem auf seine Großeltern in Erfurt. Bei diesen ist der 27-Jährige größtenteils aufgewachsen, weil seine Mutter als Leichtathletin viel unterwegs war. Auch er betrieb neun Jahre lang intensiven Sport, erst auf einer Sportschule, später dann auf einem Sportgymnasium. Von einer Sportkarriere hat er in Erfurt aber nicht geträumt.

"Dass ist für mich absolut klar gewesen, wenn ich mein Zeugnis habe, bin ich hier weg und zwar so weit wie es in dem Fall irgendwie geht, mit dem Geld, was ich angespart hatte, kopflos einfach irgendwohin, bloß einfach weg."

So geht er im Jahr 2000 nach London und studiert dort Kunst. Ein Jahr später schreibt er sich für Philosophie an der Kölner Universität ein. Dort sieht er einen Aushang, in dem steht, dass ein Dramaturgieassistent am Kölner Theater gesucht wird.

"Und dann bin ich da eigentlich hängen geblieben und fand das eigentlich ganz schön, also ein schöner Ort erstmal, an dem Menschen zusammenkommen, die was zu erzählen haben, ganz simpel, die einem im besten Fall auch zuhören und sich für dich interessieren."

Nach zwei Jahren reicht ihm die Assistenzarbeit. Seine Freundin will nach Berlin und so bewirbt er sich hier an der Ernst Busch Schule für das Fach Regie. Er wird gleich im ersten Anlauf angenommen. An der Schule, die für ihre harten Unterrichtsmethoden bekannt ist, zahlt sich sein kämpferischer Sportsgeist aus.

"Ich habe das in der Tat sehr geschätzt da zu sein, weil man bestimmte Formen von sehr konsequentem Widerstand bekommt. Was sehr prägend ist für jede Form von künstlerischer Entwicklung."

Er inszeniert während des Studiums am Studio-Theater Bat unter anderem "Was ihr wollt", das 2005 für den Friedrich Luft Preis nominiert wird. Das Stück "Die lustigen Nibelungen/Wolken.Heim" erhält viele Gastspieleinladungen und wird hoch gelobt. Und so erhält er nach dem Studium 2007 genügend Theaterangebote. Mit seinen Inszenierungen will er vor allem die Zuschauer wachrütteln, zum Denken anregen, Fragen stellen ohne die Antworten vorzugeben.

"Was mich interessiert, ist grundsätzlich so ein Porträt einer eher verschütteten Form von Jugend, die sich selber und von der allgemeinen Meinung an den Stadtrand definiert wird. Das finde ich einen spannenden Moment, nicht nur, was diese Jugendkultur anbelangt - Bewegungen innerhalb einer Gesellschaft. Zu gucken, dass man denen 'ne Möglichkeit gibt zu sprechen. Strukturen sieht, die wesentlich sind für das Leben von Jugendlichen."

Deshalb inszeniert er Ende 2007 am Deutschen Theater den Roman "Weine nicht mein Schatz" von André Pilz über das Leben des Skinheads Rico Steinmann.

Die Schauspieler tragen Springerstiefel, kurz geschorene Haare und provozieren mit rechten Sprüchen. Sie schlagen sich auf der Bühne, grölen und erzählen, wie sie Fußballstadien aufmischen. Da wird nicht nur - wie im echten Leben - massenweise Bier getrunken. Es wird auch über Rico gegossen, weil der sich - ausgerechnet - in eine Amerikanerin mexikanischer Abstammung verliebt.

"Ich war drei, vier Mal davor, das Buch in den Mülleimer zu schmeißen. Dieses Gefühl, was das ausgelöst hat, fand ich sehr spannend. Und wir schaffen das da teilweise in den Vorstellungen, dieses Gefühl, das ich hatte beim ersten Lesen, auch auf die Bühne zu transportieren. Und wenn so was klappt, dann hat so ein Übersetzungsvorgang von Text zu Theater auf eine gute Art und Weise stattgefunden."