Theater

Molière auf Schwäbisch

Während der Vorstellung im kleinen Asperger Theater sind offenbar alle Gäste des Schwäbischen mächtig.
Während der Vorstellung im kleinen Asperger Theater sind offenbar alle Gäste des Schwäbischen mächtig. © Klaus Muth
Von Uschi Götz · 11.09.2014
Mit seiner Komödie über den Betrüger "Tartuffe" provozierte der französische Dramatiker Molière vor mehr als 300 Jahren einen Skandal. Jetzt gibt es den Stoff auch auf Schwäbisch - und das sorgt für Lachtränen.
Eine junge Frau schlägt ihrem Begleiter völlig enthemmt auf den Oberschenkel. Auf der Bühne geht es zur Sache:
"Und Du, Du schlupfsch da nonder! Onder die Bank? Jetzt übetreibs et Frau um was i die bitt."
Hausherr Eugen Auberle, in feiner schwarzer Hose und weißem Hemd, kriecht unter eine Bank. Seine Frau Emile reicht ihm zwei Kissen hinterher. Emile wird ihrem Mann gleich beweisen, welch geistig Kind der scheinheilige Herr Tartüff ist. Sie wird sich mit dem Geistlichen auf ein Techtelmechtel einlassen:
"Gut, i mach mit, i kann es mr et verklemme."
"Des könnt di schlauche, vielleicht solltescht vorher deine Tropfe nemma."
"Pfeifedeckel! I bin gsund und monter."
Immer wieder Szenenapplaus im kleinen Asperger Theater Glasperlenspiel. Anscheinend sind alle rund 50 Gäste des Schwäbischen mächtig. Jedenfalls muss keiner auf die ausgelegte Übersetzung zurückgreifen. Ein älterer Herr hält seine Brille in der Hand, tupft sich die Lachtränen ab.
Zwei Stunden bis zu Tartüffs Verhaftung
Mittlerweile macht sich Tartüff über das Emile her. Gar nicht so einfach in seinem grauen, bis zum Boden reichenden pastoralen Gewand. Emiles Mann unter der Bank kann nur erahnen, was sich über ihm abspielt:
"Öl Gnädigste, das gießen sie bei mir ins Feuer nei. Sie lassed mi jetzt wieder des allerschönste hoffa, des muss an Wink direkt vom Hemmel sei. Von unserer Wünsch bleibt am Ende koiner mehr offen."
Das Publikum ist jetzt ganz still geworden, der Beleuchter richtet einen Spot auf Hausherr Eberle. Der kriecht unter der Bank hervor und steht genau vor Tartüff:
"Hebet me, i vergess me! I schnapp nom… Emile verzeih mir…i war ja riegeldomm. Den Saukerle hat Höll ausgespuckt."
Nach fast zwei Stunden wird der scheinheilige Tartüff verhaftet und muss auf den Hohenasperg, eine historische Gefängnisfestung, die vom Theater aus fast zu sehen ist.
"Des isch an grond zum Feiera. Karl, gang na und hol a Fläschle Wein. Heit darfs oiner von de besser sei."
"Ich sagte gerade zu meinem Mann, also schauspielerisch, für Amateure, eine ganz großartige Leistung. Wie das so raus gearbeitet ist, das sind ja Welten, die da auseinanderklaffen, ich finde das großartig dargestellt."
Amüsiertes Publikum
Schmunzelnd verlässt die etwa 60 Jahre alte vornehm gekleidete Rheinländerin das Theater. "Ich habe alles verstanden", sagt sie noch, und fügt hinzu: "Ich wohne ja auch schon Jahrzehnte in diesem Land."
Eine andere Dame etwa im gleichen Alter steht im Foyer und nippt an einem Glas Sekt. Freudig resümiert sie:
"Scheinheiligkeit isch net des gelbe vom Ei."
Autorin: "Ist das eine schwäbische Eigenschaft?"
"Neee! Aber es ischt eine pietistische Eigenschaft vielleicht ein bisschen und das ist natürlich im schwäbischen Bereich … also die Pietisten haben uns Schwaben die Freude am Leben ein bisschen eingeengt."
Hinter der Bühne sind Amateurschauspieler, Regisseurin und der Autor des Stücks - Dieter Adrion - zur Nachbesprechung zusammengekommen. Beim Bier aus der Flasche denkt man zusammen darüber nach, ob die schwäbische Versform für die Darsteller eine zusätzliche Hürde ist. Florian Pechbrenner, alias Karl Auberle, sagt nach einer kurzen Pause:
"Ich spreche einfach meinen Satz und dann ergibt sich einfach eine schöne, fast schon prosaische Sprache, wie es auch beabsichtigt ist und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man auf das Reimwort permanent rumkaut, damit es ganz schrecklich klingt."
Amateurschauspieler wollen nicht lächerlich gemacht werden
Dieter Adrion, 80 Jahre alt, einst Akademischer Direktor der Pädagogischen Hochschule lacht. Vor Jahrzehnten schon hat er Molières "Tartuffe" ins Schwäbische übertragen. Der Anspruch war, kein dumpfbackiges Bauerntheater in Mundart zu schreiben. Gestern wie heute würden Amateurschauspieler zu ihrem Dialekt stehen, sagt er, aber sie wollen nicht lächerlich gemacht werden, vielmehr amüsant unterhalten. Molières Stücke eignen sich da besonders …
Adrion: "Weil er ja immer wieder die menschlichen Schwächen, die heute dieselben noch sind wie vor 350 Jahren: Die Hypochondrie, die Großmannssucht. Nachdem es bei Molière auch eine gereimte Verskomödie war, war der Ehrgeiz, die Qualität zu halten und nicht zu opfern. Und deswegen diese gereimte Form, die einerseits zunächst einmal eine Hürde, aber dann auch ein Halt ist, gell? Könnt ihr ja sicher bestätigen, wenn man sie mal verinnerlicht hat."
Autor Adrion schaut erwartungsvoll in die Schauspielerrunde. Die zwischen 30- bis 70-jährigen nicken.
Zwölf Frauen und Männer sind zusammengekommen. Viele kannten sich vorher noch nicht. Ein Jahr Proben hat sie zusammengeschweißt. Jetzt werden sie mit dem deutschen Amateurpreis in der Kategoerie Mundart belohnt. Verdient. Und darauf wollen sie heute Abend in der Kneipe noch einen trinken.