Theater soll hinterfragen, aber unterhaltsam

Von Martina Nix · 10.11.2006
Der Nachwuchsregisseur Andre Rössler erfreut mit Stücken, die einfach, klar und spielerisch inszeniert sind. "Mamma Medea" von Tom Lanoye legte der 29-Jährige am Deutschen Theater in Berlin als Abschlussarbeit vor. Danach geht Rössler an das Schauspielhaus Graz, um dort "Sissi" auf die Bühne zu bringen.
"Habt Ihr alle Eure Kisten ... Hallo hört mir überhaupt jemand zu? Ne noch nicht so richtig"

"Wenn ich mit Leuten spreche, die nicht so viel mit dem Theater zu tun haben, (mich nach meiner Arbeit fragen), das erste was dann kommt ist: Die machen dann nicht, was Du sagst oder was."

Andre Rössler probt mit Schauspielern an seiner Diplominszenierung "Mamma Medea" in der Box des Deutschen Theaters. Der große, schlanke Regie-Student sitzt in Jeans und hellbraunem Cordhemd im Zuschauerraum und ruft Anweisungen auf die Bühne.

Mit seinen blaugrauen Augen blickt er auf das Bühnenbild, ein 30 Quadratmeter großer Raum, in dem ringsherum an den Wänden 900 bunte Getränkekisten aufgetürmt sind. In dieser sparsamen Kulisse - lässt er den alten Medea-Mythos auferstehen.

"Man versucht nachzuempfinden, wie es damals gewesen sein könnte, ist ja total absurder Vorgang, also 2200 Jahre, man kann nur in Ansätzen vielleicht das Gefühl dafür kriegen, was es damals hieß, da zu leben."

Deswegen erzählt er die Geschichte, wie die Argonauten das goldene Vlies stehlen, und mit Medea heimfahren, stringent und fast ohne Requisiten in einer modernen Stückfassung. So entsteht ein unverkrampfter, frischer Blick auf die Tragödie des Euripides.

"Das Theater als solches hat verdammt noch mal die Aufgabe, Dinge zu hinterfragen. Das sicherlich auf unterhaltsame Art, denn – wie Brecht uns schon gelehrt hat - das erste was wir tun, tun wir zur Unterhaltung, zu unserem Vergnügen."

Der 29-jährige Andre Rössler wächst in Triptis, einer kleinen Gemeinde in Thüringen auf und erlebt dort die Wende als Elfjähriger. Weil er aus einer naturwissenschaftlichen Familie kommt, studiert er zunächst Chemie in Jena. Nach dem Vordiplom allerdings erwacht seine alte Leidenschaft zum Theater. Er spielt wieder - wie auch schon zur Gymnasialzeit - Jugendtheater und beschließt sich nun doch noch für Schauspiel und Regie in Leipzig und Berlin zu bewerben. Für beide Studiengänge erhält er 2001 eine Zusage.

"Man wird dann so ganz pragmatisch, wenn solche Entscheidungen anstehen, versucht die Vorteile und Nachteile abzuwägen, was eigentlich totaler Blödsinn ist. Und ich habe mich dann für Regie entschieden, weil ich immer gedacht habe, mein Gott, spielen kann man immer mal da und hier. Regie war einfach die größere Herausforderung auf der einen Seite, und aber auch das größere Interesse, was das Neues beherbergt, weil man das noch nie hatte."

Seine Entscheidung hat er bis heute nicht bereut. Im Gegenteil. Wenn er so dasitzt, energiegeladen, als sei er auf dem Sprung, und über sein Studium spricht, merkt man schnell, wie ernst es ihm mit seiner Arbeit ist.

"Das hat auch mit meiner ostdeutschen Herkunft zu tun, dass ich schon den Anspruch habe, zu sagen, Regie ist Haltung zur Welt, Regie ist jetzt für mich nicht nur eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem Text. Es ist für mich sehr stark eine weltliche Auseinandersetzung mit dem, was mich umgibt, mit dem was auf der Welt passiert und was es für Geschichten zu erzählen gilt aus meiner Perspektive oder aus der Perspektive meiner Generation."

Während seines Studiums an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch inszeniert er bereits am Berliner bat-Theater, am Staatstheater Stuttgart und 2004 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters - Joschka Fischers Biografie "Mein langer Lauf zu mir selbst". Hier lässt er den Schauspieler während des Monologs im Anzug auf der Stelle laufen, der bricht dann am Ende vor gespielter Erschöpfung völlig in sich zusammen.

Weil er sich bei diesen, seinen ersten Inszenierungen ganz auf seine eigenen Bilder und Einfälle verlassen will, geht er während seines Regiestudiums in Berlin kaum ins Theater.

"Das Problem ist, wenn ich eine Sache gesehen habe und sie dann einfach für eine Inszenierung in einer anderen Form verwende, hat sie längst nicht in mir selbst den Schaffungsprozess ausgelöst, den dieselbe Sache hat, wenn ich sie mir selber erarbeite."

Auch wenn er eigentlich in seinem jugendlichen Pathos mit seinen Inszenierungen provozieren will, ist ihm gerade das bisher nicht gelungen. In einer Zeit, in der es kaum mehr Tabus im Theater gibt, ist es erfrischend, Stücke zu sehen, die einfach, klar und spielerisch inszeniert sind. Genau damit besticht Andre Rössler sein Publikum.

"Theater ist immer dann gut, wenn sich drei Stunden anfühlen wie eine Stunde, dann hat irgendwas funktioniert."