Theaterstück "speculative bitches" am HAU

Posen auf Plateauschuhen

04:53 Minuten
Drei Frauen hocken Rücken an Rücken auf einer Bühne, pink angestrahlt.
Lasziv rekeln, fauchen, posen: die "Bitches" in der Performance von Regisseurin Nuray Demir. © Dorothea Tuch / HAU
Eine Rezension von Elisabeth Nehring · 18.04.2019
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Als Widerstand gegen das Vergessen von mythischen und historischen Frauenfiguren konzipiert Regisseurin Nuray Demir ihre Performance "speculative bitches" im HAU in Berlin. Leider gelingt es nicht, Frauenbilder jenseits weiblicher Stereotype entstehen zu lassen.
"Mia, Mia, Mia - Maja, Maja, Maja - Fatime. Fatime. Fatime." Anrufung und Anbetung. Aufforderung und Aussprache.
Reale und religiöse Frauengestalten, prominente Göttinnen verschiedener Mythologien oder Unbekannte, die dem Vergessen entrissen werden sollen – sie alle gehören in das "feministisch-performative Archiv", das die Regisseurin Nuray Demir im "Hebbel am Ufer 3" entstehen lassen möchte.
In diesem Archiv, zugleich ein angekündigter "Raum der Versammlung", haben wir zumeist weiblichen Zuschauerinnen uns zu Beginn der Performance um eine Zeltkonstruktion herum niedergelassen. An den Reihen der Sitzenden defilieren drei jungen Darstellerinnen auf mächtigen Plateauschuhen und in weißen Overalls vorbei – demonstrativ gelassen und mit der Ruhe gesättigter Raubkatzen.
"Sie nannten uns wild, grausam, schonungslos und gefährlich. Wir sprechen die Wahrheit und die Wahrheit ist grausam, schonungslos und gefährlich. Unsere Haut ist pfirsichweich. Unser Biss ist tödlich. Wir rufen all diejenigen, deren Körper von Schlangenhaut bedeckt ist, deren Bäuche so rund wie Globusse sind."

Die ungewöhnliche Frauenfigur Baubo

Ein Bauch so rund wie ein Globus – diejenige, auf die die drei amazonenhaften Grazien hier anspielen, ist Baubo. In der griechischen Mythologie ist Baubo die freche Begleitung der trauernden Göttin Demeter. Zur Aufheiterung überhäuft Baubo die Demeter mit Scherzen – wozu auch gehört, dass sie immer mal wieder ihre entblößte Vulva präsentiert. Und so ist Baubo in allen Darstellungen nicht nur die Frauenfigur mit einem runden, ausladenden Bauch, sondern auch die mit den weit gespreizten Schenkeln, der Hand zwischen den Beinen und einem schallenden Lachen im Gesicht.
Als Widerstand gegen das schnelle Vergessen gerade solcher provokanten Frauenfiguren konzipiert Regisseurin Nuray Demir ihre Performance. Göttinnen und menschliche Heldinnen treffen hier aufeinander, in choreografischen Reinkarnationen sollen neue Mythen erschaffen werden – abseits jener weiblichen Stereotype, die der männliche Blick über Jahrhunderte erzeugt hat.
Drei Schauspielerinnen rekeln sich auf der Bühne
Gut aussehen - scheint auch für die "speculative bitches" ein Muss.© Dorothea Tuch / HAU
Doch was Nuray Demir dazu choreografisch einfällt, ist äußerst dünn: Ihre drei gut aussehenden Performerinnen liegen lasziv hingegossen auf dem Boden, schieben sich von einer Pobacke auf die andere, gleiten von einer Pose in die nächste, öffnen gelegentlich den Mund zu einem katzengleichen Fauchen. Mit ihren herausfordernden Blicken, den kurz geöffneten Beinen und den Händen im Schritt wollen sie – auch ohne ausladende Bäuche – an die beschworene Baubo gemahnen, reproduzieren allerdings nur popkulturelle Klischees einer vermeintlich starken Weiblichkeit, die auch 2019 noch vor allem eines, nämlich gut aussehen muss.

Naive Texte und popkulturelle Klischees

Und dann sind da noch die gut gemeinten, aber eher naiven Texte: "Solidarität bedeutet für uns nicht, dass unser Schmerz der gleiche Schmerz ist, oder dass unser Kampf der gleiche Kampf ist, oder dass unsere Hoffnung auf die gleiche Zukunft gerichtet ist. Solidarität bedeutet für uns Engagement und Arbeit. Wir erkennen, dass wir nicht die gleichen Gefühle oder das gleiche Leben oder die gleichen Körper haben – uns aber einen gemeinsamen Raum teilen."
Auch wenn zum Schluss Tee und ordentlich durchgekneteter Marzipanteig zur Verbrü- oder besser Verschwesterung herumgereicht wird – diese "speculative bitches" können nicht überzeugen. Denn sie gewinnen den vergessenen Heldinnen der Vorzeit keine adäquaten neuen Frauenbilder ab. "The bitches are present" heißt es vielversprechend im Programm. Daraus wurde leider nichts: Real bitches were not present.
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