Theaterfestival in Neuss

Shakespeare – ein globaler Dauerbrenner

Das Globe Theater in Neuss (Nordrhein-Westfalen) ist Austragungsort des jährlichen Shakespeare-Festivals.
Das Globe Theater in Neuss (Nordrhein-Westfalen) ist Austragungsort des jährlichen Shakespeare-Festivals. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Ulrike Gondorf · 16.06.2015
Zum 25. Mal findet in Neuss das Shakespearefestival statt und zeigt Inszenierungen des Dramatikers aus aller Welt – und erstmals auch eine Eigenproduktion. Die entpuppt sich aber als zähe Klamotte mit vorhersehbaren Gags. Überraschender sind da Produktionen aus Rio und aus Bristol.
Vor 25 Jahren mag das wie ein Wagnis ausgesehen haben – ein ganzes Festival mit Shakespeare-Aufführungen aus aller Welt, überwiegend in Originalsprache. Inzwischen hat er Kultstatus, der Shakespearesommer im nachgebauten Globe-Theater auf der Neusser Rennbahn. Die sommerliche Festivalatmosphäre mit Bänken unter den alten Bäumen, Picknickkörben, Einführungen und Publikumsgesprächen trägt dazu bei.
Aber vor allem ist das kleine Neusser Globe mit etwa 400 Plätzen eine ideale Bühne für temperamentvolles Vollbluttheater, das auf die Wandlungsfähigkeit, Improvisationskunst und Spielfreude der internationalen Ensembles setzt. Im Rheinland hat sich das Shakespearefestival fest etabliert und zieht alljährlich begeisterungsfähige und treue Besucher vom Niederrhein bis in den Köln-Bonner-Raum.
Die 25. Saison wurde mit einem besonderen Akzent gefeiert: Zum ersten Mal konnte das Shakespearefestival, das sonst immer "nur" Gastgeber ist für die Ensembles aus aller Welt, selbst einen Produktionsauftrag vergeben. Der Regisseur Dan Jemmett, der am Theatre Vidy in Lausanne und an den Bouffes du Nord mit Peter Brook zusammengearbeitet hat, inszenierte die düstere Komödie "Maß für Maß" in einer Kammerversion mit vier Darstellern.
Der Abend wird –so hofft man – unter der Flagge "Shakespearefestival im Neusser Globe" jetzt in die internationale Festivalszene hinaussegeln und die Marke bekannt machen. Und sicher haben die Gastgeber auch bessere Karten in ihren vielen Netzwerken, wenn sie selbst etwas zum verfügbaren Repertoire beisteuern.
Schauspieler in Särgen
Jemmett wählt einen sehr überraschenden Ansatz. Wenn es hell wird auf der offenen Bühne, sieht man vor einem kleinen roten Theatervorhang drei aufrecht stehende schwarze Särge. Davor wuselt ein zerzauster und zunehmend alkoholisierter Mann herum. Immer wieder schlägt er bei Shakespeare nach, wie die Geschichte vom äußerlich sittenstrengen und innerlich verderbten Regenten Antonio weitergeht, der von der schönen Isabella eine Liebesnacht fordert als Preis für das Leben ihres verurteilten Bruders.
Diese handelnden Personen erweckt der Spielmacher aus ihren Särgen, und wenn sie am Ende einer Szene wieder zu toten Körpern erschlaffen, stopft er sie dahin zurück.
Das Ganze wird eine makabre Klamotte mit sehr vorhersehbaren Gags: Natürlich sind die jeweils benötigten Spieler immer in einem anderen Sarg, als der Regisseur (oder Bestattungsunternehmer?) sie vermutet. Natürlich werden sie immer schwerer, kippen wie nasse Säcke im ungeeigneten Moment um und müssen mit viel Slapstick-Aufwand verstaut werden. Aber irgendwie kommt die Geschichte nicht in Fahrt.
Vielleicht liegt es daran, dass die Zombies so energielos agieren müssen, vielleicht auch daran, dass die drei Schauspieler sich mit minimalen Kostümwechseln zwar äußerlich in viele Figuren verwandeln, aber keine in ihren inneren Beweggründen erforschen. Es dauert nur anderthalb Stunden, aber es zieht sich. Schade, denn Jemmett ist mit brillanten Produktion in Neuss in bester Erinnerung, aber dieses "Maß für Maß" gehört nicht dazu.
Fulminanter Auftakt mit "Romeo und Julia"
Mehr Glück hatte das Festival im Jubiläumsjahr mit anderen Produktionen: der Auftakt mit "Romeo und Julia" von der jungen Multi-Kulti-Truppe der "Tobacco Factory" aus Bristol war fulminant. Die 28-jährige Regisseurin Polina Kalinina, deren Namen man sich merken sollte, hat das mit Verve inszeniert, in rasantem Tempo und mit energiegeladenen Kampfszenen. Und dabei kam einem die ausweglose Tragödie in ihrer ganzen Radikalität bewegend nahe. Von atemloser Spannung war auch ein "Macbeth" der Piper Productions aus London.
Das Denkmal von William Shakespeare, aufgenommen im Park an der Ilm in Weimar (Thüringen). 
Auch 450 Jahre nach seiner Geburt beschäftigen sich noch etliche Theatergruppen mit Shakespeares Werk.© picture alliance / dpa
Eine einmalige Chance bot "Trans Hamlet Formation", eine Hamlet-Variation mit fünf kraftvollen Schauspielern aus Rio de Janeiro. Sie kontrastierten Szenen aus "Hamlet" mit Geschichten von Gewalt und Kriminalität aus den Favelas. Zugleich waren sie immer die Schauspieltruppe, die untereinander diskutiert, warum man in diesen schwierigen Verhältnissen ausgerechnet die Geschichte von Hamlet spielen muss. Theater, das klarmachen konnte, dass es mitten im Leben sitzt, und mit dem Humor, dem akrobatischem Können und der Leidenschaft der Darsteller zugleich einen Einblick in eine ganz andere Theaterkultur gab.
Blick auf außereuropäische Theaterformen
Gerade darin besteht vielleicht der wichtigste Qualität des Neusser Shakespearefestivals: Immer wieder öffnen sich Fenster auf außereuropäische Theaterformen, die man sonst kaum zu sehen bekommt. In den letzten Jahren gab es unvergessliche Eindrücke aus Korea, aus Zimbabwe, aus Afghanistan.
Als Welt-Literat im wahrsten Sinne hat Shakespeare immer wieder triumphiert im kleinen Globe auf der Neusser Rennbahn. Bis 27. Juni geht es noch weiter in dieser Jubiläumsspielzeit, die 34 Vorstellungen von insgesamt 11 Produktionen bringt. Und im nächsten Jahr steht dann schon wieder ein besonderes Gedenken an: Shakespeares 400. Todestag.

Info: Das Shakespeare-Festival im Globe Neuss findet noch bis zum 27. Juni 2015 statt.

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