Theaterstück "Hereroland" in Hamburg

Gemeinsam in die Zukunft blicken

05:40 Minuten
Ein weißer und ein schwarzer Mann vor einem historischen Schwarz-Weiß-Foto.
In dem Theaterstück "Hereroland – Eine deutsch-namibische Geschichte" lernen die Zuschauer unterschiedliche Erfahrungswelten kennen. © Thalia/Armin Smailovic
Von Axel Schröder · 10.01.2020
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Aus verschiedenen Perspektiven: David Ndjavera aus Namibia und sein deutscher Regiekollege Gernot Grünewald erzählen am Thalia Theater den Völkermord an den Herero und Nama – und fragen: Wie können zwei Gesellschaften wieder nach vorne schauen?
Der ganze Saal ist eine Bühne: "Hereroland" ist ein begehbares Theaterstück, eine deutsch-namibische Geschichte. Mitten im Raum stehen Schauspielerinnen und Schauspieler aus beiden Ländern im Kreis. Am Rand ein originalgetreu nachgebautes Kindergartenzimmer aus dem afrikanischen Land, daneben eine aus Weiden geflochtene Hütte, und auch die weißen Farmer haben ihren Platz.
Konzipiert haben das Stück David Ndjavera aus Namibia und sein deutscher Kollege Gernot Grünewald. Die unterschiedlichen Orte der Inszenierung sind für ihn Abbild der unterschiedlichen Narrative über den Völkermord an den Herero und Nama und seine Folgen.
"Es gibt natürlich eine Wahrheit, an die ich glaube, eine historische Wahrheit", sagt Grünewald. "Die wird aber sehr unterschiedlich erzählt. Und je nachdem, mit wem ich spreche, welche Perspektive ich einnehme, kann ich auch einem deutschen Farmer in Namibia – auch wenn der, sag ich mal, rechtskonservativ ist – in gewisser Weise folgen in seiner Argumentation, warum er aber so viel Land braucht, um seine Rinder durchzubringen. Und ich habe die Hoffnung, die Utopie für diesen Abend, dass man da nicht eindeutig rausgeht – eindeutig schuldbeladen, eindeutig hoffnungsfroh, wie auch immer -, sondern weil ich einen jeweils eigenen Parcours habe für jeden Zuschauer, man jeweils verschieden da rausgehen kann, weil man verschiedene Erfahrungswelten betreten hat."

Von sogenannten "Schutztruppen" erschossen

Die Zuschauer werden in Gruppen aufgeteilt. Niemand erlebt alle Stationen des Parcours. Nicht jeder bekommt einen Einblick in die Erfahrungswelten deutscher Farmer oder in die Stammesmythen der ermordeten Herero und Nama. Schätzungen gehen von bis zu 70.000 bis 100.000 Herero und Nama aus, die von deutschen sogenannten "Schutztruppen" erschossen wurden oder verdursteten.
Deutsche Soldaten hatten bei diesem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts die Menschen in die weite Omaheke*-Wüste getrieben und danach alle Wasserlöcher mit ihren Kanonen, Gewehren und Bajonetten abgeriegelt. Noch heute gehören die damals beschlagnahmten Ländereien weißen Farmern.
Die Familie von Grünewalds Regie-Kollege David Ndjavera konnte vor dem Genozid noch rechtzeitig fliehen: "Als direkter Nachfahre bin verpflichtet, mich damit zu beschäftigen. Meine Urgroßmutter war fünf Jahre alt, als ihre Familie 1903 aus Namibia nach Botswana geflohen ist."

"Komme hier nicht mit dem erhobenen Zeigfinger her"

Die Geschichte sei aber kein Grund, sich noch heute voller Misstrauen zu begegnen, betont David Ndjavera: "Ich komme hier nicht mit dem erhobenen Zeigfinger her und sage: 'Dieses und Jenes ist passiert, und es betrifft mich noch immer!' Ich komme mit einer Bitte: Erstens bin ich ein Mensch, zweitens ein Künstler, und ich habe keinen Platz in der Welt. Diesen Platz, diesen Raum haben sich andere genommen. Und mein Ziel ist, deren Herz und Kopf zu erreichen. Vielleicht kommt es dann ja zu einem Nachdenken darüber, wie sich das Land mit den anderen Menschen in Namibia teilen lässt."
Und um diese weißen Farmer zu erreichen, sei es eine gute Idee, das "Hereroland" auch im namibischen Nationaltheater in Windhoek aufzuführen. Ndjaveras Teil der Inszenierung liefert die Geschichtsperspektive der Herero, lässt die alten, über Jahrhunderte tradierten Mythen dieser Volksgruppe lebendig werden.
Gernot Grünewalds Part richtet den Blick dagegen auf das Dokumentarische. Mit einem klaren Ziel: "Eigentlich geht es darum: Wie können wir jetzt, in der jetzigen Weltsituation miteinander einen Weg finden, in die Zukunft zu gucken. Aber der Weg muss immer darin münden, zu sagen: Was tun wir jetzt damit, also in diesem konkreten Fall zwei Gesellschaften, die namibische oder herero-namibische und die deutsche, um jetzt gemeinsam diese Probleme zu lösen und nicht in Schuldzuweisungen, Vorwürfen oder Schuldgefühlen festzukleben?"

"Afrika ist unser Nachbar"

Dass die Lessing-Tage auch in diesem Jahr den Blick unter anderem nach Afrika richten, sei nur folgerichtig, sagt auch Thalia-Intendant Joachim Lux:
"Afrika ist unser Nachbar. Seit es die EU gibt. Und solange es sie gibt, ist der nächste ausländische Staat, die Hauptstadt, nicht mehr Amsterdam oder Kopenhagen, sondern wir müssen uns über Casablanca, Tanger und Kairo unterhalten. Denn das sind die wahren Grenzen der EU, zu der wir gehören. Und insofern geht kein Weg an Afrika vorbei!"

Hereroland. Eine deutsch-namibische Geschichte
Thalia Theater HamburgRegie: David Ndjavera und Gernot Grünewald

*Wir haben einen Schreibfehler korrigiert.
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